Festhalle, Frankfurt, 17.11.2022
Fett im Geschäft und doch für viele unter dem Radar: THE CURE sind im 47. (!) Jahr ihres Bestehens eine Institution. Für ihre Tourneen muss man kaum Plakate kleben – es spricht sich unter den Anhängern der Band um deren Kopf Robert Smith schnell herum, dass da live mal wieder was geht. Auch, wenn keine neue Platte beworben wird. Dafür (ein wenig) eine alte: „Wish“ ist dieses Jahr 30 Jahre alt geworden und erfährt am 25. November eine hübsche Neu-Veröffentlichung mit den üblichen Outtakes sowie einem Reprint der nur einem kleinen, exklusiven Sammlerkreis 1992 vergönnten Tape-EP „Lost Wishes“. Wie wichtig „Wish“ seinerzeit war, wie verzweifelt und durch den darauf erhaltenen Trademark-Song „Friday I’m In Love“ größtenteils komplett missverstanden, wird sehr anschaulich im aktuellen Musikexpress beschrieben, den man als interessierter Mensch ohnehin regelmäßig lesen sollte, auch wenn er inzwischen leider bei Axel Springer erscheint. Die mit dieser Tatsache verbundenen Blödheiten erlebt man dankenswerterweise nur auf dessen Internetpräsenz – das Magazin gehört zu den kompetentesten sowie am meisten diversen Musikzeitschriften im Land und ist, zumindest für mich, unentbehrlich trotz regelmäßig erscheinender Werbung für die im selben Haus erscheinenden Krawallpostillen Bild und Welt.
Herabwürdigende Sprache sowie ein kritisch zu sehendes Humorverständnis findet man allerdings nicht nur bei Springer, sondern ebenso zur besten Sendezeit im TV von Individuen, die meist als nett, sanft oder harmlos gelten. Selbst solche Menschen finden immer noch andere, bei denen es trotz ständig beschworener „Cancel Culture“ erlaubt scheint, Body-Shaming zu betreiben. Mark Forster, einer der Meister des ubiquitären und völlig egalen Popschlagers in Deutschland, war sich in der von ihm gewonnenen, letzten Staffel von The Voice Of Germany nicht zu blöd dafür, ein von Moderatorin Melissa Khalaj mitgebrachtes Porträt von Robert Smith mit dem Spruch zu kommentieren, dieser sehe aus wie „die Oma von Bill Kaulitz“. Feminine Männer mit Schminke und dann auch noch alt – scheint Konsens zu sein in unserer Gesellschaft, solche Personen dissen zu dürfen. Im Netz wurde der „Gag“ als Knaller gefeiert. Forsters Spruch diskriminiert im Übrigen nicht nur Smith, sondern ebenso Kaulitz wie dessen Oma. Dass andererseits ein hemdsärmliger musikalischer Has Been wie Paul Weller (Ex-THE JAM) in einem britischen Blatt mit der Aussage zitiert wird, Smith sei eine „F***ing fat c*** with his lipstick on…“ etc. verwundert da eventuell weniger, toppt das Ganze in puncto Widerlichkeit allerdings noch um ein ganzes Stück.
Nun, solche oberflächlichen Ressentiments schienen in der Festhalle sowie auf den weiteren 45 Stationen dieser Tour durch die größten Arenen Europas keine Rolle zu spielen. Wobei das Publikum 2022, ähnlich wie von uns hier 2016 über ein CURE-Konzert an gleicher Stelle erwähnt, optisch nicht besonders divers wirkte. Personen in Gruft- bzw. Goth-Outfits waren in der Minderheit. Zwar dominierte Schwarz als Klamottenfarbe eindeutig – die Menschenmassen, die sich aus der U4 am Messegelände begaben um in Richtung des Halleneingangs zu pilgern, hätte man jedoch ebenso als Besuchende eines Sportevents, der Rolling Stones oder gar Helene Fischer identifizieren können. THE CURE sind die „Elder Statesmen des Indie Rock“, so nochmal der Musikexpress in seiner aktuellen Titelstory, „die man unbedingt einmal im Leben gesehen haben muss“. Und die, so schien es zumindest in Frankfurt, mit Liebe überschüttet wurden.
Einmal mehr durften die Schotten THE TWILIGHT SAD eröffnen – vielen Anhängern von THE CURE sind sie inzwischen nicht nur ein Begriff, sondern wurden von ihnen auch sehr warm empfangen sowie nach 45 Minuten gleichermaßen wieder verabschiedet. Ich hasse es ja, wenn die Vorbands in der Berichterstattung überhaupt nicht erwähnt werden, wie es bei den meisten Tageszeitungen leider der Fall ist – im Falle von THE TWILIGHT SAD, die ich nun zum dritten Mal als Vorband erleben durfte, verkneife ich mir jedoch ebenso die tiefere Beschäftigung, weil sie mir persönlich dafür am Ende zu egal waren. Das änderte sich auch nicht nach mehreren Durchläufen des aktuellen Drehers „It Won/t Be Like This All the Time“, der keinesfalls schlecht klingt. Vielleicht bin ich einfach noch nicht reif dafür. Dass sie schon 30 Minuten vor dem offiziellen Beginn ran mussten, kann man den Veranstaltern durchaus übelnehmen. Den Fans des Headliners, die auf eine dreistündige Show hoffen durften, kam dieser Umstand allerdings gewiss entgegen (zumindest bei mir war es so).
Mit schlechtem Wetter fing es an, Regengeräusche machten sich breit in der Festhalle vor 20.45 Uhr. „Alone“, ein neuer Track des irgendwann demnächst erscheinenden, 14. Studioalbums „Songs Of The Lost World“ (wenn sich am Titel nicht noch was ändern sollte), eröffnete schließlich das Bühnengeschehen. Es sollte nicht der einzige sein im Verlauf der folgenden, letztlich „nur“ 2,5 Stunden. THE CURE lieben es ja, an der Setlist ein wenig zu drehen und nicht jeden Abend das Gleiche zu spielen – zwei Konstanten gab es auf dieser Tour jedoch: „Alone“ war der Beginn und das von mir sehr geliebte „Love Cats“ – nun, auf das werde ich wohl bis in alle Ewigkeit vergeblich warten müssen. Warum dieser Song in der Smith’schen Wertigkeit so weit unten steht, „Friday I’m In Love“ als Fanpleaser jedoch immer fest gesetzt scheint, entzieht sich wie so vieles mehr meiner Kenntnis.
Alle neuen Stücke (in Frankfurt waren es wohl sogar fünf) fügten sich nahtlos ein in den Vortrag, der am meisten „Disintegration“ (1989) sowie „The Head On The Door“ (1985) mit jeweils vier Songs bedachte. Das Zusammenspiel der sechs Musiker, darunter Simon Gallup am Bass (nach Smith der Dienstälteste bei THE CURE), Roger O’Donnell (Keyboard, seit 1987), Perry Bamonte (Gitarre u. a., seit 1990), Jason Cooper (Schlagzeug, seit 1995) sowie Reeves Gabrels (Gitarre, seit 2012; alle jedoch mit teils längeren Pausen sowie Veröffentlichungen mit namhaften weiteren Künstlern) war erlesen, ohne vordergründig durch protzige Soli die Songdienlichkeit zu verlassen, wie es in maskuliner erscheinenden Spielarten des Rock’n’Roll meist der Fall ist. Dass darüber hinaus die Stimme von Robert Smith noch so herzerwärmend gut funktioniert ist nach den vollbrachten Dienstjahren sowie den (lange) zurückliegenden Drogen-Eskapaden ebenso keine Selbstverständlichkeit.
Zwei Pausen gab es, die darauf hätten verweisen können, dass ab diesem Zeitpunkt nur noch eine kurze Zugabe zu erwarten wäre, würden nicht THE CURE oben auf dem Podest stehen. Nach 16 (!) Stücken, der neue „Endsong“ rundete diesen ersten Block ab, wurde zum Anfang des zweiten noch ein neues Werk gegeben, bevor die Dichte an Klassikern rasant zunahm. Nach der zweiten Pause und dessen atemberaubenden Abschluss „A Forest“ erschien das Sextett zu einer weiteren halben Stunde, die keine Wünsche offen ließ (außer meinem nach „Love Cats“, naja): „Lullaby“, „The Walk“, „Let’s Go To Bed“, „Friday I’n In Love“ (na gut), „In Between Days“, „Just Like Heaven“ sowie das abschließende „Boys Don’t Cry“ machten den Sack zu, mehr gab’s nicht – länger macht Bruce Springsteen das heutzutage aber auch nicht mehr. Highlights jenseits des Kanons waren aus meiner Sicht „Shake Dog Shake“ vom ewig unterschätzten Trip „The Top“ (1984) sowie das tribalistische „Cold“ von „Pornography“ (1982) im zweiten Teil der Show. Zum Glück scheinen THE CURE das Livespielen zu lieben, unabhängig von der Bewerbung einzelner Tonträger. Die Chancen, die Band in Zukunft wieder sehen zu können stehen also nicht schlecht. Und das sollte ja jede(r) zumindest einmal im Leben getan haben.
Links: http://www.thetwilightsad.com/, https://www.facebook.com/thetwilightsad, https://soundcloud.com/the-twilight-sad, https://www.reverbnation.com/thetwilightsad, http://www.last.fm/de/music/The+Twilight+Sad, http://www.thecure.com/, https://www.facebook.com/thecure/, https://myspace.com/thecure, http://www.last.fm/de/music/The+Cure
Text & Fotos (3): Micha
Fotos (25): Kai
Alle Bilder: