Das Bett, 14.04.2012
Mit den BOLLOCK BROTHERS verbinde ich einige ganz besondere Konzerterinnerungen. Das erste Mal sah ich die New Wave-Punk-Rocker vor mehr als 25 Jahren, im Februar 1987 in der Batschkapp, sie waren auf dem Höhepunkt ihrer Popularität und ganz dick im Geschäft. Die Halle war voll und die Meute tobte zu Songs wie „Horror Movies“, „Brigitte Bardot“ oder „Harley David / Son of a Bitch“. Nicht zu vergessen Hits wie „Legend of the Snake“ oder das geniale „Faith Healer“-Cover von der Scheibe „The 4 Horsemen of the Apocalypse“ (1985), die noch immer zu meinen absoluten Favoriten in diesem Genre gehört.
Später verblasste der Stern der Briten, in den Neunzigern erblickten nur zwei Alben das Licht der Welt und ab 1996 war dann – von Compilation-Beiträgen abgesehen – veröffentlichungstechnisch für rund zehn Jahre absolute Funkstille. So überraschte es kaum, dass sich 2005 zum Auftritt im Cooky’s nur noch etwa 15 Menschen einfanden. Die Band, die früher vom Veranstalter einen fliegenden Elefanten backstage hätte verlangen können (und diesen bestimmt bekommen hätte), wurde nun mit Getränkemarken ausgestattet, die sie an der Bar des Clubs einlösen mussten. Peinlich war’s mir, die Musiker, die einst in der alternativen Musikszene ein gewichtiges Wörtchen mitzureden und weltweit zehntausende
von Fans hatten, nun mit Bierbons abgespeist zu sehen. Umso netter allerdings, dass die Combo um Mastermind Jock McDonald sich nach dem Auftritt mit uns zu einem recht langen Plausch zusammensetzte und uns sogar von ihrem Kontingent zu einigen Bierchen einlud. Zu fortgeschrittener Stunde wurde noch allerhand Schabernack angestellt, zum Beispiel gewettet, wer es schaffte, eine Bassbox nur mit den beiden kleinen Fingern in den Van zu heben (ich übrigens nicht, das Ding war verdammt schwer!). Aber dem damaligen Gitarristen und einem Freund aus unserer Crew gelang das sogar…Zuletzt sah ich die BB im Herbst 2009 im mittelprächtig gefüllten Nachtleben, wo sie ihr zu diesem Zeitpunkt frisch veröffentlichtes Studioalbum „The Last Will and Testament“ vorstellten. Sie präsentierten sich – wie auch schon bei den Auftritten vorher – in prima Form und es machte auch diesmal wieder Spaß, sie zu sehen.
Gestern nun gastierten die BB im Bett und hatten statt einer Vorgruppe einen Film mitgebracht. Dieser heißt „Live and Dangerous – The Complete History of the Famous Bollock Brothers“, ist gerade auf DVD erschienen und wird nun im Rahmen einer neuen Tour promotet. Als ich (pünktlich) ankam, lief der Film schon, er stieß allerdings nicht auf besonders viel Gegenliebe. Gerade mal drei Männeken saßen in der Nähe der Leinwand, und die waren ins Gespräch vertieft. Später kamen noch ein paar hinzu, aber mehr als ein Dutzend fanden sich zur Vorführung der DVD nicht ein.
Schade, denn der Streifen hatte durchaus diverse spannende und kuriose Szenen zu bieten. Letzteres trifft auf einen Auftritt für eine belgische Fernsehshow im Jahr 1984 zu, bei der Jock McDonald bei der Performance von „The Prince & the Showgirl“ aussieht wie der Zwillingsbruder von Dieter Bohlen (der Sound ist übrigens auch ähnlich). Interessant fand ich die Konzertausschnitte von der Tour 1987 aus der Bochumer Zeche, denn ich kann mich kaum
erinnern, wie die Jungs aussahen, als ich ein paar Tage später in Frankfurt selbst dabei war. Witzig ist ein Interview, das Jock im Rahmen der TV- Show „Rock on“ 1988 für Tele 5 gab – live. Vorher hatte er zu tief ins Glas geschaut und ließ diverse nicht sendefähige Aussagen ab. Die Interviewer hatten alle Hände voll zu tun, ihn im Zaum zu halten… So reihte sich eine Episode an die andere; ich würde die DVD (Laufzeit: über zwei Stunden) als „Nice to have“, aber nicht als „Must have“ bezeichnen.Im Anschluss startete die Live-Show der BOLLOCK BROTHERS: Frontmann Jock betrat wie immer wie ein echter Dressman die Bühne, traditionell im Anzug mit Karomuster und Krawatte. Die Liste der ehemaligen (und teilweise verblichenen) Bandmitglieder ist lang, diesmal waren außerdem Chris McKelvey (Gitarre), Richard Collings (Bass), Patrick Pattyn (Schlagzeug) sowie ein Keyboarder dabei. Als Opener fungierte „Four Horsemen“, im weiteren Verlauf folgten mit „Horror Movies“, „King Rat“ und „Woke Up This Morning Found Myself Dead“ mehrere Hits aus der großen Zeit der BB. Von der noch aktuellen LP kamen unter anderem „Passion“ und „Henry the 8th“, auf mein Lieblingslied der Scheibe, „Search and Destroy“, wartete ich leider vergeblich.
Die Stimmung war gut, aber nur ein kleiner Kreis tanzte – Platz dafür gab es jedenfalls reichlich, da nur schätzungsweise 70 Fans gekommen waren. Nicht gerade verwunderlich, hatte die Gruppe doch erst im Oktober vergangenen Jahres an ebenjener Stätte Station gemacht. Doch die Band ließ sich nicht verdrießen und machte jeden Klamauk mit, so setzte sich Jock beispielsweise eine Perücke im Afrolook auf (Foto rechts), die ihm aus dem Publikum zugeworfen worden war.
Dann war es Zeit für ein paar Überraschungsgäste: Bei „Cyber Polaroid” sang die junge Französin Elodie mit, zum Song „Count Dracula“ holte Jock seinen Sohn Kilien (Foto oben links), der sonst den Merchstand betreute, als Unterstützung ans Mikro. Der Teenager machte seine Sache gut, auch wenn man natürlich geteilter Meinung sein kann, ob das nun passt oder ob man das gute Lied lieber mit der Originalstimme gehört hätte. Aber irgendwie scheint das ja in Mode (und wir in die Jahre) zu kommen: 2011 hatte GITANE DEMONE auf der gleichen Bühne schon gemeinsam mit ihrer Tochter gespielt.
Außerdem durften auch die Männer an Drums, Bass und Gitarre (u. a. Chris McKelvey beim Sex Pistols-Cover „Pretty Vacant“) mal ran, um ihre stimmlichen Qualitäten unter Beweis zu stellen. So gönnte sich der Frontmann (inzwischen 56 Jahre alt) die ein oder andere Auszeit, setzte sich zum Schlagzeuger, nippte an seinen Getränken und flößte bei der Gelegenheit seinem langjährigen Weggefährten ein paar Schlucke des kühlen Nasses ein.
Zwischendurch legte der in Schottland geborene Jock den Anzug ab und zog eine Trainingsjacke seines favorisierten Fußballclubs Celtic Glasgow über. In diesem Dress bestritt er dann den Song „Faith Healer“, ursprünglich ein Lied der SENSATIONAL ALEX HARVEY BAND aus den Siebzigern, aber in dieser Version der Höhepunkt einer BB-Show (siehe den Clip weiter unten). Zu guter Letzt hüllte er sich noch
in eine Fahne des Vereins, die er am Ende des Konzerts einem Besucher zuwarf, der beim Auftritt 2011 in der Supportband THE COLD gespielt hatte. Zudem schenkte er einem Fan im Rollstuhl eines seiner typischen Karo-Jacketts. Liebenswert.Fazit: Natürlich werden die Jungs auch nicht jünger und ein Übermaß an Action ist während der Show nicht zu erwarten; inzwischen wird mehr auf Interaktion mit dem Publikum und den Faktor Spaß gesetzt. Und ebenjenen hatte auch ich wieder, nicht zuletzt weil ich die Combo einfach sympathisch finde und mich an ihren Songs auch nach langer Zeit noch nicht sattgehört habe. Außerdem gefiel mir der Gedanke, ein eigenes kleines „Vierteljahrhundert BOLLOCK BROTHERS-Jubiläum“ zu feiern. Ob ich sie mir wieder ansehen werde, wird sich weisen, erste Priorität hat es nun aber nicht mehr.
Der Link zur offiziellen Website der „Famous BB“ lautet http://www.bollock-brothers.com/, eine wahre Fundgrube ist http://bollockbrothers.blogspot.de/, einige Hörproben gibt es wie immer bei Myspace unter http://de.myspace.com/thebollockbrothersgermany.
Text & Fotos (3): Stefan / Fotos (13) & Clip: Kai
Mehr Bilder: