DER WEG EINER FREIHEIT, REGARDE LES HOMMES TOMBER, BIZARREKULT

Colos-Saal, Aschaffenburg, 27.09.2022

Regarde Les Hommes TomberSeit März/April diesen Jahres werden Konzerte weniger verschoben – einiges wird endlich nachgeholt, anderes noch schnell organisiert und durchgeführt, bevor man befürchten muss, im Herbst oder Winter wieder ins livetechnische Zölibat gehen zu müssen. Nicht nur die Besuchenden der Shows freut das trotz spürbarer Vorsicht enorm – vor allem die Musiker*innen sind glücklich über die Möglichkeit, interaktiv Klangkunst zu fabrizieren und selbst kleinste wie untätigste Crowds willkommen zu heißen. Und dabei die vielleicht am meisten beseelten Gigs ihrer bisherigen Karriere produzieren. Die Resonanz des Publikums beim Treffen der europäischen Black Metaller DER WEG EINER FREIHEIT aus Würzburg, REGARDE LES HOMMES TOMBER (Nantes, Frankreich) sowie BIZARREKULT (inzwischen Oslo, Norwegen – früher Regarde Les Hommes TomberSibirien, Russland) im Aschaffenburger Colos-Saal wäre in prä-pandemischen Zeiten als „ganz okay“ durchgegangen – für ein Fast-Heimspiel (Gitarrist Nicolas Rausch, seit 2017 bei DWEF, stammt aus „Aschebersch“) war der Zuspruch eigentlich sogar ziemlich mau. Wenn irgendein Gefühl jedoch vorherrschte bei allen Akteuren an diesem Abend, dessen Töne einst von eher lebensverneinenden Menschen erschaffen wie geprägt wurden, dann war das Dankbarkeit.

Die offenbarte sich am prägnantesten beim Opener, der (im Studio) Ein-Mann-Band BIZARREKULT. Bis auf einen tapferen Bandbond-Aktivisten, der vom ersten Ton an den ganzen Abend mittig vor der Bühne sein frisch erworbenes BizarrekultVinyl hütete und dabei kopfschüttelnd den „Pit“ definierte, sowie einen YouTube-Chronisten am linken Rand, verharrte der Rest der Anwesenden in den Seitenbereichen oder jenseits der gedachten Mittellinie des Colos-Saals. Der Sänger der Formation warb fleißig wie zwecklos zum Näherkommen, aber Pustekuchen. Trotzdem wurde das Publikum gelobt bis zum Abwinken, wie toll wir doch alle wären, wie schön es sei hier spielen zu dürfen, die „Energie zu teilen“, etc. p.p. Das wirkte alles sehr sympathisch, leicht verunsichert und ganz und gar nicht nach Black Metal. Da wird von den Traditionalisten gewiss wieder Hipstertum gewittert.

BizarrekultInteressant bei der knapp halben Stunde Spielzeit, die hauptsächlich vom Material des 2021-er Tonträgers „Vi Overlevde“ gespeist wurde (jedoch auch schon eine Vorschau auf die nächste Platte enthielt) war ebenso das, was sich nicht auf den ersten Blick erschloss. „Vi Overlevde“ ist ein sehr gutes Stück Musik mit leichtem Post-Rock-Touch, aber null vergleichbar mit den Sounds, denen BIZARREKULT Bizarrekultin russischen Zeiten frönten und die viel harscher sowie eintöniger klangen. Zu hören ist das auf deren Split mit der russischen Band THEOSOPHY (2008), die damals den Klangkörper von BIZARREKULT darstellte. Also im Prinzip die gleiche Combo.

Die Band des vom Label Season Of Mist als „lone wolf“ bezeichneten Roman V hat mit dem Umzug einiges verändert und modernisiert. Trotzdem beruft sich die Plattenfirma auf die Vorgeschichte des Mannes und ist sich dabei nicht zu schade, den allein im Studio produzierenden Roman mit musikalischen Hochkarätern wie BURZUM zu vergleichen, der allerdings im Gegensatz zu BIZARREKULT seelisch wie moralisch am untersten Level der menschlichen Entwicklung anzusiedeln ist. Geht ja mal wieder nur um Bizarrekultdie Kunst. Roman V kann dafür nix, ein Geschmäckle bleibt beim Lesen trotzdem.

Laut Label hat BIZARREKULT zwei Sänger: Roman sowie D alias Dina. Letzteren auch schon zu Russland-Zeiten. Wäre das Licht nicht so schwarz-metallisch hinterrücks am Start gewesen, hätte man vielleicht erkennen können, ob der am Merchstand präsente Kerl, der ansprechend illuminiert sehr nach Roman aussah, auf der Bühne stand oder eine andere Figur für die Live-BizarrekultUmsetzung der Schreie verantwortlich war. Oder Roman und D doch die gleiche Person sind. Ich tendiere ja stark zum Letzteren, genau bestätigen kann ich das aber nicht.

Der Rest der Truppe, also von BIZARREKULT, war jedenfalls die sonst etwas proggigere norwegische Formation ENRAPTURE. Hätte man in Sibirien also THEOSOPHY live erlebt beim Lösen eines Tickets für BIZARREKULT, so sieht man seit dem Neustart eigentlich die Norweger ENRAPTURE. Puh. Kommerziell auf dem aufsteigenden Ast sind dabei auf jeden Fall BIZARREKULT, die nicht nur in Aschaffenburg zufriedene Hörende hinterließen, sondern auch in den Foren der Metal-Magazine euphorisch besprochen werden. Das war jedoch erst der Appetithappen.

Frankreich – das Nachbarland mit einer unbändigen Anzahl an Metal-Bands, die hier kein Schwein kennt. Als würden Ozeane zwischen unseren Ländern liegen. REGARDE LES HOMMES TOMBER haben es da ein wenig besser, seitdem sie 2014 das Roadburn Festival in Tilburg (Niederlande) in Schutt und Asche gelegt haben sollen Regarde Les Hommes Tomberund sich damit einen hervorragenden Ruf erkämpften. Den die Tonträger natürlich noch intensivieren. Die drei bisher erschienenen Alben, angeblich in irgendeiner Form eine Trilogie bildend, faszinieren extrem mit ihrer Mischung aus keifender Black Metal-Raserei, sludgigem Gestampfe sowie Prisen von Post-Irgendwas und Hardcore. Nix Hipstertum.

Auch die reinigenden Kräfte von Rauch und Feuer gehören dazu, nicht so atemwegszersetzend wie bei den zeitgleich in Norddeutschland tourenden WATAIN, bei denen zur Konzertintensivierung auch mal eine brennende Fackel Regarde Les Hommes Tomberins Publikum geschmissen wird (fragt YouTube) – aber so, dass sich das Ganze schon Ritual schimpfen darf. Mit Räucherstäbchen im Kerzenschein angefangen wurde hier 55 Minuten so derbe rumgetobt und das Publikum gestenreich umgerührt, bis die Schminke über den Lederjacken nur noch als schwarzer Sturzbach wahrzunehmen war, sollte das Licht einmal dezent von vorne kommen. Die Feuerlöscher standen bereit, Sicherheit geht vor. Gebraucht wurden sie aber nicht, selbst nicht zum Ende, als die Flammen vor dem Drumset loderten. Ebenfalls hier: „Danke schön, Aschaffenburg“ trotz jeder Menge Platz statt Pit. Aber toll wars.

Demut vor dem Publikum sowie eine gewisse Nettigkeit – das zeichnet DER WEG EINER FREIHEIT neben diversen musikalischen Dingen schon immer aus, nicht erst seit der Pandemie. Kenne so Einige, die sie dafür hassen. Auch ihre Beschäftigung mit dem Werk Hermann Hesses, den die meisten Leser Der Weg einer Freiheitspätestens ab einem Alter von 20 Jahren aus dem Bücherschrank kicken, mutete bei dem Teil der metal-zelebrierenden Bevölkerung, der überhaupt weiß, wer das war, merkwürdig an. Beim Erscheinen ihres letzten Studioalbums „Noktvrn“ zeigte die Formation, die dem Post-Black Metal mit „Stellar“ 2015 ein Referenzwerk geschenkt hat, dass mit ihrer Entwicklung noch lange nicht Schluss ist und bisher Ungewohntes durchaus Platz hat in ihrem musikalischen Wachstum.

Der Weg einer Freiheit

Nikita Kamprad, Mastermind des Quartetts, beschrieb in diversen Interviews zur Veröffentlichung, dass er erst lernen musste Verantwortung innerhalb der Band abzugeben sowie mehr Innovationen zuzulassen als bisher. Erste englischsprachige Tracks, mehr Soundvielfalt oder Gastfeatures waren die Folge. Der Weg einer FreiheitDass der Vierer live tight as fuck aufspielt war die Folge des Entstehungsprozesses dieser Platte; wie vier Finger einer Hand agierten Kamprad, Rausch sowie Tobias Schuler an den blast-beatigen Drums und Nico Ziska am Bass.

Nun wurden sie vom Publikum willkommen geheißen, das den zuvor leeren Platz vor der Bühne füllte um steil zu gehen oder mit Ziska mal anzustoßen. Vorfreude bei den Fans, als der obligatorische Nebel die Bühne zukleisterte: „Da ist er ja wieder – der Dampf“ hieß es da, physikalisch nicht ganz einwandfrei ausgedrückt, doch in freudiger Erregung. Kamprad bedankte sich mehrmals für das Erscheinen, während er mit seiner Gang einen Der Weg einer FreiheitMix aus Titeln der letzten Scheibe (drei Stücke), dem Vorgänger „Finisterre“ (eins) und einigen Uralt-Brechern darbot, darunter das laut Kamprad von Fans gewünschte „Posthum“ von der elf Jahre alten EP „Agonie“. Ob der Wunsch aus Aschaffenburg kam war fraglich; zu verhalten war die Reaktion auf das Anbieten dieses Kleinodes. Das schmälerte jedoch in keiner Weise die gegenseitige Wertschätzung, die mit Der Weg einer FreiheitHänden greifbar schien an diesem Abend.

Gut 80 Minuten dauerte das Black Metal-Fest mit den positivsten Vibes, die man sich dazu vorstellen kann und welches mit „Zeichen“ von 2012 seinen Abschluss fand. Drei großartige Formationen, davon zwei über Gebühr beeindruckend in meiner Wahrnehmung, sorgten für einen der schönsten wie intensivsten Konzertabende bisher in diesem Jahr. Mögen noch ein paar weitere folgen.

Links: https://www.facebook.com/bizarrekult/, https://bizarrekult.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Bizarrekult, https://www.facebook.com/rlhtband, https://rlht.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Regarde+Les+Hommes+Tomber, http://derwegeinerfreiheit.wordpress.com/, http://derwegeinerfreiheit.bandcamp.com/, http://www.lastfm.de/music/Der+Weg+einer+Freiheit

Text & Fotos: Micha

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2 Comments

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2 Responses to DER WEG EINER FREIHEIT, REGARDE LES HOMMES TOMBER, BIZARREKULT

  1. R

    Hi,

    thank you for your report.
    I used google translate to read it and maybe I misunderstood something…but let me clarify a few things.

    I did the demo in 2006 with all instruments recorded by myself, with exception of drums.
    Later that drummer started playing for Theosophy. As I knew the guys I suggested to do a split CD together taking my and their demos.

    BK was a pure studio project until 2021.
    My live line-up these days is indeed me + four members of Enrapture.
    The person at the BK merch stand and vocalist of BK is the same person 😉
    „D“ is not performing live with the band, she is doing clean vocals on the album.

    • Micha

      Hi Roman,

      thank you for helping out. I felt a bit overstraint with the information I found on the net about your project and am very glad that you read my review and got things straight. Hope to see you and your collaborators again soon, your gig was a pleasure.
      Greets, micha