Das Rind, Rüsselsheim, 25.09.2013
Mit traditionellen Metal-Konzerten der Subgenres Epic-, True-, Power- und Speed-Metal wird man in Frankfurt nicht gerade verwöhnt. Die einzige Location, die Gigs dieser Art unterstützte, war Die Halle im Stadtteil Riederwald, die aber leider 2010 ihre Pforten für immer geschlossen hat. Aktuell finden Shows bekannter 80s-Metal-Ikonen meist im Colos-Saal in Aschaffenburg oder eben, wenn auch seltener, im Rüsselsheimer Rind statt. Letzteres gibt es nun schon seit 21 Jahren und in etwa so lange dürfte es her sein, dass ich dort als junger Hüpfer an einer Gothic-Party teilnahm. Gestern erlebte ich den Club daher erstmals als Location eines Live-Gigs. Und es war nicht irgendein Auftritt, der mich nach Rüsselsheim lockte, sondern der einer der größten Kult-Combos des Metal-Genres: MANILLA ROAD. Deren Show nehmen wir uns im zweiten Teil unserer Berichterstattung zu der Konzertnacht an (hier); diese Review widmet sich den beiden Special Guests, den polnischen Power-Metallern CRYSTAL VIPER und der deutschen Formation MASTERS OF DISGUISE, die an diesem Abend ihr Live-Debüt gab.
Als Opener fungierten MASTERS OF DISGUISE, bei deren Namen es beim geneigten Metal-Connaisseur klingeln dürfte. Die Band selbst ist zwar neu, bezieht sich aber vom Namen her auf einen Album-Titel der US-Metal-Legenden SAVAGE GRACE, die im
Jahr 1985 das Werk „Master of Disguise“ veröffentlichten, das bis heute zu den besten Metal-Scheiben aller Zeiten zählt. SAVAGE GRACE sind längst Geschichte, doch als Bandleader, Gitarrist und Sänger Christian Logue vor zwei Jahren noch einmal unter dem Namen SAVAGE GRACE durch Deutschland tourte, wurde er dabei von deutschen Musikern der Band ROXXCALIBUR begleitet und trat in dieser Formation auch in der oben erwähnten Halle in Frankfurt auf.Tatsächlich dachte Logue wohl kurzzeitig darüber nach, mit diesem Lineup ein neues SAVAGE GRACE-
Album einzuspielen, doch dazu ist es nie gekommen. Aus diesem Grund haben ROXXCALIBUR kurzerhand ihren eigenen Sänger Alexx Stahl (oben) ins Boot geholt und das Projekt MASTERS OF DISGUISE ins Leben gerufen, bei dem man nun auf den Spuren des großen US-Vorbilds wandelt. Das mag man einen dreisten Ideen- Raub nennen, man kann es aber auch als liebevolle Hommage an eine große Band bezeichnen. Fest steht, dass es die Jungs von MASTERS OF DISGUISE auf ihre alten Tage noch einmal wissen wollen. Die Combo betrat – in Anlehnung an das Coverfoto der SAVAGE GRACE-Scheibe, auf dem ein amerikanischer Motorrad-Polizist ein nacktes Mädchen mit Handschellen an sein Bike gefesselt hat – in US-Polizei-Uniformen die Bühne und legte furios los.Musikalisch klang es wirklich ein wenig nach dem großen Vorbild, geboten wurde eine rasante Mischung aus Speed- und Power-Metal, die von Stahl’s markanter und hoher Stimme dominiert wurde. Gespielt wurden hauptsächlich Eigenkompositionen, aber auch zwei Cover-Versionen von SAVAGE GRACE. Höhepunkt des Gigs war, als Knutson, der Cop von besagtem Plattencover, in natura auf der Bühne auftauchte und recht ruppig ein Mädchen aus dem Publikum an den Haaren packte, sie über das Podest zerrte und ans Drum- Kit fesselte. Eine nette, mutmaßlich abgesprochene Showeinlage und ein solider erster Auftritt der Jungs aus Worms, die durchaus das Zeug dazu haben, in die Gefilde von GRAVE DIGGER, RUNNING WILD und Co vorzudringen. Ein Album soll noch 2013 erscheinen.
Als zweiter Act folgten die polnischen CRYSTAL VIPER, die in diesem Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum begehen und auf immerhin vier Outputs zurückblicken. Die Formation bedient in puncto Optik, Lyrics, Album-Cover und Stage-Acting
alle gängigen Metal-Klischees, eingeschlossen Spandex-Hosen und Drachenblut, in dem die vier Metal-Krieger aus unserem Nachbarland offenbar kurz vor dem Gig gebadet hatten. Auch in den Pseudonymen der einzelnen Mitglieder wird der Metal gelebt: Andy Wave (Gitarre) und Golem (Schlagzeug) klingen zwar eher wie die Namen einer Jugendgang, der ich im Grundschulalter angehörte, aber irgendwie ist das wohl Teil des True-Metals. Den Bass bedient Michal Badocha, die Front-Röhre der Band hört auf den Namen Marta Gabriel und könnte glatt als schwarzhaarige Zwillingsschwester von Doro Pesch durchgehen.Musikalisch boten CRYSTAL VIPER klassischen Power-Metal, für den man sich als Freund des Genres durchaus begeistern kann. Mir war das Ganze auf die Dauer allerdings etwas zu bieder und klischeebeladen, vor allem aber ist mir aufgrund der ständigen hohen Schreie der Sängerin fast der Schädel zersprungen. Was ich zudem gar nicht leiden kann, sind debile Mitklatsch-Aktionen und rhythmische „Hey, hey, hey“-Rufe. Dinge, die für mich eher in den Musikantenstadl gehören.
Die anwesenden True-Metal-Fans – übrigens alle vorschriftsmäßig in kunterbunte Kutten gewandet – hatten aber zweifellos Spaß und zumindest die Hardliner in der ersten Reihe grölten jeden Song begeistert mit. Ich für meinen Teil befürchtete nach Song Nummer Fünf die Gefahr einer akustischen Lobotomie und beschloss daher, den am Bahnhof gelegenen Imbiss aufzusuchen, um mich dort mit einem doppelten Steak & Cheese-Sandwich zu stärken. Als ich wiederkam, war der Spuk noch nicht vorbei: Marta, übrigens kaum größer als ihre Gitarre, war noch immer am Schreien. Nach einer weiteren Viertelstunde war die Messe dann endlich gelesen und es konnte losgehen mit MANILLA ROAD. Den Bericht dazu lest Ihr hier.
Links: http://www.crystalviper.com/, https://myspace.com/crystalviperofficial, http://www.lastfm.de/music/Crystal+Viper, http://masters-of-disguise.com/, http://www.lastfm.de/music/Masters+of+Disguise
Text: Marcus / Fotos: Micha
Mehr Bilder: