Schlachthof, Wiesbaden, 2.11.2016
Normalerweise kenne ich einige Besucher von Psychedelic-Rockshows im Raum Frankfurt. Aber diesmal? „BLACK MOUNTAIN? Ach nee, lass mal.“ „Hab mal rein gehört, war langweilig.“ Hmpf. War ich deswegen alleine bei dem Gig des Kollektivs aus Vancouver, Kanada? Auch nicht. Standen bei regulärer Anpfiffzeit und verspätetem Soundcheck vor verschlossener Tür nur vereinzelte Gestalten, so füllte sich das Kesselhaus des Wiesbadener Schlachthofs etwas später rasch und beträchtlich. Hätte mich auch gewundert – Songs von BLACK MOUNTAIN kann man von Soundtracks („Spider-Man 3“) kennen, vielleicht hat man die Combo sogar auf dem Roadburn-Festival gesehen, auf dem eigentlich immer nur coole Acts spielen, egal aus welcher musikalischen Sparte.
Ungleich manch anderer Psychedelic- oder Spacerockband klingen BLACK MOUNTAIN jedoch sehr differenziert – manchmal rifflastig und heftig, oft verhuscht, aber immer ausladend und trippy. Ihr Debütalbum wurde im Visions noch als „70s-Drone-Rock ohne Seele“ abgewatscht, seit dem hervorragenden zweiten Album jedoch mutierte die Redaktion zu Jüngern dieser Combo, deren Mitglieder außerdem noch in Formationen wie PINK MOUNTAINTOPS oder LIGHTNING DUST musizieren. Sowie in sechs weiteren Acts. Alle Mitglieder auf der gleichen Bühne zu sehen hat also ein wenig Seltenheitswert. Dass das aktuelle, vierte Album der Kanadier, schlicht „IV“ betitelt, wohl meine persönliche Jahresbestenliste anführen wird, verpflichtete zusätzlich zum Besuch.
Während BLACK MOUNTAIN auf dem Großteil der Tour von ihren Landsleuten COMET CONTROL unterstützt werden (die sahen wir mal hier, als es im Club „Das Bett“ noch „Sky High“ gab. BLACK MOUNTAIN spielten da auch mal, vor vier Jahren oder so), heizte in Wiesbaden das ebenfalls aus Kanada stammende Duo THE PACK A.D. ein. Trotz manchmal fuzziger Gitarre beackerten die Damen ein anderes, wilderes Rock’n’Roll-Gebiet. Wie immer bei Gitarre/Drum- Duos denkt man da an die ewigen Rivalen WHITE STRIPES und BLACK KEYS, obwohl dieses Geschäftsmodell inzwischen auch darüber hinaus praktiziert wird. MANTAR, BLACK COBRA… you name it.
Ist vielleicht gar nicht so unpraktisch beim Reisen und bei Terminabsprachen. Verlangt den Akteuren aber auch einiges ab. Die Sängerin und Gitarristin Becky Black (rechts) gärte schon nach wenigen Minuten im eigenen Saft, die Schlagzeugerin Maya Miller stand ihr wenig später in nichts nach. Garagenrock war das wohl – ein Gitarrensound wie ursprünglich von Eddie Cochran kreiert und von den CRAMPS zur erlesenen Kunstform veredelt; im Blues wohnend, aber auf dem aktuellen Album „Positive Thinking“ auch sehr mit dem Pop flirtend. Von dem wurde so ziemlich das gesamte Programm gespeist, knapp 45 Minuten lang.
Sehr mitreißend, aber wie so oft: Ältere Platten sind besser („Tintype“ von 2007 zum Beispiel). Ein klasse Auftritt einer coolen Band, die auch manchem Kollegen hier hätte gefallen können. Passte zwar nur semi zur Musik des Headliners, kam aber gut an. Vor allem bei Gear-Aficionados, die beim Abbau noch ein wenig mit Becky Black über ihre Pedale plauderten. Maya Millers Kontaktversuche in holprigem Deutsch kamen ebenfalls gut an (ein „Wie geht’s?“ muss ein ziemlicher Zungenbrecher für Auswärtige sein, an dem sie sich fast verschluckte, während das der feixenden Becky Black weit leichter von den Lippen ging).
Und doch: BLACK MOUNTAIN wollten gestern erlebt werden. Deren Setlist war gesetzt, Überraschungen sollte es keine geben: Die Formation spielte auf der ganzen Tour das Gleiche. Etwas ungewohnt für psychedelische Freigeister vielleicht – angesichts der Klasse der beworbenen Songs aber durchaus zu verschmerzen. Das Licht wurde gedimmt, bzw. fast ausgeschaltet (stimmungsvoll, aber für die Fotografen ein ziemlicher Albtraum), und das Quintett startete mit dem Opener des aktuellen Albums, „Mothers of the Sun“. Ein Stück, das die einzigartigen Qualitäten BLACK MOUNTAINS schön auf den Punkt bringt. Keyboardintro von Jeremy Schmidt; zarter, kristallklarer Gesang von Amber Webber sowie anschließendem Gesangseinstieg von Stephen McBean, der später noch seine Gitarre sprechen ließ. Oh, diese wunderbare Gitarre. Die Rhythmus- Instrumente fielen nicht durch besondere Eskapaden auf – Schlagzeuger Joshua Wells und Bassist Colin Cowan machten ihren Job zweckdienlich und kompetent, da gab es nichts zu meckern. Einprägsamer für Nichtmusiker wie mich waren aber die anderen Klangkörper.
Optisch wirkte die Truppe wie aus der Zeit gefallen und erfüllte jedes blöde Hippie-Klischee – und dass einige Mitglieder des Kollektivs Erfahrungen in der Sozialarbeit haben mag für die, die „Gutmensch“ als Beleidigung verwenden, ein Feindbild nähren. Mir nötigt das Respekt ab, ebenso das unaufdringliche, aber hochklassige Musizieren sowie die Verweigerung eines Major-Deals zum Zwecke künstlerischer Selbstbestimmung. Smalltalk à la „Wie geht’s?“ gab es nicht, sechs von elf Songs stammten von „IV“, abgeschlossen wurde mit dem sehnsüchtig erwarteten, letzten Lied des Albums, „Space to Bakersfield“. Begeistertes Mitwippen im Saal, die Gäste fraßen den Musikern aus der Hand.
Zwischen den beiden Eckpunkten viel heftiger Rock, bei dem Amber Webber oft nur das Tamburin schlug, während ihre Jungs sich im heftigen Psychedelic-Rock suhlten. Weltklasse. Eine Zugabe war zu erwarten, der einzige Punkt, an dem sich die Setlisten der Tour unterschieden. Doch mein Zug fuhr, eine Stunde am kalten Bahnhof auf den nächsten zu warten war für mich, bei aller Liebe, keine Option. Schade. Trotzdem ein Anwärter auf das Konzert des Jahres. Was ich verpasst habe, kann hier gerne in den Kommentaren vermerkt werden.
Links: http://www.thepackad.com/, https://www.facebook.com/thepackad/, https://soundcloud.com/the-pack-a-d-official, http://www.last.fm/music/The+Pack+A.D., http://www.blackmountainarmy.com/, https://www.facebook.com/BlackMountainOfficial, http://blackmountain.bandcamp.com/, http://www.last.fm/de/music/Black+Mountain
Text, Fotos & Clips: Micha
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