Ponyhof, Frankfurt, 24.10.2013
Als ich nach der Entrichtung meines Obolus die Tür zum Konzertraum des Sachsenhausener Ponyhofs aufstieß, staunte ich nicht schlecht: Der Laden war proppenvoll, und das vor einem Werktag, trotz Fernseh-Konkurrenz (Eintracht im Europapokal) und zum Gig der Franzosen LES CAMÉLÉONS, die in Deutschland eigentlich nie den Bekanntheitsgrad erreicht haben, der ihnen gebührt. Ich hatte gemutmaßt, dass die Ska-Punks aus Nantes unter den o. g. Voraussetzungen etwa 40 bis 50 Seelen anlocken würden und so wäre es vermutlich auch gekommen, hätte der Name des Support-Acts nicht REVOLTE TANZBEIN gelautet. Die heimischen Gewächse sind bei der Studentenschaft der Mainmetropole überaus beliebt und ziehen eine Menge Publikum, das bei meiner Ankunft schon fleißig auf der Tanzfläche schwitzte.
Ich sah nur noch ein paar Lieder der Ska-Polka-Kapelle (darunter eine für meinen Geschmack etwas lang geratene XXL-Version des Stücks „Panama“), so dass ich hier über deren Gig weder detailliert urteilen kann noch möchte. Mein Ding ist die deutsch gesungene, ziemlich verkopfte „Großstadtpoesie mit Ska- und Balkan-Touch“ (Flyertext) eher nicht, die Teens und Twens vor der Bühne allerdings waren schier begeistert und so manche/r kaum noch einzukriegen. Fest steht, dass im Zuschauerraum mindestens genauso viel los war wie bei den späteren Headlinern.
Von denen dürften die jüngeren Besucher bisher jedoch nicht viel mitbekommen haben, liegt die Gründung von LES CAMÉLÉONS doch bereits 22 Jahre zurück. Den Höhepunkt ihres Schaffens würde ich rein subjektiv auf die Zeit vor etwa zehn Jahren, rund um die beiden Scheiben „Todos“ (2001) und „Joyeux Bordel“ (2003) datieren, vielleicht weil mir die beiden genannten Alben am besten gefallen. Aber auch die anderen der inzwischen acht veröffentlichten Studio-Releases, eingeschlossen das aktuelle Werk mit dem schlichten Titel „Les Caméléons“ vom Mai 2013, befinden sich auf einem konstant guten Niveau. Von der Ursprungsbesetzung noch dabei sind die Identifikationsfigur Jean-Jean als
Frontmann sowie Vincent (links, Gitarre & Gesang) und Vévé am Bass. An anderen Instrumenten hat es über die Jahre Umbesetzungen gegeben, an Qualität hat die Band jedoch nichts eingebüßt.Sänger Jean-Jean präsentierte sich wie gewohnt in Sportklamotten, schlabbriger Trainingshose und Retro-Adidas-Shirt (oder war das noch ein Original?). Auch seine Bühnenperformance war trotz fortgeschrittenen Alters sportlich, wenngleich er im Gegensatz zu den Gigs, die ich 2006 und 2008 im
Bockenheimer Café Exzess sah, inzwischen hin und wieder eine Verschnaufpause brauchte. Er nutzte dazu die Instrumental-Passagen, zog sich kurz in die zweite Reihe zurück und überließ das Feld ganz vorn der hervorragend aufspielenden Bläsersektion an Trompete und Posaune. Dennoch: Das Pensum, das JJ und seine Kollegen an Luftsprüngen absolvierten, hätte jedem australischen Känguru zur Ehre gereicht, wovon Ihr Euch im folgenden Clip überzeugen könnt:Gesungen wird in französischer und in spanischer Sprache. Kreiert wird Latin-Ska-Punk, den nur eine Handvoll Bands auf diesem Level darbieten können. Aus einem homogenen Set, das zu mehr als der Hälfte aus Stücken der
neuen Scheibe und des Albums „Todos“ bestand, Highlights herauszupicken, fällt schwer. Meine Favoriten und Anspieltipps lauten „Les huiles“, „Todos“, „Je suis un con“,„Hace calor“ und „Hatchi Lamuchi“, um nur mal fünf der an diesem „Best of“-LES CAMÉLÉONS-Abend gespielten Tracks zu nennen.Mit solchen Songs nehmen es die Chamäleons auch locker mit ihren Landsleuten von MANO NEGRA oder den Spaniern SKA-P auf, die ich als Genreprimus im Bereich Ska-Punk bezeichnen würde. Doch MANO NEGRA gibt es seit fast 20 Jahren nicht mehr und SKA-P spielen in einer anderen Liga, füllen nicht nur in ihrer Heimat große Hallen und sind, wenn man so will, trotz aller revolutionären Parolen längst eine kommerziell erfolgreich agierende Band nahe des Mainstreams.
So bleiben LES CAMÉLÉONS vermutlich das beste, was man in dieser Musikrichtung hierzulande in kleineren Clubs zu sehen bekommen kann. Und in familiärer Atmosphäre und räumlicher Enge gelang es der Kapelle auch gestern wieder trefflich, das umzusetzen, was sie sich schon 1995 als Titel ihrer ersten CD auf die Fahnen geschrieben hat: „Viva la Fiesta!“ Ausgelassene Stimmung, der Saal glücklicherweise nicht mehr ganz so voll wie beim Gig der Vorgruppe, einzelne posende Ausdruckstänzer wurden im allgemeinen Trubel nicht weiter beachtet. Ein erfrischender Abend mit viel positiver Energie auf und vor der Bühne, der richtig Spaß machte.
Dubios blieb, warum sowohl auf den Plakaten als auch auf den Flyern das Wort „Abschiedstour“ stand. Ich sprach nach der Show Jean-Jean darauf an. Leider ist sein Englisch in etwa so gut wie mein Französisch, so dass wir es bei einer kurzen Konversation bewenden ließen. Aus der ging aber hervor, dass die Band künftig zwar etwas kürzer treten, aber keineswegs aufhören will. Ein Promotiongag also oder nur ein Missverständnis „lost in translation“? Das kann uns letztlich egal sein. Hauptsache, die Jungs kommen wieder.
Setlist (ohne Gewähr): J’suis caméléons – Un regalo – Hace calor – Comme s’il en pleuvait – Madre mia – La berlue – La muneca – Je ne paie pas – Hatchi lamuchi – Ferme ta gueule – Maria – Pas de concessions – La famine – Les huiles – Rock’n Roll Band – Seguire – Chiquito – Todos // Quiero ser bandolero – Je suis un con – A poil – Hasta luego
Links: http://todosproductions.fr/, https://myspace.com/lescameleons, http://www.lastfm.de/music/Les+Caméléons, https://myspace.com/revoltetanzbein, http://www.reverbnation.com/revoltetanzbein
Text, Fotos & Clip: Stefan
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