Frankfurt, 16.01.2020
Genau drei Jahre ist es her, dass wir in diesem Blog den ersten Fotoband von Boris Schöppner, „Live & Loud“, vorstellten. Nun hat der in Frankfurt lebende passionierte Fotograf sein zweites Werk namens „Capriccio“ vorgelegt. Auch in diesem findet sich eine Vielzahl von eindrucksvollen Aufnahmen, die zu einem großen Teil, aber nicht ausschließlich die Musik zum Thema haben. Wir baten den Autoren erneut zum Interview, um uns und Euch mit einigen Hintergrund-Informationen und Geschichten das neue Buch nahe zu bringen. Wir illustrieren das Gespräch mit zwölf Bildern aus dem Band, die Ihr durch Anklicken vergrößern könnt.
Hallo Boris! In diesem Interview werden wir über Dein neues Fotobuch „Capriccio“ sprechen. Aber lass uns vorher noch einmal kurz auf den Ende 2016 erschienenen Band „Live & Loud“ zurückblicken. Wie ist das Feedback ausgefallen und ist die Auflage inzwischen vergriffen?
Hallo Stefan, vielen Dank für die Gelegenheit, mich hier äußern zu dürfen. Das freut mich sehr. Das Feedback auf mein erstes Fotobuch „Live and Loud“ war sehr erfreulich. Ich habe so viele Bücher verkauft, dass die Druckkosten reingekommen sind. Es gibt immer noch Nachfragen, auch im Zuge des Verkaufs des zweiten Buchs. Und, sagen wir mal so, ich kann der Nachfrage noch nachkommen – es gibt noch Restbestände. Was mir viele Leute widerspiegelten war: Mach weiter! Komm zu unserem Konzert! Ich habe da ein Bedürfnis getroffen, in unserer flüchtigen Welt und bei so vielen Veranstaltungen, die in kurzer Zeit über die Bühne gehen, etwas zu schaffen, was den bloßen Moment überdauern wird.
Das ermutigt natürlich, sich einem neuen Projekt zu widmen. Wann begannen die Planungen und die Konzeption für „Capriccio“ und warum hast Du diesen Titel gewählt?
Da würde ich gerne etwas ausholen. Nach dem Buch ist vor dem Buch. Der ganze Prozess, der mit dem ersten Buch einherging, vor allem aber die Auswahl und das Editieren der Bilder haben meinen Blick geschärft und mir vor Augen gehalten, was ich möchte. Mir geht es ja nicht in erster Linie darum, das Geschehen auf der Bühne in technisch brillanten Fotos festzuhalten, sondern um die Emotion und Interaktion, sowohl zwischen den Musikern als auch zwischen Musikern und Publikum. Mein Stil wurde deutlicher, die Bilder noch klarer, noch mehr auf den Punkt gebracht. Da lag die Idee nahe, einen zweiten Band, also so was wie „Live and Loud – Volume II“ herauszubringen. Diese Idee habe ich zwei Jahre verfolgt. Nun ist es aber so, dass ich nicht nur Konzerte fotografiere, sondern auch Menschen, Landschaften, Situationen. Nach und nach wuchs in mir der Wunsch, beide Welten zu verbinden. Vor allem aber denke ich: Die Musik braucht einen größeren Resonanzraum. Mit dieser Idee bin ich zu zwei Fotografen nach Köln gefahren, um einen ersten Dummy für das neue Buch zu erstellen, um zu schauen, ob die Idee trägt und um wieder eine klare Linie da reinzubekommen. Bei diesem Workshop kam dann der Name „Capriccio“ auf. Das gefiel mir gut, auch weil das einen kunsthistorischen Bezug zu Goya herstellt. Aber das führt jetzt doch etwas zu weit…
„Live & Loud“ hast Du seinerzeit aus der eigenen Tasche finanziert. Auch bei „Capriccio“ habe ich nichts von einem Crowdfunding mitbekommen. Wie hast Du die Finanzierung diesmal realisiert?
Das Geld für dieses Buch stammt wieder aus meiner Tasche. Dafür musste ich ein paar Außenstände eintreiben und ans Gesparte ran, aber dafür habe ich meine Freiheiten, sowohl bezüglich der Inhalte als auch hinsichtlich der Zeitschiene. Crowdfunding ist eine tolle Sache, aber nicht für mich. Ich mag nicht, wenn andere in Vorkasse gehen und die Katze im Sack kaufen müssen. Das fühlt sich an, als ob man das Fell eines Bären verteilt, bevor er erlegt ist. Das ist einfach nicht mein Ding.
Das allererste, was mir auffiel, als ich den Fotoband in die Hand genommen habe, war: Du hast das Format gewechselt. „Capriccio“ kommt im DIN A4-Hochformat und geheftet daher. Warum?
Bei „Live and Loud“ hatte ich mich wegen des direkten und ausschließlichen Bezugs auf die Musik für ein annähernd quadratisches Format entschieden – in Anlehnung an das Format einer Plattenhülle – wenn auch kleiner als die einer LP. Das war wegen der Produktionskosten nicht möglich. Jetzt war mir wichtig, mehr Spielraum zu haben, was die Platzierung der Bilder sowie deren Formate und Ausrichtung anbelangt. Daher war das Hochformat für mich erste Wahl, es kommt vor allem den Bildern entgegen, die ich über eine Doppelseite gedruckt habe. Ein DIN-Format hat vor allem Vorteile, was die Kosten für die Produktion betrifft – und davon profitieren auch die Käufer und Käuferinnen. Softcover und Klammerheftung sind für mich auch eine ästhetische Frage. Diese Bilder, dieses Buch ist für mich ein Gebrauchsprodukt. Ich wollte da nichts überhöhen, auch wenn Freunde finden, ich würde damit meine Bilder unter Wert verkaufen.
Zweite Neuerung: Im Gegensatz zu „Live & Loud“ präsentierst Du nicht ausschließlich Fotos von Punk- und Hardcore-Bands und deren Publikum, sondern widmest Dich auch anderen Themen wie Architektur, Graffiti und Konsum. Darüber hinaus sind Straßenszenen von nah und fern und sogar Polizeigewalt zu sehen. Was hat Dich bewogen, das Spektrum in dieser Weise zu erweitern?
Dazu habe ich vorhin ja schon einiges gesagt. Aber das lässt sich natürlich noch erweitern und vertiefen. Zum einen geht es in vielen Texten der Bands um ganz ähnliche Eindrücke und Erfahrungen: In welcher Gesellschaft leben wir? Wonach streben wir? Was sollten wir dringend verändern? Das sind Fragen, die mich auch beschäftigen. Das Buch ist sehr persönlich. Manchmal muss ich sogar zucken, weil es sich wie ein Kommentar zu meiner Biografie liest.
Wie hoch ist der Anteil der Musikfotos an der Gesamtmenge aller Bilder?
Grob geschätzt sind es ein Drittel Musik-Bilder und zwei Drittel, die nicht bei Konzerten entstanden sind.
Wer das Buch nur oberflächlich durchblättert, könnte irritiert sein: Die Themen wechseln in loser Reihenfolge ab, Schwarz-Weiß- und Farbfotografie ebenso. Das gleiche gilt für die Formate, von kleinen bis hin zu großen, doppelseitigen Motiven ist alles vertreten. Bitte erkläre uns, welches Konzept dahintersteckt und wie alles zusammenhängt…
Das Buch folgt einer Dramaturgie: Es beginnt laut, wird leise, dann wieder laut. Es wird schneller, folgt einem Rhythmus, der dann abrupt unterbrochen wird. Der Betrachter weiß nie, was ihn auf der nächsten Seite erwartet und dennoch gibt es jede Menge Bezüge, die es zwischen den Fotografien zu entdecken gilt.
Die Band SVETLANAS mit ihrer Sängerin Olga ist mehrfach vertreten. Du scheinst ein besonderes Verhältnis zu dieser Gruppe zu haben…
Es spielt bei den Bildern keine so große Rolle, wer darauf zu sehen ist. Wichtiger ist es, wie ich denjenigen oder diejenige gesehen und aufgenommen habe. Die drei Bilder von Olga unterscheiden sich sehr – und sie unterscheiden sich auch von anderen Olga-Bildern, die ich gesehen habe. Sie agiert auf der Bühne wie eine Schauspielerin, aber ich glaube, hier lässt sich gut zeigen, was ich vorhin gemeint habe, dass es mir nicht darum geht, das Bühnen geschehen zu reproduzieren. Alle drei Bilder haben etwas ganz Besonders, das über das Gewöhnliche hinausgeht.
Zu Olga und mir gibt es eine nette Anekdote, die mir sehr schmeichelt. Vor ihrem jüngsten Auftritt im Dreikönigskeller sind wir kurz ins Gespräch gekommen, ich habe ihr erzählt, dass ich sie kurz davor in Weinheim gesehen habe. Sie hat freundlich genickt, musste dann rein zum Soundcheck. Als sie wieder rauskam, war sie wie verwandelt. Die Jungs von der Band hatten ihr erzählt, dass ich derjenige gewesen bin, der im Café Central die Bilder gemacht hatte (darunter eines, was sich im Buch findet). Warum hast du mir nicht gesagt, dass du der Boris bist, hat sie sich empört. Wir haben uns noch ein Weilchen unterhalten und vereinbart, dass ich sie und die Band mal in Mailand besuche. Das habe ich dann im November gemacht.
Auch dem Thema „Reisen“ wird in dem Band einiger Raum gegeben. Du bist ja auch schon ganz gut rumgekommen in der Welt. Spielte das eine Rolle bei der Auswahl der Bilder?
Ja und nein. Du hättest auch fragen können: Die meisten Bilder sind in Frankfurt entstanden. Was fasziniert Dich an Deiner Stadt? Ich glaube, dass der Wechsel der Orte gut ist, um mich zu sensibilisieren. Wenn ich woanders bin – in der Regel reise ich alleine – sauge ich die neuen Eindrücke ganz anders auf. Das ist in Frankfurt schwerer. Da besteht die Gefahr, dass ich an Motiven vorbeigehe, weil ich sie aus bloßer Gewohnheit nicht sehe.
Der erste Rundgang durch Frankfurt nach einer Reise fördert dann natürlich wieder neue Eindrücke ans Licht, die meine Wahrnehmungsschwelle überschreiten. Skurriles gibt es auch in Frankfurt – Du musst nur hinschauen. Zudem gibt es jede Menge Motive, die springen mich weltweit an. Ich glaube, ich suche auch nach so etwas wie universellen Motiven, Erfahrungen also, die Menschen überall auf der Welt teilen. Das ist mit ein Grund dafür, dass ich auf jeglichen Text und Bildunterschriften verzichte. Ist es relevant, wann der Hund gegen welche Wand pisst?
Aber bestimmt hat jedes Bild seine eigene Geschichte. Kannst Du uns stellvertretend bitte die zu dem Foto der am Boden liegenden, von Polizisten umringten Person und die zu dem Bild mit dem Frauengesicht, das von einer Mauer auf eine Radfahrerin blickt, erzählen?
Gerne, zumal beide Bilder auf sehr unterschiedliche Art und Weise entstanden sind. Das Foto mit den Polizisten ist vor ein paar Jahren bei den Anti-Pegida-Protesten in Frankfurt entstanden und zeigt eine Festnahme in der B-Ebene an der Hauptwache. Das ist, würde ich sagen, eine recht klassische fotojournalistische Arbeit.
Das Bild von dem Frauenporträt an der Wand und der Radlerin ist in Santiago de Chile entstanden. Ich habe das Graffito gesehen und bin zurückgekehrt, als das Licht ideal darauf fiel. Ich musste eine Weile warten, bis die passende Person vorbeikam, die zu dem Wandgemälde passte. Es gibt Aufnahmen mit Fußgängern, die mir aber letztlich nicht so zugesagt haben. Als ich das Foto mit der Radlerin gemacht hatte, wusste ich, dass ich ruhigen Gewissens gehen konnte: „Besser wird das heute nicht.“
Was entgegnest Du denjenigen Betrachter*innen, die gerne gewusst hätten, wo und in welchem Kontext die Aufnahmen entstanden sind?
Der erste Tipp ist, öffnet Euch für das visuelle Erlebnis und schaut, welche Gefühle die Bilder bei Euch wachrufen. Wer partout wissen möchte, wo das mit dem Hund war, wo es die Glitzer-Pumps gibt oder wo die Tulpen welken, spricht mich an oder schreibt mir eine E-Mail.
Auf Deiner Webseite schreibst Du, „Capriccio“ sei der „lustvolle Regelverstoß“. Wie ist das zu verstehen?
Wie vorhin angedeutet, gibt es da eine kunsthistorische Herleitung. Es ist aber auch der Hinweis darauf, dass es bei der Fotografie nicht in erster Linie darum geht, kompositorische Regeln zu befolgen, sondern, dass Bilder auch sehr gut funktionieren können, wenn sie gegen alle Regeln verstoßen. Und schließlich ist es auch so etwas wie eine Lebenseinstellung. Das kann aber nur jeder für sich selbst herausfinden.
Nun kommen wir langsam zum Ende. Wo ist Dein neues Buch erhältlich und was kostet es?
Das Buch gibt es in Frankfurt bislang in der Buchhandlung „Land in Sicht“ (Rotteckstr. 13) sowie im Fotografie Forum (Braubachstr. 30-32) und natürlich per Post bei mir (Bestellung an bschoeppner(at)t-online.de). Es kostet 19,80 Euro, wenn ich es verschicke, kommen noch 2,20 Euro für den Versand hinzu.
Boris, vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Stefan
Fotos: Boris Schöppner, entnommen aus dem Fotoband „Capriccio“
Link: http://www.borisschoeppner.de/