Das Bett, Frankfurt, 11.03.2015
Ich weiß nicht, wer John Goff ist oder war, aber ihm bzw. seinem Ableben haben wir wohl zu verdanken, dass Steve Moss (rechts) THE MIDNIGHT GHOST TRAIN gründete – so zumindest die offizielle Lesart. Seit 2007 rockt das US-Trio als Tribut an den verstorbenen Freund – und tut das so amtlich, dass man eigentlich jeden bedauern muss, der sich diese Combo auf die Bühnenbretter holt und nach ihnen spielen will. Die Münchner COLOUR HAZE, gegenwärtig mit RADIO MOSCOW unter dem Motto „Up In Smoke Vol.5“ auf Tour, trauten sich das aber in Frankfurt und bescherten uns damit einen kräftezehrenden und orgiastischen Gitarrenabend vom Allerfeinsten. Und dem Club „Das Bett“ eine ziemlich volle Hütte. Schwer zu sagen, an welcher Band das in der Hauptsache gelegen haben mag.
Auf THE MIDNIGHT GHOST TRAIN freuten sich die Brachialrocker der Stadt und Umgebung. Diagnostizierte Kollege Marcus noch jüngst an dieser Stelle MANTAR-Hecht Hanno ADHS, so muss ich feststellen, dass TMGT-Sänger und Gitarrist Steve Moss ein ähnliches Krankheitsbild aufweist, dabei anscheinend aber weit weniger Kalorien verbrennt. Gitarrespielen, Singen wie ein Grizzly das vielleicht täte wenn er könnte, und dabei Kilometer en masse auf der eingeschränkten Bühnenseite runterreißen – Moss und seine beiden Jungs hängten sich von Anfang an fett rein; und die Köpfe der Anwesenden in der ersten Reihe schlugen von Minute Eins an Luftlöcher an den Bühnenrand.
Zudem war „Das Bett“ schon so gut gefüllt, dass es bereits richtig schwer war, sich einen Weg zur Tränke oder zum Klo zu bahnen – und diese Musik ist geschaffen zum Biertrinken und feiern. Also mussten diese Wege gegangen werden, da half mal gar nichts. Bassist Mike Boyne, selbst eine ziemlich beeindruckende Gestalt, war kaum scharf zu fotografieren wegen all der Headbangerei; auch von Drummer Brandon Burghart waren kaum mehr als Geschwindigkeitslinien zu erspähen.
„Do you feel sexy?“ fragte Moss die feiernde Meute, pickte sich dann einen raus und gab „This guy here sure feels sexy, right?“ zum Besten. Ich sah mich um, um kurz darauf durch den Sucher festzustellen, dass er mich meinte. Klar, ständig. Er grinste dabei. Vielleicht war ich sexy, aber er war saugeil; und seine Jungs waren das auch. Eine fette Dreiviertelstunde war zuende und ich fasste ernsthaft ins Auge, danach nach Hause zu gehen. Was sollte denn da bitte noch kommen?
Trotz aller Müdigkeit war ich vernünftig und blieb, auch wenn ich erstmal Schwierigkeiten hatte mich danach auf RADIO MOSCOW einzulassen. Das Trio (schon wieder) um den Sänger und Gitarristen (schon wieder) Parker Griggs fühlt sich mehr dem Blues verpflichtet und liebt gleichermaßen Jimi Hendrix und BLACK SABBATH – Einflüsse, die sie mit dem Headliner COLOUR HAZE teilt. An und für sich höre ich die Band gerne, oft nachts am PC, wenn man aus Rücksicht auf die lieben Nachbarn Musik hört, die auch nicht voll aufgedreht funktioniert.
In der Lautstärke des Konzertes nervte mich das Trio nach dem fulminanten Auftritt von TMGH anfangs fast schon ein wenig, vor allem bei den blueslastigen Nummern – das war alles sehr schön, aber unoriginell. Ich zog mich auf einen Barhocker im hinteren Bereich zurück und schloss die Augen, phantasierte herum und irgendwann war ich drin. RADIO MOSCOW zelebrierten keinen Abriss, aber spielten sich in Rage, sehr langsam, aber stetig ansteigend. Die letzten 20 Minuten ihres einstündigen Auftritts waren eine wirkliche Offenbarung an musikalischer Interaktion und extrem mitreißend, wie ich fand. Da war dann aber auch Schluss und ich hoffte, dass sich der Laden etwas leerte – die letzte Formation des Abends, COLOUR HAZE, existiert in dieser Besetzung schließlich schon seit 16 Jahren und würde für das Jungvolk vor der Bühne ja wohl kaum Bedeutung haben, oder? Pustekuchen.
Als ich 2013 die Schweden SIENA ROOT das letzte Mal in Frankfurt sah und darüber berichtete (hier) klagte ich ein wenig darüber, dass die Psychrockbands der Neunziger und Nuller-Jahre von dem Retrorockhype um Acts wie ORCHID oder KADAVAR nicht viel mitbekommen, obwohl sie ständig auf den Bühnen präsent waren und die Saat für die Erfolge der letztgenannten gesät haben. COLOUR HAZE gehören auch dazu und herrschen nun souverän über die Nachgeborenen, die respektvoll am Bühnenrand staunen und lauschen. SIENA ROOT headlinen in Kürze im gleichen Club (am 14. März) und tun das verdient ebenso.
Das Jungvolk blieb also, ältere Menschen sowieso. Das Trio (schon wieder) um den Sänger und Gitarristen (schon wieder) Stefan Koglek, der auch das Psych-Label Elektrohasch betreibt, betrat das Podest extrem entspannt, Koglek barfüssig. Vor zwölf Jahren hätten sie das letzte Mal in Frankfurt gespielt, verriet Koglek, also strenge man sich besonders an. Das kann einiges heißen bei COLOUR HAZE, die in Rüsselsheim vergangenes Jahr zweieinhalb Stunden gespielt haben sollen – eine Zeit, die ich nicht mehr gewillt war zu bleiben, zumal sich immer mehr Anwesende das Stonertum zu eigen machten und das Rauchverbot ignorierten.
Es ging aber auch nicht – ich kam nicht weg. Noch weitaus intensiver als RADIO MOSCOW bei ihren guten Stücken zuvor spielten sich die drei Musiker die halluzinogenen Bälle zu, dabei vortrefflich illuminiert, wie immer bei solchen Konzerten in „Das Bett“. Lässiges Rumgeklampfe zu Anfang, eruptive Steigerung, gehauchter Gesang – obwohl alle drei sich die Finger wund spielten, wirkte das Gebotene extrem geerdet – heftig, ohne dass jemand auf die Idee käme, dazu Pogo zu tanzen. Musikerkumpel Bird war entzückt ob der musikalischen Fähigkeiten – da kann ich zwar nicht mitreden, aber dass gerade der Drummer Schwerstarbeit verrichtete, war nicht zu übersehen. Schaute man jedoch in die Gesichter, war keine Anstrengung zu sehen – als würde sich das Zeug von alleine spielen, teilweise eine halbe Stunde lang, pro Song.
Sechs Stück sollen es bis zur Zugabe gewesen sein um 23.45 Uhr. Da standen COLOUR HAZE bereits 105 Minuten auf der Bühne und schoben noch ein halbes Stündchen nach. Mehr wäre unter der Woche auch des Guten zuviel gewesen. Aber es hätte auch gerne noch weitergehen können, ohne diese lästigen, irdischen Umstände wie Schlaf, Arbeit und Nahrungsaufnahme. Ein ganz famoser Abend war das, von drei sehr unterschiedlichen Bands mit vielen Gemeinsamkeiten.
Links: http://www.themidnightghosttrain.com/, https://myspace.com/themidnightghosttrain, http://www.reverbnation.com/themidnightghosttrain, http://www.lastfm.de/music/The+Midnight+Ghost+Train, http://themidnightghosttrain.bandcamp.com/, http://radiomoscow.net/, https://myspace.com/radiomoscow, http://www.reverbnation.com/radiomoscowband, http://www.lastfm.de/music/Radio+Moscow, http://www.colourhaze.de/, https://myspace.com/colourhaze, http://www.lastfm.de/music/Colour+Haze
Text, Fotos & Clips: Micha
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