Gebäude 9, Köln, 7.07.2018
Oft schon entfleuchte mir in diesem Blog Bewunderung für die Künstler des amerikanischen Labels Sargent House. Egal ob Post-Rock von RUSSIAN CIRCLES, HC von MUTOID MAN, Southern-Gothic von WOVENHAND oder Singer/Songwriter-Perlen mit Hang zum Gitarren-Exzess von Emma Ruth Rundle oder Jaye Jayle – alles erlesenes Zeug, durch die Bank. Auf das Vergnügen, die kalifornische Künstlerin Chelsea Wolfe (links) live zu erleben, musste ich jedoch lange warten. Nun war es endlich soweit – mit Karlsruhe und Köln streifte sie in vergleichbarer Entfernung das Rhein/Main-Gebiet. Während in Karlsruhe Emma Ruth Rundle den Support gab, die netterweise in Kürze auch in Wiesbaden spielt, eröffneten in Köln die Belgier BRUTUS.
Die Herkunftsbezeichnung ist wichtig, in diesem Fall: Tummeln sich doch mit den Skandinaviern, die auch schon in diesem Blog besprochen wurden, sowie mit den Deathmetallern aus den Niederlanden noch mindestens zwei weitere vergleichbar bekannte Formationen mit demselben Namen in der Szene. Frage mich ja, wie so etwas zustande kommt im Zeitalter der Internet-Suchmaschinen, aber egal. Als Support von THRICE in Wiesbaden hatte ich sie verpasst, also nahm ich sie gern am vergangenen Samstag in Köln mit. Es war ein heißer Tag, an dem extrem viel gefeiert und gejubelt wurde in der Domstadt.
Nachdem ich mir in Unkenntnis der Tatsache, dass an diesem Wochenende der CSD begangen wurde, mitten im Zentrum am Neumarkt eine Bleibe gesichert hatte, eruierte ich den Weg nach Deutz zum Gebäude 9 – ein angeranztes, alternatives Kulturzentrum auf dem Areal einer ehemaligen Fahrzeugfabrik. An der Messe hörte Köln bisher immer für mich auf, weiter als bis dort hatte es mich bei meinen bisherigen Ausflügen noch nie verschlagen. Das Gebäude 9 liegt nur ein paar Schritte weiter – hinter dem Gebäude 1 auf einem alten Industriegelände, auf dem die meisten Bauten abgedeckt sind und nicht passierbar. Der Hauptraum, in dem das Konzert stattfand, fasst 500 Leute und erinnerte mich an die alte Batschkapp in „noch fertiger“. Löcher im Putz allerorten, aber eine ganze Menge Charme. Eine große Tür an der Seite, welche im Lauf des Abends des Öfteren zur dringendst benötigten Lüftung geöffnet wurde. Meinen Platz vor der linken Bühnenseite verließ ich auch dann nicht, als mein kleines Kölsch geleert war – sich bis hierhin wieder durchzuquetschen erschien mir bei diesem ausverkauften Event nicht erstrebenswert.
Wobei es bei BRUTUS, die Punkt 21 Uhr mit ihrem 45-minütigen Set begannen, noch ein wenig Bewegungsfreiheit gab. Das Trio um die singende Schlagzeugerin Stefanie Mannaerts veröffentlichte kürzlich mit „Burst“ sein erstes Album und präsentiert darauf emotionalen Hardcore mit starker Alternativ-Schlagseite. Ein bisschen Post-, ein bisschen Mathrock und viele brachiale Soundwände zu verletzlicher Lyrik sowie halbzartem Vortrag. Schon sehr eigenständig, was Mannaerts mit ihren Mitstreitern Peter Mulders am Bass sowie Stijn Vanhoegaerden an der Gitarre da aufführte. Trotz der Breaks und der Rhythmuswechsel artet die Musik nie zum selbstverliebtem Gegniedel aus, sondern bleibt stets pur und „In Your Face“. Vor allem Mannaerts und Mulders, die sich bei dessen REFUSED-Tributband kennenlernten, trieben sich auf der Bühne zu Höchstleistungen an, während Vanhoegaerden etwas abseits die filigraneren Saiten-Verrenkungen ins Publikum goss. Mannaerts bedankte sich erfreut für das frühe Erscheinen der Anwesenden, die bereits erstes Kondenswasser von der Decke abbekamen. Songs wie „Drive“ oder „All Along“ zünden bereits beim ersten Hören, den Rest wird man beim nächsten Besuch ebenfalls mitsingen können. Ein hervorragender Opener, eine saugeile Combo.
Den Umbau betrieben die Musiker von Vor- sowie Hauptband hauptsächlich selbst. Moment: Hauptband? Ja, Chelsea Wolfe bezeichnet sich und ihre Kollegen seit Erscheinen ihres aktuellen Drehers „Hiss Spun“ als Band – auch wenn niemand außer ihr auf den Promofotos zu sehen ist. Anfänglich waren ihre Veröffentlichungen reine Solo-Scheiben, mit Mietmusikern zwar ab und an, jedoch alles unter ihrer Ägide. Diesmal entstanden die Songs beim „Jammen mit den Bandmates“ (C.W. im Zero Tolerance), zu denen Schlagzeugerin Jess Gowrie, Bassist und Elektroniker Ben Chisholm sowie, als Gast bei einigen Tracks auf der Platte, Gitarrist Troy Van Leeuwen von den QUEENS OF THE STONE AGE gehörten. Der ist beschäftigt – live ist Stammgitarrist Bryan Tulao dabei, dessen Katalog mit BLACK MATH HORSEMAN und BLACK MARE nicht nur ein paar formidable Formationen enthält, sondern der als Saitenbearbeiter von MOTHER TONGUE zu einer der besten Combos der Welt gehört. Punkt. Außerdem ist er erfolgreicher Friseur.
Das Werk von MOTHER TONGUE sowie jenes von Chelsea Wolfe verbindet die Tatsache, dass man die Musik beider nicht eindeutig einem Genre zuordnen kann. Wolfe genoss eine Country-Sozialisation, liebt Filme von Werner Herzog oder Lars von Trier („Von Trier is like Black Metal on film“ – Zero Tolerance), wird als Goth-Queen verehrt und klingt, als hätte Stevie Nicks eine Session mit Genesis P-Orridge veranstaltet.
Sie tourte mit CONVERGE, MINISTRY oder PRIMUS und nahm eine Scheibe mit King Dude auf. Sie vereinigt Punks, Metaller, Hipster sowie Avantgardisten auf ihren Konzerten. Sie kann zart, heftig und beides zusammen. So wie in Köln. Bei konsequentem Gegenlicht zelebrierte sie knapp 75 Minuten eine dampfwalzige Messe, bei der sie ihren Dämonen Gestalt gab und katharsisch verarbeitete – die faszinierte Menge tat es ihr gleich, zumindest letzteres. Nur wenige Worte gab es erst in der Zugabe zu hören: Ein fast devotes Dankeschön von der Performerin, die früher an enormer Bühnenangst litt; sowie die Ansage, dass jetzt die letzten Songs kommen würden. Insgesamt waren sieben Stücke vom aktuellen Album, vier von „Abyss“ (2015), zwei von „Pain is Beauty“ (2013) und einer von „Apocalypsis“ (2011) zu bestaunen. Singer-Songwriter im klassischen Sinne war gestern, das war innovativer Industrial/ Electronic-Rock wie der von MINISTRY gerne wäre, minus der Tagespolitik, doch mit weit mehr Ernsthaftigkeit und Klasse. Eine beindruckende Darbietung, die mich extrem aufputschte.
Die Seitentür stand irgendwann nur noch auf, die Temperaturen hätten einen sonst versengt im Gebäude 9. Ärger mit Anwohnern ist auf diesem Areal wohl nicht zu erwarten. Ich verließ die Halle durch diese Tür – brachte mich damit zwar um das Gedrängel am Merchtisch, aber dafür schneller zur Bahn, zu der auch die lautstarken Freunde der gerade bei der Fußball-WM siegreichen kroatischen Nationalmannschaft wollten. Ich entging diesen knapp, doch erfolgreich. Mein Hotelzimmer wurde allerdings noch bis in die Morgenstunden beschallt von feiernden CSD-Freunden und hupenden Busfahrern, denen die Abendplanung in diesem Teil der Stadt anscheinend nicht geläufig war. Mir war das egal. Ich hatte noch ein Kölsch vom Kiosk sowie frische Erinnerungen an einen Konzert-Hammer, der allen Reisestress und Lärm wert war. Vielleicht klappt es ja auch mal im Rhein/Main-Gebiet, ich wäre entzückt.
Links: http://www.wearebrutus.com/, https://www.facebook.com/wearebrutus, https://wearebrutus.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Brutus, http://www.chelseawolfe.net/, https://www.facebook.com/cchelseawwolfe, https://chelseawolfe.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Chelsea+Wolfe
Text, Fotos & Clips: Micha
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