Frankfurt, 25. August 2020 – Interview
Sie sind eine der dienstältesten noch aktiven Bands. Sie sind legendär und sie sind Kult: BLUE ÖYSTER CULT, im Jahr 1967 gegründet, bringen am 3. Oktober mit „The Symbol Remains“ nach fast 20-jähriger Schaffenspause ein neues Werk auf den Markt, das vermutlich ihr letztes sein wird. Oft als unterbewertetste Band aller Zeiten bezeichnet, häufig verkannt und missverstanden, setzen die New Yorker mit diesem Output noch einmal ein fettes Ausrufezeichen. Wir sprachen mit dem Gründer der Formation, Buck Dharma (rechts), über das neue Werk und verschiedene Aspekte aus der langen Geschichte der Band. Aktuelle Fotos gibt es aufgrund der Corona-Krise nicht; wir illustrieren das Telefoninterview daher – was noch besser passt – mit Bildern aus unserem Archiv zu Auftritten im Rhein/Main-Gebiet zwischen 1984 und 2012.
Hallo Buck! Warum mussten sich die Fans ganze 19 Jahre gedulden, um wieder ein neues BLUE ÖYSTER CULT-Album hören zu können?
Nun, das hatte verschiedene Gründe, hauptsächlich lag es an der Enttäuschung darüber, dass unsere letzten beiden Alben „Heaven Forbid“ von 1998 und „Curse of the Hidden Mirror“ von 2001 auf keine sonderlich gute Resonanz stießen. Da denkt man natürlich zweimal darüber nach, ob es sein muss, tatsächlich alle paar Jahre ein Album zu veröffentlichen und hinterfragt sich auch selbst. Ein anderer Grund war, dass wir auf über ein Dutzend starke Alben zurückblicken können und uns live somit eine
BÖC in der Stadthalle Offenbach, 25. Januar 1984
umfassende Songauswahl zur Verfügung stand. Live zu spielen ist für uns nach wie vor das Wichtigste und dies haben wir auch ausgiebig getan. Zu guter Letzt darf man nicht vergessen, dass wir nicht mehr die Jüngsten sind: Eric ist 75 und ich bin 72, da fällt einem das alles nicht mehr so leicht. Allerdings haben wir seit langer Zeit so gute Musiker in der Band und so fantastische Songs geschrieben, dass es einfach schade gewesen wäre, diese nicht der Nachwelt zu hinterlassen.
BÖC haben sich im Jahr 1967 gegründet, bestehen nun also bereits 53 Jahre. Andere Bands wie beispielsweise BLACK SABBATH haben sich bereits aufgelöst. Wird BLUE ÖYSTER CULT für immer bestehen – so wie es die Tourshirts mit der Aufschrift „Blue Öyster Cult – On Tour Forever“ prophezeien?
Es wird sicherlich eine Zeit geben, da man das „forever“ als virtuell ansehen muss. Tatsächlich ist für uns das Licht am Ende des Tunnels bereits sichtbar. Wir werden nicht ewig bestehen, denn Eric und ich werden älter.
Mit dem Motorrad auf der Bühne: Eric Bloom, dahinter Joe Bouchard (l) und Buck Dharma (r)
Aktuell sind wir aber noch in der Lage zu touren und haben verdammt viel Arbeit in das neue Album gesteckt, das vermutlich – man soll niemals nie sagen – unser letztes sein wird. Auch der Titel wurde dementsprechend gewählt. Aber wer weiß, wenn das Album gut ankommt und die Leute tatsächlich noch mehr wollen, werden wir es vielleicht noch einmal wagen!
Mit der neuen Platte sind dann insgesamt 14 Studioalben erschienen – „Cult Classics“, das neu eingespielte Klassiker enthielt, mal außen vorgelassen. Gibt es darunter ein Werk, das Dir persönlich am Wichtigsten ist?
Aus kommerzieller Sicht muss ich hier ganz klar „Agents of Fortune“ von 1976 nennen, denn von diesem Album an hatten wir die volle Unterstützung von Columbia Records, die uns fast jährlich
Blue Öyster Cult beim „Out In The Green“ Open Air Festival in Schaafheim, 19. Juli 1987: Eric Bloom (l) und Buck Dharma (r)
die Aufnahmen eines neuen Albums und bis zu 120 Gigs im Jahr ermöglicht haben. Das würde heute kein Label der Welt mehr machen, wenn man noch eine relativ unbekannte Band ist. Die Company hat aber damals an unser Talent und Potenzial geglaubt und uns immerhin bis Mitte/Ende der Achtziger Jahre unterstützt.
Du hast gerade das kommerziell erfolgreichste Album genannt, gibt es keinen persönlichen Favoriten?
Marcus, ich will ehrlich sein: Ich verschwende nicht viele Gedanken an das, was ich in meiner Karriere geschaffen habe. Ich schaue nicht zurück und urteile darüber, welches Album besser oder schlechter war. Ich denke einfach nicht so.
BÖC in Schaafheim, 19. Juli 1987: Allen Lanier (l) und Buck Dharma (r)
Dann lass uns über das neue Album sprechen. Ich kenne alle Eure bisherigen Werke und alle sind sehr unterschiedlich. Mit „The Symbol Remains“ habt Ihr nun ein Werk geschaffen, bei dem der Eindruck entsteht, dass Ihr jeder einzelnen Schaffensphase von BÖC einen eigenen Song gewidmet habt – interessanterweise sind 14 Songs auf der Scheibe vertreten und Ihr habt exakt 14 Alben veröffentlicht. Soll heißen von klassischem Rock („The Return of St. Cecilia“) über Blues- und Jazz-Einflüsse („Train True“) bis hin zu epischen Space-Hymnen („The Alchemist“), melancholischen Balladen („Tainted Blood“) und harten Metal-Songs („Stand and Fight“) ist alles vertreten. War es eine bewusste Entscheidung, Songs in so vielen unterschiedlichen Stilrichtungen zu schreiben oder sind diese in den BÖC-Genen, die Eric und Du in Euch tragen, einfach so verwurzelt, dass es automatisch geschehen ist?
Nun, es steckt sicher die eine oder andere Absicht dahinter, dass die Songs sehr unterschiedlich klingen. Aber das ist nicht geschehen, weil wir beschlossen haben, dass es so sein muss, sondern weil Songs von Eric und von mir nunmal sehr unterschiedlich klingen und Richie Castellano als dritter Komponist hat wieder einen ganz anderen Stil, Songs zu schreiben. Eric mag beispielsweise eher harte, hymnenhafte Metal-Songs, bei mir klingen die Kompositionen eher gefühlvoll und melancholisch. Hinzu kommt, dass mit Eric, Richie und mir auch drei unterschiedliche Sänger auf dem Album agieren, was den Songs
Blue Öyster Cult im Colos-Saal Aschaffenburg, 11. Juni 2012: (von links) Eric Bloom, Richie Castellano, Buck Dharma
ebenfalls eine unterschiedliche Atmosphäre verleiht. Weiterhin eine Rolle spielt, dass ich einen Song („Train True (Lennie‘s Song)“) gemeinsam mit meinem Sohn geschrieben habe und dass der Sci-Fi-Autor John Shirley zu einigen Songs die Texte geliefert hat, die mich wiederum zur Musik inspirierten. Du siehst also, dass ganz verschiedene Faktoren dazu beigetragen haben, dass die Songs so unterschiedlich klingen.
Die Texte von BÖC waren schon immer etwas ganz Besonderes und ein weiteres Stilmerkmal, das die Band deutlich von anderen unterschieden hat. Steckt hinter „The Symbol Remains“ ein besonderes Konzept oder stehen die einzelnen Songs für sich?
Um ganz ehrlich zu sein, besteht unser „Konzept“ stets darin, alle Songs aufzunehmen und im Anschluss das Ganze als Konzept zu verkaufen (lacht). Das Cover-Artwork und die Songtitel tragen dann ihren Teil dazu bei, dass die Alben oftmals so wirken, als ob wir uns jahrelang darüber Gedanken gemacht hätten.
Richie Castellano
Du hast gerade die Cover-Artworks angesprochen: Das Cover zu „The Symbol Remains“ wurde im Vorfeld in einer BÖC-Social Media-Gruppe veröffentlicht und hat gemischte Reaktionen hervorgerufen. Die meisten Leute mochten es, es gab aber auch Stimmen, denen es zu sehr gängigen Metal-Klischees huldigt und die es mit JUDAS PRIESTs „Ram it Down“ verglichen. Gab es Diskussionen darüber innerhalb der Band?
Die gab es. Das Cover stammt aus der Feder von Stan Decker, der bereits viele Cover für unser Label Frontiers Music entworfen hat. Er hatte unterschiedliche Entwürfe gemacht und wir haben als Band demokratisch darüber abgestimmt, welches wir nehmen sollten. Mein Favorit war es nicht, aber ich kann gut damit leben. Für mich ist auch das Cover eines Albums nicht das Wichtigste. Ich weiß, dass unser Label das Artwork fantastisch findet und das ist schon mal viel wert.
Nach wie vor legendär sind die Cover der ersten beiden BÖC-Alben, die von Bill Gawlik geschaffen wurden. Um ihn ranken sich mittlerweile allerlei Legenden, denn der Mann scheint vom Erdboden verschwunden zu sein. Keiner weiß, was aus ihm geworden ist und wo – oder ob er überhaupt noch – lebt. Kannst Du das Rätsel, was aus ihm geworden ist, lösen?
Da muss ich Dich enttäuschen. Leider. Tatsächlich haben wir versucht, ihn ausfindig zu machen, denn es wäre großartig gewesen, wenn er – nachdem er das Cover unseres ersten Albums geschaffen hat – auch das Cover unseres voraussichtlich letzten illustriert hätte. Es ist uns aber nicht gelungen. Es gibt keine Spur von ihm!
Vielleicht solltet Ihr diesem Mysterium einen Song widmen – „The Man Who Vanished“…
(lacht) Das ist eine sehr gute Idee, ich werde sie im Hinterkopf behalten…
Wird es eine Single-Auskopplung geben?
Das ist eigentlich nicht geplant. Wir werden aber im Vorfeld, bevor das gesamte Album erscheint, drei Songs – „That Was Me“, „Box In My Head“ und „Tainted Blood“ – als Teaser veröffentlichen. Wir haben uns dabei bewusst für diese drei entschieden, da jeder von einem unterschiedlichen Sänger gesungen wird.
Kasim Sulton
Eric und Du, Ihr seid nicht mehr die Jüngsten und somit nicht mehr so beeinflussbar von äußeren Einwirkungen wie beispielsweise sehr junge Menschen. Woher zieht Ihr Eure Inspiration?
Eric und ich sind nach wie vor sehr an Musik interessiert und hören sehr viele Bands der unterschiedlichsten Genres. Es war aber noch nie so, dass uns äußere Einflüsse dazu inspiriert haben, eine bestimmte Art von Musik zu schreiben. Die Ideen kommen aus uns selbst und da wir uns keinem speziellen Genre zugehörig fühlen, haben wir beim Songwriting auch keine „Schere im Kopf“ und somit auch keine Ängste, Experimente zu wagen. Es gibt viele Bands, die ihrem Sound immer treu bleiben, weil sie glauben, eine bestimmte Erwartungshaltung der Fans erfüllen zu müssen. Bei uns war das nie so. Wir haben stets versucht, uns weiterzuentwickeln und neue musikalische Sphären zu erkunden.
Neben dem aktuellen Album sind von Euch bereits vor geraumer Zeit vier Live-Mitschnitte aus den Jahren 2012, 2014, 2016 und 2017 auf Vinyl und CD sowie die dazugehörigen Videoaufnahmen auf Blu-ray erschienen, die übrigens allesamt mit fantastischen Cover-Artworks aufwarten. Wie kam es zu dieser geballten Veröffentlichungsflut?
Der Hintergrund ist, dass wir erst vor Kurzem die Rechte an den Mitschnitten erworben bzw. wiedererlangt
Eric Bloom
haben – für die gesamte Welt, außer den USA. In Europa könnt Ihr Euch daher glücklich schätzen, dass Ihr die Aufnahmen dort recht günstig erwerben könnt. In den USA sind sie nicht erschienen.
Ich weiß, dass Du nach wie vor viel zeitgenössische Musik hörst. Eine Band wird dabei sehr oft mit BÖC verglichen – es ist die Band GHOST. Kennst Du sie und wenn ja, was hältst Du von ihnen?
Klar kenne ich GHOST. Ich bin zwar nicht mit ihrem gesamten Œuvre vertraut, aber ich habe einzelne Songs gehört und kann verstehen, warum man sie mit uns vergleicht. Die Band besticht durch klassische Rock-Melodien und packt diese – ähnlich wie wir – in ein finsteres, mysteriöses Gewand. Das gefällt mir, allerdings finde ich nicht, dass sie uns musikalisch sehr ähneln.
Interview: Marcus
Fotos: Micha
Clip: Blue Öyster Cult
Links: http://www.blueoystercult.com/, https://www.facebook.com/blueoystercult/, https://www.youtube.com/channel/blueoystercult, https://soundcloud.com/blue-oyster-cult, https://www.last.fm/de/music/Blue+Oyster+Cult