Halle 02, Heidelberg, 22.04.2016
Manchmal ist es ein kleiner Funke, der einem bewusst macht, dass in einem alles Vergangene schlummert – auch das Zurückgelassene, Abgelegte und Verarbeitete. Beispiel ACCEPT: Ich habe die Band zwei Mal in den Achtzigern gesehen, amüsierte mich dabei einmal prächtig und einmal mäßig und hakte sie für mich ab. Bereit für neue Klänge. Die bereits 1971 gegründete Formation, die ihren kommerziellen Höhepunkt in der ersten Hälfte der 80er erlebte, ist seit Jahren Geschichte: 1986 trennten sich ACCEPT von ihrem Frontmann Udo Dirkschneider erstmals, nach einer Reunion 1993 abermals 1997. ACCEPT lösten sich danach auf, eine erneute (Live-)Reunion mit Dirkschneider erfolgte 2005. Seit 1986 betreibt Dirkschneider, teilweise parallel zu ACCEPT, die Band U.D.O. Und diese war es auch, die gestern unter dem Namen DIRKSCHNEIDER auf der Bühne der Halle 02 in Heidelberg stand.
ACCEPT gibt es seit 2009 auch wieder, mit einem anderen Sänger und mit zunehmendem kommerziellen Erfolg. Der Name steht für eine Metal-Institution – für eine einflussreiche Combo, die viele nachfolgende Generationen von Metalmusikern gleich welcher Couleur beeindruckte. Udo Dirkschneider emanzipierte sich längst von seinen alten Bandkollegen, spielte auf seinen Konzerten jedoch nach wie vor den einen oder anderen Song von ACCEPT. Eine gewisse Bitterkeit über sein Ausscheiden aus der Band, die er gegründet hat, ist zwischen den Zeilen in allen Interviews zu lesen, in denen das Thema erwähnt wird – auch und obwohl die Protagonisten sich um Fairness bemühen. Doch nach nunmehr 30 Jahren U.D.O. hat Dirkschneider genug Material im Köcher, um ACCEPT-frei musizieren zu können – und genau das hat er in Zukunft auch vor. Gegönnt sei es ihm, schade ist es dennoch. Finden wohl noch ein paar andere Metalfans – die DIRKSCHNEIDER-Tour ist fast komplett ausverkauft, die Hallen deutlich größer als bei der letzten U.D.O.- Tour.
Auch ich, der in den vergangenen Jahren nur noch sporadisch „Breaker“ von 1981 und „Restless & Wild“ von 1982 auflegte und den Rest ignorierte, wollte die Gelegenheit nutzen, den „German Tank“ Songs wie „Fast as a Shark“ intonieren zu hören. Udo Dirkschneider hat eine der Aufsehen erregendsten Metalstimmen überhaupt, egal, ob man sie mag oder nicht. ACCEPT spielen aus gutem Grund hauptsächlich neuere Stücke – ihr Frontmann Mark Tornillo singt auch nicht verkehrt, aber Joe Lynn Turner kann auch keine Ronnie James Dio-Stücke singen und Dio auch nicht die von Ozzy. Geht schon, klingt aber falsch. Und wer das bezweifelt, hätte auf dieser Tour dabei sein müssen, der „Back to the Roots/Farewell to ACCEPT“-Tour.
Bevor der Meister aber amtlich Fakten schaffte, gab es noch zwei weitere Bands zu begutachten. Die Opener DYING GORGEOUS LIES (rechts, viele weitere Bilder in der Slideshow unten) eröffneten auch schon für ARCH ENEMY und wurden in dieser Funktion von mir bei der Berichterstattung ignoriert – und ich sehe kaum Anlass an dieser Praxis etwas zu verändern. Nicht mein Tisch. Nicht schlecht, aber ich höre und erlebe lieber andere Combos. Kommt vor und ist nicht böse gemeint. Und kluge Sachen sagt Sängerin Liz auch in Interviews und wahrscheinlich auch in ihren Texten, aber jetzt ist auch gut. Nächste Band, bitte.
Dass die Kanadier ANVIL als „Special Guest“ fungierten, spülte bestimmt auch noch mal den einen oder anderen in die Halle, der es mit ACCEPT nicht so hat. Theoretisch. Ein ganz bisschen Beinfreiheit gab es noch in der schlauchigen Halle während ANVIL musizierten – soviel zumindest, dass Sänger und Gitarrist Lips bei der instrumentalen Eröffnungsnummer „March of the Crabs“ in den ersten Reihen im Publikum rumturnen konnte, während er spielte. Da wunderten sich die Pressefotografen im Graben, wann der Typ endlich aus dem Off kommt, um seine beiden Kollegen auf der Bühne zu unterstützen – dabei dudelt er die ganze Zeit hinter ihnen rum, einen kompletten Song lang. Und dass, obwohl der Graben nach drei Stücken geräumt werden muss, also nur noch zwei übrig bleiben. So ein Schelm.
Talent zur großen Show hat er aber zweifelsohne, und dabei soviel Leidenschaft und Energie, dass er mit jedem erneuten Abspielen der Klassiker aus „Metal on Metal“ (1982) und „Forged in Fire“ (1983) wieder neue Fans gewinnt. Und aus viel mehr besteht eine ANVIL-Setlist eben auch nicht. Mit diesen Alben hatte das Trio Erfolg, ein Großteil der folgenden und bei verschiedenen Firmen erschienenen 14 Platten interessierten kaum jemanden. Auch die neue, von der zwei Tracks auf der Setlist standen, ist größtenteils verzichtbar, um es nett zu formulieren. Die Piratennummer „Daggers And Rum“, die mehr nach ALESTORM als nach Speed Metal klingt, ist ein hübscher und kurioser Gimmick, der nicht weh tut, aber auch nicht wirklich funktioniert.
Was aber immer wieder funktioniert, sind Klassiker wie „Mothra“ über die Riesenmotte, die Tokio angreift, „666“ und der Powerstampfer „Metal on Metal“. Dass „Mothra“ dabei einmal mehr mit dem Dildo geschrubbt wurde ist ANVIL-Routine, die aber allen Beteiligten vor und auf der Bühne Riesenspaß machte. „Free as the Wind“ wurde Lemmy gewidmet, zu dem Lips (wie wir alle) aufgesehen hat und der mit ANVIL wohl auch freundschaftlich verbandelt war. Drummer Robb Reiner, neben Lips einzige Konstante in der langen Geschichte der Band, feierte am gestrigen Abend seinen Geburtstag und wurde dementsprechend vom Publikum gehuldigt. Sein Solo war nicht übel und verschaffte Lips und dem Bassisten Chris Robertson eine wohlverdiente Pause. Kurz: Eine ANVIL-Headlinershow geht auch nicht viel länger, ANVIL sind live eine sichere Bank und gehören auf jeder Tour besucht. Von irgendwas müssen die Jungs ja schließlich leben, wenn schon keiner die Platten kaufen mag.
Als die U.D.O.-Band wenig später um kurz vor 21 Uhr vor dem Schlagzeug des Dirkschneider-Sohnes Sven synchron die Äxte reckte und Dirkschneider himself mit „Starlight“ eine Ansage machte, war klar, dass die Anreise sich nicht nur gelohnt hatte, sondern die Show posthum zur Pflichtveranstaltung wurde. Meine Fresse, war das gut. Trotz der Posen, die zu jedem ACCEPT/U.D.O.-Gig gehören, war genug Platz für spontane Gags und Zeichen, die verdeutlichten, dass die Herrschaften Bock auf diese Sause hatten. Dirkschneider auch, wenn vielleicht auch aus anderen Gründen. Eigentlich reicht ein Blick auf die Setlist (unten) und der Kundige weiß, wie geil diese Veranstaltung war. Im Gegensatz zu anderen Metal-Shoutern, die in Dirkschneiders Alter sind, ist seine Stimme noch Bombe und ein Song wie „Fast as a Shark“ von ihm live auch noch genauso groß wie auf dem 34 Jahre alten Album (schluck). Viele Stücke wie das in der Zugabe gebrachte „Balls to the Wall“ sind nach wie vor nicht meins, aber egal: Alles, was ich hören wollte, wurde in zwei Stunden gespielt – und das können auch die Fans behaupten, die andere Stücke favorisieren.
Schicht im Schacht also? Das sollte so sein, damit sich Udo Dirkschneider nicht so lächerlich macht wie die SCORPIONS auf ihrer nicht enden wollenden Abschiedstour. Werbung für seine Band U.D.O. hat er so auch gemacht, Live-Ton- und -Bildträger werden sicherlich folgen, und auf dem einen oder anderen Event kann man das 2016 ja auch noch erleben. In unserem Einzugsgebiet am 26. oder 27. August beim Neuborn Open Air Festival neben ARCH ENEMY, MANTAR und AGNOSTIC FRONT. Eine Running Order gibt es scheinbar noch nicht, aber wenn es soweit ist, werdet Ihr sie hier finden. Wir sehen uns.
Setlist: Starlight / Living for Tonight / Flash Rockin‘ Man / London Leatherboys / Midnight Mover / Breaker / Head over Heels / Neon Nights / The Princess of the Dawn / Winterdreams / Restless and Wild / Son of a Bitch / Up to the Limit / Wrong is Right / Midnight Highway / Screaming for a Love-Bite / Monsterman / T.V. War / Losers and Winners // Metal Heart / I’m a Rebel / Fast as a Shark / Balls to the Wall / Burning
Links: http://www.dying-gorgeous-lies.de/, https://myspace.com/dyinggorgeouslies, http://www.lastfm.de/music/Dying+Gorgeous+Lies, http://my.tbaytel.net/tgallo/anvil/, https://www.facebook.com/anvilmetal, https://myspace.com/anvilmetal, https://www.reverbnation.com/anvilmetal, http://www.last.fm/music/Anvil, http://www.udo-online.com/, https://www.facebook.com/UdoDirkschneiderOfficial/, https://myspace.com/udoonline, http://www.last.fm/de/music/U.D.O.
Text, Fotos & Clips: Micha
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