Mousonturm, Frankfurt, 19.11.2014
Kommt sie, oder kommt sie nicht? Chan Marshall aka CAT POWER (rechts) hatte sich im Frankfurter Mousonturm angekündigt; neben dem in Berlin das einzige Konzert 2014 in Deutschland, doch ach: Ihre Tweets ließen Böses erahnen. Grippe in Kopenhagen (hier), einen Tag später Berlin (hier): Klar kann so was vorkommen, dumm gelaufen. Nachdem Marshall in der Vergangenheit jedoch häufig Konzerte abbrach oder ausfallen ließ, konnte man nur hoffen, dass sie es auf die hiesige Bühne schaffte – vor allem, wenn man Fan ist und schon Jahre auf so eine Gelegenheit wartet. Bei mir war das nicht so, ich verfolge CAT POWER’s Musik erst seit knapp drei Jahren mit Interesse. Meine Freundin hat vor mir die Klasse ihrer Darbietungen erkannt und die Unterschiede, die sie von klassischen Singer/Songwriterinnen abhebt.
Das ist kein Country und kein Folk, auch wenn einiges ab und an danach klingt. Kein Jazz oder Jazzpop, weil niemand zwanghaft beweisen muss, welche „Range“ der Stimmumfang aufweist. Kein Rock, noch nicht mal alternativer Art, weil dafür viel zu frei im Ausdruck. CAT POWER schafft mit ihren Songs, die sie auf stilistisch sehr unterschiedlichen neun Studioalben sowie massig Singles, EPs und Kollaborationen veröffentlicht hat, einzigartige Stimmung zu erzeugen; zu verzaubern und zum Mitleiden anzuregen. Einzig Tom Waits würde mir hier als Referenz einfallen wegen seiner Einzigartigkeit.
Auch beim Konzert war das zu erleben. Vorher mussten wir alle im, letztlich wahrscheinlich schon ausverkauften Mousonturm, jedoch die Folkformation VENUS AND THE MOON ertragen – ein zum Quartett aufgestocktes Duo aus L.A., bei dem die eine Hälfte von River und Joaquin Phoenix‘ Schwester Rain (rechts) verkörpert wird. Versteht mich nicht falsch, ich mag Folk: Erst kürzlich haben mich die Schwestern THE STAVES als Support für ANGUS & JULIA STONE komplett aus den Socken gehoben. Was bei denen jedoch federleicht wirkte, kam bei den Venusianern stocksteif daher, mit betroffenem Gesichtsausdruck und aufmunterndem „das schaffen wir schon“-Geschmuse zu Anfang des Sets, der 45 Minuten dauerte und in meiner Welt ungefähr 40 Minuten zu lang war.
Das vokale Zusammenspiel der drei Ladies war lahm und uninspiriert; die Textfragmente, die ich verstand, wirkten banal und pseudoweise und überhaupt kam ich mir vor wie auf dem Kirchentag, nur mit deutlich weniger Spaß. Kurioserweise war es der Mann des Quartetts, der einen Song singen durfte und mit seiner Stimme am ehesten zu berühren wusste. Also mich zumindest, wir wollen hier ja schon fair bleiben. Wer der Herr war habe ich leider nicht herausbekommen, ich bin jedoch fast sicher, dass es sich nicht um Stephen Still’s Sohn Chris handelte, der oft mit den Ladies aufspielt. Auch glaube ich, sein Gesicht schon im TV gesehen zu haben. Wenn es jemand weiß, dann mailt es dem Administrator, ein No-Prize wäre dafür drin… Und um noch mehr Fairness zu beweisen, muss ich zugeben, dass die kurz nach dem Konzert veröffentlichte Single „Albatross“, deren A- und B-Seite gestern auch gespielt wurden, von den Arrangements her viel überzeugender klang. Live war das aber nichts, zumindest nicht für mich.
Kurz nach 22 Uhr dann Aufatmen, die Heldin des Abends erschien. Mein toller Platz zwischen Piano und dem Mikro, vor dem sie stehend Gitarre schrammelte, wurde zu dem Zeitpunkt ein mieser, als ein zweites Mikro neben dem ersten platziert wurde und ich von meiner Position aus nun nur noch Mikros sah, hinter denen Marshalls nun nicht mehr erblondeter Kopf sporadisch erschien. Wenn sie verzweifelt die Gitarre stimmte, zum Beispiel. Was sie extrem häufig tat. Dazwischen fluchte sie sinngemäß darüber, dass es kein vernünftiges Personal mehr gäbe, so ein bisschen Gitarre stimmen sei ja wohl noch drin, und ob wir nicht auch hören würden, dass hier gerade alles ganz furchtbar klingt.
Taten wir nicht. Ganz im Gegenteil. Immer wenn CAT POWER einen Song anstimmte nahm sie uns mit, die Leute waren mucksmäuschenstill und klebten an ihren Lippen. Ihre sehr eigene Art die Gitarre und später auch das Klavier zu spielen, war alles andere als virtuos und wirkte wie selbst beigebracht, transportierte aber Unmengen von Gefühl und Gänsehaut, vom ersten Ton an. Kein verstimmtes Instrument störte da, eher war es die verstimmte Chan Marshall, die einen immer wieder aus der Ergriffenheit riss. Sah die am Boden klebende Setlist aus, als würde das ein kurzer Abend werden, so täuschte das komplett: CAT POWER schien intuitiv einen Song nach dem anderen aus dem Ärmel zu schütteln, teilweise erkannte ich etwas, meistens nicht oder erst spät: Die wenigsten Stücke klangen so, wie sie auf Platte klingen.
Aber was da alles dabei war: „Names“ und „The Greatest“; Covers, die sie sich längst zu eigen gemacht hat wie „Naked If I Want To“ von Moby Grape oder „Werewolf“ von Michael Hurley; welche, die man von ihr seltener hört oder gar nicht kennt, wie den Burt Bacharach-Song „What the World Needs Now“. Das war kein Promo-Auftritt für das letzte Studio-Album, sondern ein intimer Abend einer großen Künstlerin, die menschlich teilweise sehr unsicher wirkte; von allen Anwesenden aber, da bin ich sicher, zutiefst respektiert bis geliebt wurde.
Nach einigen Ansagen und freundlichen Repliken aus dem Publikum wurde Chan lockerer; sie sprach von ihrer Schwangerschaft und wie es dazu kam (siehe Clip) und schien generell ein großes Interesse an diesem Thema zu haben (ein Pärchen, dass sich zur Erholung eine Weile auf den Boden setzte und später wieder aufstand, wurde von Chan freudig gefragt, ob sie gerade Sex gehabt hätten. Irritiertes Verneinen war die Folge.). Obwohl ich nach knapp vier Stunden eingequetschtem Stehen üble Schmerzen hatte war es das alles wert, sogar die Vorband konnte daran nichts ändern. Wäre schön, wenn es bis zum nächsten Mal in Frankfurt nicht wieder 16 Jahre dauert.
Links: https://www.facebook.com/venusandthemoon, http://www.lastfm.de/music/Venus+and+the+Moon, http://www.catpowermusic.com/, https://myspace.com/catpower, http://www.lastfm.de/music/Cat+Power
Text, Fotos & Clip: Micha
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