Das Bett, Frankfurt, 23.11.2017
Wenige Tage, nachdem CRIPPLED BLACK PHOENIX für mich einen Höhepunkt im Line-Up des Hammer of Doom-Festivals in Würzburg darstellten (Bericht hier), führte sie ihre gerade laufende Tour als Headliner in den Frankfurter Club „Das Bett“. Nicht zum ersten Mal, bereits 2012 erlebte ich sie dort und war schwer angetan. In der Zwischenzeit gab es einige Änderungen in der Besetzung der Band – kein Wunder bei inzwischen acht Mitgliedern auf der Bühne. Boss ist der Gitarrist Justin Greaves – auch ein Drummer, der im Studio meist ebenfalls für die Schlagzeugspuren von CBP verantwortlich ist und diese Tätigkeit bereits bei ELECTRIC WIZARD und vor allem bei IRON MONKEY ausübte.
Mit dem Sound seiner Vorgängerbands hat der von CBP allerdings nicht viel zu tun – die Attribute Post-Rock, Art-Rock oder Psychedelic-Rock, die der Formation meist verpasst werden, überwiegen und bescheren ihr begeisterte Jünger unter Anhängern eben dieser musikalischen Richtungen. Folk-Rock, Post-Punk und Stonerspuren lassen sich allerdings auch problemlos attestieren. Kurz: CBP sind eine Grenzgängerband – eine, die längst ihre eigene Schublade eingerichtet hat. Und sind solche nicht unterm Strich immer die interessantesten?
Als Support haben CBP Musiker dabei, auf die das ebenso zutrifft, frühes Erscheinen war also Pflicht. Jonathan Hultén, zum Beispiel. Der Künstler ist bekannt als Gitarrist der schwedischen TRIBULATION – eine Band zwischen Thrash-, Death-, Black- und Goth-Metal, bei der er unter dem Alias Necromantic Art auch für Teile des Artworks verantwortlich zeichnet. Kunstvoll verziert, agiert er auch bei TRIBULATION – im Vergleich zu seiner Gewandung solo vor CBP war das aber noch gar nichts.
Keine Ahnung, ob es Hintergedanken gibt zu seiner aufwändigen Gesichtsbemalung (wahrscheinlich schon): Ich als Laie fühlte mich durch Kostümierung, Bemalung und vor allem durch die reglose Gestalt hinter Hultén an Anime-Filme erinnert. Nicht mein Fachgebiet, die Figur auf der Bühne erinnerte mich jedoch an das „Ohngesicht“ aus „Chihiros Reise ins Zauberland“ von Hayao Miyazaki. Leicht abgewandelt. Er präsentierte die Songs seiner EP „The Dark Night of the Soul“, stark beeinflusst vom Depro-Songwriter Nick Drake, dem Hultén auch in der Phrasierung ähnelt.
Der Vortrag nahm die noch spärlich anwesenden Gäste so sehr gefangen, dass jeder, der schwätzend und polternd den Raum betrat, umgehend ein überzeugendes „Schhhh“ zu hören bekam, mit der dazu passenden Geste des Fingers vor den Lippen. Erstaunlich, dass das funktionierte und tatsächlich Ruhe gehalten wurde. Ich konnte während der knapp 30 Minuten meine Augen nicht von diesem lebenden Kunstwerk mit seinen femininen Bewegungen und der mehr geraunten Artikulation abwenden, die vielleicht Folk vom Liedgut her spielte, puren Gospel aber in ihrer Intensität.
Am Ende der beeindruckenden Performance gesellte sich noch Carmen Susana Simões, Sängerin der anschließend auftretenden EARTH ELECTRIC, zu Hultén. Ihre sphärische Stimme kontrastierte sehr gut mit seiner. Nach dem Gig lächelte dieser beseelt, Erleichterung war ihm anzusehen. Obwohl ganz anders im Klang im Vergleich zu seiner Hauptband, vergrößerte dieses Konzert meinen Frust darüber, dass ich TRIBULATION im kommenden Februar (wieder) verpassen werde, wenn sie mit ARCH ENEMY touren. Kommt. Bitte. Baldigst. Nach. Frankfurt. Läuft doch toll, hier.
Grenzgänger sind auch EARTH ELECTRIC, auf ihre Art. Das Quintett (der Keyboarder wurde schamhaft hinter einer Rauchwand verborgen und auch nicht offiziell aufgeführt – warum so was immer den Keyboardern passiert wäre mal einen Extra-Artikel wert) spielt Art- oder Prog-Rock oder sowas in der Richtung. Zwei der Akteure, besagte Carmen Susana Simões sowie der Gitarrist Rune „Blasphemer“ Eriksen (beide sind miteinander verheiratet), musizierten bereits gemeinsam bei den semi-legendären AVA INFERI, den Norweger Eriksen kennen wir darüber hinaus als Teil von Knallern wie MAYHEM oder AURA NOIR (Bericht hier).
Mit Black Metal hat das Schaffen als EARTH ELECTRIC aber nichts zu tun – Eriksen wohnt ja mittlerweile im sonnigen Portugal und nicht mehr im bibberigen Norden. Logisch, dass man da das Leben entspannter sieht, wenn sich zusätzlich noch die obligatorische Altersmilde entwickelt. Er sah jedenfalls den ganzen Auftritt über so aus, als würde er ein entspanntes Liedchen pfeifen über seine Riff-Attacken, die vom Geprügel des Schlagzeugers Ricardo Martins und dem dominanten Bass von Alexandre Ribeiro zusammen gehalten wurden. Letzterer steuerte sein Instrument teilweise aus der Distanz mit einem leuchtenden Ring am Finger – für mich als Laie sah das ähnlich aus wie das Spielen eines Theremins. Also ein Betasten der Luft zwischen zwei Polen. Vielleicht war das aber auch ein Kraftring aus der Werkstatt der Green Lanterns, was weiß ich schon. Sah aber interessant aus.
„Interessant“ war auch die Musik als Ganzes, changierend zwischen „faszinierend“ und „schrecklich, aber ich kann nicht wegschauen“. Eingängig sind die Songs von EARTH ELECTRIC nicht, das macht sie aber noch lange nicht zu Prog-Meisterwerken. Die sphärische Elfenstimme von Simões und ihr dargebrachter Ausdruckstanz rückten das Ganze in Waldorfschulen-Nähe, alles zusammen war… merkwürdig. Aber eben interessant. Die Akteure auf der Bühne hatten jedoch alle sichtbar Spaß dabei, vielleicht mit Ausnahme des vernebelten Keyboardspielers.
Und der Spaß sollte noch lange kein Ende haben. Angeblich ist es nicht so einfach, mit Justin Greaves auszukommen, fragt man diverse Ex-Mitglieder, mit denen er teilweise sogar im Rechtsstreit um den Namen CBP auseinander ging. Die aktuelle Besetzung ist aber extrem gut eingespielt, der Sänger und Gitarrist Daniel Änghede (auch bei den Synth-Poppern HEARTS OF BLACK SCIENCE) ist schon seit 2013 dabei, Pianistin Daisy Chapman ebenso (die auch schon mit Howe Gelb spielende Chapman kam zurück, 2011 war sie ebenfalls dabei). Da diese gegenwärtig jedoch im Mutterschutz ist, wird sie von Helen Stanley auf dieser Tour ersetzt. Gitarrist Jonas Stålhammar (seit 2015) bringt noch mehr Metal-Reputation in die Formation (u. a. ist er noch bei AT THE GATES aktiv), trat am gestrigen Abend aber in einem MAGMA-Shirt auf. Grenzgänger, sag‘ ich doch. Mit Shirt-Verkäuferin und Teilzeit-Sängerin Belinda Kordic (seit 2011) teilt sich Greaves das wavige Projekt SE DELAN. Keyboarder Mark Furnevall ist seit 2010 an Bord, Bassist Tom Greenway stieß 2016 dazu. Drummer Ben Wilsker wiederum seit 2011, allerdings nicht im Studio.
Mit weniger Bühnenplatz und weit weniger Licht als in Würzburg fingen CBP genauso an wie dort, erweiterten ihre Setlist jedoch auf schließlich feudale 110 Minuten, an deren Ende alle gemeinsam feierten, Vor- wie Hauptact, Musiker wie Publikum. Mit „False Spring“ von ARBOURETUM wurde noch so einer Band musikalisch gedacht, die zwischen mehreren Genre-Stühlen sitzt, ebenso wie „Will-o-the-Wisp“ von MAGNOLIA ELECTRIC CO.; beide Covers sind auch auf der aktuellen EP „Horrific Honorifics“. CBP covern oft und viel, legendär ist ihre Version von PINK FLOYDs „Echoes“. Gestern blieb es aber dabei, genug eigenes Material wollte verbraten werden, darunter das komplette der ebenfalls aktuellen (und scheinbar nur digital erhältlichen) „Budapest Vigilante Sessions“, deren Songs gerne mal die Zehn-Minuten-Marke überschreiten.
Obwohl Justin Greaves ständig vom Mikrofon mit Stromstößen malträtiert wurde (Einwurf eines Gastes: „Your lips are too wet!“), bekam er das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht, sprang zum Ende hin, als EARTH ELECTRIC ebenfalls die Bühne ein weiteres Mal betraten, sogar ins Auditorium und feierte kräftig mit. Die einzigen, die an diesem großartigen Abend nicht mitgrinsten, waren die Veranstalter, die mit erheblich mehr Zuspruch gerechnet hatten. Schade für sie. Alle anderen waren mehr als zufrieden, beeindruckt, überwältigt. Für mich eindeutig in den Top Ten in diesem Jahr.
Links: http://jonathanhulten.com/, https://de-de.facebook.com/chantsfromanotherplace/, https://jonathanhulten.bandcamp.com/, https://soundcloud.com/jonathanhulten/tracks, http://jdhulten.com/illustration, https://www.last.fm/de/music/Jonathan+Hultén, https://www.facebook.com/earthelectricband, https://earthelectric.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Earth+Electric, http://www.crippledblackphoenix.co.uk/, https://de-de.facebook.com/CBP444/, https://crippledblackphoenixsom.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Crippled+Black+Phoenix
Text, Fotos (15) & Clips: Micha
Fotos (15): Eric, https://www.flickr.com/photos/vanreem
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