Knabenschule, Darmstadt, 29.05.2012
Die meisten Leute dürften beim Begriff „Country-Music“ an die DIXIE CHICKS denken, an TRUCK STOP und vielleicht an GUNTER GABRIEL. Letzterer kommt zumindest vom Lebensstil dem Genre sehr nahe, auch wenn ich seine musikalischen Ergüsse recht gruselig finde. Meine erste Begegnung mit Country fand im zarten Alter von sieben Jahren statt. Mein Vater, stets ein großer Freund der Stilrichtung, hörte zuhause gern und häufig seine Lieblingsmusik und mir gefiel sie auch. Nicht zuletzt, weil die Musik Geschichten erzählte, die spannend und ungewöhnlich waren. Mein Vater übersetzte mir damals die Texte von JOHNNY CASH’s Album „Ride this Train“, auf dem Cash eine musikalische Eisenbahnfahrt durch die USA unternahm und dabei von Indianer-Reservaten, dem harten Leben der Bergleute und von Goldsuchern berichtete. Für mich war dies eine Art Schlüsselerlebnis, das in mir die Begeisterung für die Musik vollends entfachte. Mit 16 besaß ich bereits Scheiben von WILLIE NELSON, WAYLON JENNINGS, BILLY JOE SHAVER und DAVID ALLEN COE, allesamt Musiker, die der Outlaw-Country-Szene angehörten, die sich der Musik-Industrie Nashvilles mit selbst produzierten Veröffentlichungen verweigerten.
Dank HANK III, dem Enkel des legendären HANK WILLIAMS Sr., erlebt die Musikrichtung seit gut zehn Jahren ein Revival, das unter anderen Künstlern auch BOB WAYNE hervorgebracht hat. Wayne spielte in jungen Jahren in diversen Metal-Bands, war schon immer besessen davon, um die Welt touren und tat dies zunächst als Merchandise-Verkäufer für ZEKE, später als Gitarren-Roadie für HANK III. Der ermutigte ihn schließlich dazu, selbst Songs zu schreiben. Das tat Bob dann auch, und zwar so überzeugend, dass Hank ihn kurzerhand als Opener für einige seiner Konzerte einlud, was seinen Bekanntheitsgrad stetig steigerte. 2009 eröffnete BOB WAYNE mit seinen OUTLAW CARNIES gar die Show von HANK III im Kölner Underground, die bis heute zu einem der besten Gigs zählt, den ich jemals erleben durfte.
Nach seinem Auftritt im Januar 2011 gastierte der aus Seattle stammende und in Nashville lebende Sänger und Gitarrist am gestrigen Abend zum zweiten Mal in der Knabenschule, die auch diesmal wieder ein bunt gemischtes Publikum anlockte: Versammelt hatten sich Metal-Heads, Punks, Rockabillys, Rock’n’Roller und sogar einige Country-Fans im Rentenalter. Vor mir stand ein Punk in Nietenjacke mit VORKRIEGSJUGEND-Patch und lieferte den lebenden Beweis dafür, welch breites Spektrum BOB WAYNE mit seiner Musik anspricht.
Gegenüber der letzten Tour präsentierten sich die OUTLAW CARNIES, Bob’s Backing Band, leicht verändert. Als zweiter Gitarrist agierte ein langhaariger Hippie mit Vollbart, der ohne Zweifel als Charles Manson-Double durchgegangen wäre und wirkte, als ob er gerade einen LSD-Trip geschmissen hätte. Am Stand-up-Bass rackerte ein tätowierter Berserker mit Redneck-Iro, der vermutlich auf den Namen Billy-Bob hört. Die Drums bearbeitete ein an Ed Gein erinnernder Charakterkopf älteren Semesters und die Fiddle betätigte wie bereits im vergangenen Jahr eine junge Frau, die optisch so gar nicht zur restlichen Band passte, ihr Instrument aber dennoch wie der bekannte Teufel, der nach Georgia ging, beherrschte.
Eine Vorgruppe gab es nicht und so legte Bob gegen halb elf mit dem Opener seiner neuen Scheibe „Till the Wheels Fall Off“ los, der die Anwesenden unmittelbar in Partystimmung versetzte. Die Musik des US-Amerikaners lässt sich wohl am besten als „JOHNNY CASH mit Punk-Attitüde“ definieren,
weniger Honkytonk und Hillbilly als bei HANK III, dafür mehr Southern-Rock und Nashville-Sound, stets aber mit einem düsteren Element versehen. Bob blickt bisher auf zwei offizielle Releases zurück und unzählige selbst gebrannte Demos, die live in seinem Trailerhome eingespielt wurden. Dargeboten wurden nahezu alle Songs der beiden offiziellen Alben, die allesamt kleine Geschichten erzählen, in denen es meist um Drogen, Frauen, den Teufel und natürlich um amerikanische Helden und persönliche Erlebnisse geht.Live variierte er zwischen klassischen, hymnenhaften Country-Tracks im Cash-Tempo („Reptile“), schnellen Songs im NINE POUND HAMMER-Stil („Driven by Demons“) und finsteren Balladen („Liza“). Der perfekte Soundtrack zum gemütlichen Feierabend-Besäufnis. Highlights waren die (Jetzt-schon-)Klassiker „Driven by Demons“ (siehe den Clip unten), „Mack“,
„Everything’s Legal in Alabama“, „Love Songs Suck“ und „Fuck the Law“, wobei letztgenannter Song von Bob in seiner deutschen Version dargeboten wurde, deren Refrain „Fick die Bullen“ die Anwesenden spontan zum Mitgrölen animierte. Die letzten Takte der Zugabe erlebte der Sänger gut gelaunt zwischen den Fans im Zuschauerraum mit (Foto in der Galerie), nachdem er sich als erster verabschiedet hatte und die Band anschließend das Lied ohne ihn beendete.
Alles in allem eine feucht-fröhliche, 90-minütige Country-Party, die dank der abwechslungsreichen Songs (klassische Country-Tracks, schnelle Songs und Balladen) zu keiner Zeit langweilig wurde und den Keller der Knabenschule für kurze Zeit in eine Scheune in Texas verwandelte. Nur der Bourbon fehlte. Wer Country- Music mit einem Schuss dreckigem Rock’n’Roll nicht abgeneigt ist, JOHNNY CASH, ANTISEEN, HANK III und NINE POUND HAMMER zu seinen Lieblingsbands zählt, der sollte sich nicht nur die beiden Alben (erschienen beim deutschen Label People Like You) zulegen, sondern sich auch das nächste Konzert von BOB WAYNE (so lange dürfte es nicht dauern) vormerken. Country is the new Punk. Yeehaw!
Links: http://bobwayne.org/, http://www.myspace.com/bobwayne
Text & Fotos (3): Marcus / Fotos (9) & Clip: Stefan
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