Nachtleben, Frankfurt, 22.05.2019
Nach Support-Shows für ihre Sargent House-Labelmates RUSSIAN CIRCLES und Chelsea Wolfe sowie für die Post-HC-Combo THRICE (alle 2018, Bericht aus Köln hier) brachte das belgische Trio BRUTUS in diesem Jahr nicht nur seine zweite Scheibe „Nest“ heraus, sondern bewirbt diese außerdem noch mit einer Headliner-Tour durch Europa, mit ein paar wenigen Festivals am Ende. Ihr erstes Album „Burst“ schlug ein wie eine Bombe – zumindest soweit, wie Alben heutzutage noch einschlagen können. Es vermengte frisch wie eigen Punk, Prog, Hardcore, Black Metal sowie Alternative Rock in ein stimmiges, kraftvolles und melodisches Ganzes – bot echte Ohrwürmer zur hochwertigen Raserei und überzeugte vor allem live durch das ekstatische Zusammenwirken der Akteure.
Diese verstehen sich als gute Freunde und spielen, laut Visions-Interview, gegenwärtig in der Band, in der sie „für immer bleiben möchten“. „Nest“ punktet durch mehr inhaltlichen Zusammenhang sowie optimierte Technik vor allem beim Gesang von Stefanie Mannaerts, die außerdem noch das Drumset verdrischt. Hauptberuflich, sozusagen. Mannaerts im Deaf Forever: „Ich habe als Schlagzeugerin angefangen und denke immer noch, dass ich eine singende Schlagzeugerin bin und keine trommelnde Sängerin“. Wie rum auch immer, diese Leistung ist beeindruckend und wird von relativ wenig Bands zelebriert. Die Thrash-Urgesteine EXCITER fallen einem ein, vielleicht auch Levon Helm von THE BAND durch den famosen Scorsese-Streifen „The Last Waltz“, der für Mannaerts durchaus Vorbildfunktion hat, wie sie im selben Interview ausführt. Anders als bei diesen Old School-Meistern wird der Doppelfunktion beim Bühnenaufbau Respekt gezollt, indem das Schlagzeug nicht hinten, sondern an der Seite des Podests aufgebaut ist – wenn Mannaerts in ihr Mikro sang, schrie sie damit Teilen des Publikums aus kürzester Distanz ins Gesicht (beziehungsweise ins Smartphone). Das schafft zudem mehr Bewegungsfreiheit für die anderen Instrumentalisten, Gitarrist Stijn Vanhoegaerden und Bassist Peter Mulders. Mit Letzterem spielte Mannaerts vor BRUTUS in einer REFUSED-Coverband, die sie auflösten, als REFUSED wieder zusammenkamen.
Weit weniger Platz hatte jedoch – auch, weil Mannaerts‘ Batterie bereits verhüllt auf der Bühne stand, um die Umbauzeit kurz zu halten – die Vorband INGRINA aus Frankreich. Und das, obwohl sie aus Krankheitsgründen einen ihrer zwei Schlagzeuger zu Hause lassen mussten. Blieben noch der andere Drummer, ein Bassist sowie drei (!) Gitarristen, die sich auf zwei Drittel der Bühne des Frankfurter Nachtlebens quetschen durften und dabei noch, veitstanzähnlich, umeinander musizierten. Ihrem breiten Pedalen-Equipment ausweichend sowie den zahlreichen Mikrofonen, denn außer dem Schlagzeuger brauchte jeder eines.
Holla, was für eine Urgewalt auf die Anwesenden in dem kleinen Kellerclub darniederbrach. Ein heftiges Gemetzel auf Post-Rock- und Hardcore-Basis, dargebracht zur katharsischen Selbstverwirklichung ohne Rücksicht auf ein Feedback von Leuten, die wegen der anderen Truppe ihren Obulus abgaben. Überzeugte gerade deshalb so sehr. Eine halbe Stunde metalfreies Massaker mit viel Wumms und Geschrei, nur unterbrochen von den Ansagen eines der Axtschwinger: Entschuldigend zur Absenz des zweiten Drummers sowie lobhudelnd zum Sound des Headliners, dem gehuldigt wurde auf Kosten der anderen Formationen, mit denen INGRINA in der Vergangenheit die Bühne teilten („Wir sind dankbar dieses Mal mit einer Band unterwegs zu sein, die so richtig gute Musik macht“. Quelle: Gedächnisprotokoll des Autors). Und ja: Frankfurt ist natürlich auch dufte. Wussten wir, trotzdem Danke. Voneinander beeindruckt verabschiedete sich das uniformierte Quintett von Frankfurt, nachdem man zum Ende hin die Gitarren liegen ließ und nur noch die am Boden klebenden Pedale per Hand bearbeitete. Schlagzeug nebst Bass waren da schon längst draußen.
In Rekordzeit wurden anschließend die Bretter, die die Welt bedeuten, für BRUTUS gerichtet. Warten musste man trotzdem bis zur nächsten vollen Stunde. Gitarrist Vanhoegaerden ging, kurz bevor INGRINA überzeugten, im Café oben „der Arsch auf Grundeis“, um mal einen Bekannten zu zitieren. Lampenfieber, das sich später eruptiv in Schall verwandelte. Bei allem Respekt vor der Leistung der singenden Drummerin sollte man nicht ignorieren, was Vanhoegaerden nebst Mulders da ständig abliefern – Letzterer meist Mannaerts zugewandt und scheinbar Vanhoegaerden sich selbst überlassend. Was der auf seinen Saiten an Riffing und Stimmung erzeugt ist ein Traum. „Atmosphärisch“ ist die Vokabel, die mir dazu zuerst einfällt – zugegeben eine inhaltslose, so auf dem Papier. Sollte mich allerdings jemand fragen, was eigentlich „atmosphärisches Gitarrenspiel“ sein soll, so wäre das von Vanhoegaerden wohl eine passende Definition. Hier hört man sie, die Anklänge an Black Metal sowie an Darkwave, an MOGWAI und an die Meister des Psychedelic.
Songtechnisch wurden beide Alben gemixt, mit „alten“ Krachern wie „Drive“ schon an vierter Stelle. Slamdance und ein (misslungener) Stagediving-Versuch machten klar, wie hier die Stimmung war. Bier holen ging nicht mehr; der Laden war zwar nicht ausverkauft, aber voll – der wenige vorhandene Platz wurde zum Ausrasten gebraucht. BRUTUS in so einer Kulisse: Leute, damit könnt Ihr später mal angeben. Angesagt. Zu diesem Abend kamen begeisterte Rentner aus Heilbronn ebenso wie jugendliche Core-Fans, die zwei Tage zuvor auch bei PAGAN in Wiesbaden Spaß hatten. BRUTUS werden fett. Und dann ist es auch egal, dass gegenwärtig noch etliche andere Formationen den gleichen Namen innehaben. Diese BRUTUS bleiben. Erzählt Euren Freunden, Rockstage Riot hat das geschrieben. Ein etwas gekürztes „Sugar Dragon“ beendete nach einer Stunde das Spektakel, ohne diese „Zugabe“-Spielchen, das scheint sich immer mehr durchzusetzen. Im Herbst supporten BRUTUS dann CULT OF LUNA, laut Deaf Forever-Story eine Lieblingsband von Stefanie Mannaerts. Guten Geschmack hat sie auch noch.
Links: https://www.facebook.com/ingrinaband/, https://ingrina.bandcamp.com/, https://www.last.fm/music/Ingrina, http://www.wearebrutus.com/, https://www.facebook.com/wearebrutus, https://wearebrutus.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Brutus
Text, Fotos & Clips: Micha
Alle Bilder: