Au, Frankfurt, 20.10.2018
Als eines ihrer letzten Konzerte im langsam zuende gehenden Jahr hielt die Frankfurter Au noch einmal einen, im wahrsten Sinne, knallbunten Bonbon bereit: Die Briten DIRT BOX DISCO um Sänger WEAB.I.AM (rechts) schickten sich an, die Besucher frei nach ihrem Motto „We are Dirt Box, we are bastards and we love it!“ schon vor dem 11.11. mit einer Runde Punkrock-Karneval zu bespaßen. Zuhause auf der Insel sind die bizarr kostümierten und geschminkten Jungs längst kleine Stars der Szene und so durfte man gespannt sein, ob auch der Kellerclub in Frankfurt-Rödelheim aus allen Nähten platzen und wie der Auftritt des illustren Quintetts verlaufen würde. Doch vor dessen Show war erstmal der Support dran, und da erwartete die Besucher eine Planänderung.
Anstelle der DEAD KITTENS, die ursprünglich als Anheizer für DIRT BOX DISCO vorgesehen waren, aber kurzfristig absagen mussten, rutschten die heimischen Fun-Punker HACKE PETERS ins Programm, die so zu ihrem ersten Auftritt in der Au kamen. Die bereits vor 31 Jahren gegründete Formation hatte in letzter Zeit einiges an Ungemach zu erdulden: Zum einen wurde ihr aktuelles Album „Gott B-Ware“ vom Musikfanzine Ox verrissen, zum anderen kündigte Bassistin Natalie ihren baldigen Ausstieg aus der Band an (das eine hat mit dem anderen nachweislich nichts zu tun).
Doch die HACKE PETERS wären nicht die HACKE PETERS, wenn sie so etwas aus der Bahn werfen würde: Mit dem Plattendiss wurde offensiv umgegangen, die Combo stellte ihn sogar auf ihre Internetseite und kommentierte ihn auch während des gestrigen Gigs. Und an der Stelle auf der Bühne, an der „Natta“ normalerweise mit dem Bass gestanden hätte (gestern fehlte sie allerdings aufgrund eines Trauerfalls) platzierte die Truppe einen fast lebensgroßen Sperrholz-Aufsteller des Original-HB-Männchens (die Älteren unter Euch werden den noch aus der Zigarettenreklame kennen) und hängten ihm eine aufblasbare Gitarre um den Hals.
Aber es gibt auch gute Nachrichten aus dem Universum der HACKE PETERS: Die Nachfolge für Schlagzeuger Kai, der im vergangenen Jahr in den Sack haute, konnte geregelt werden: Inzwischen sitzt Pawel an der Schießbude – ein Mann, dem man ansieht, dass er wohl einige Zeit an der Hantel verbracht hat. Während der Show passenderweise gewandet im schwarzen Muskelshirt mit „Pitbull“-Schriftzug und Wollmütze. Schnell wurde allerdings klar, dass er sich auch schon sehr lang mit den Drumsticks beschäftigt haben muss. Der Kerl kann trommeln und er passt, soweit das von außen zu beurteilen ist, gut zu den beiden verbliebenen Mitstreitern Peter (Gesang) und Chris (Gitarre).
Nach der zur Tradition gewordenen Ansage des Frontmanns („Hattet Ihr einen schönen Tag? Damit ist jetzt Schluss!“) kam das zum Trio geschrumpfte Quartett auch gleich zur Sache: Thematisiert wurden die wirklich wichtigen Probleme anhand der HACKE PETERS-Klassiker „Blähungen of Death“, „Das Horrorskop“ oder „Bratfett“. Auch die neueren Stücke wie „Finstermond“, „Korpulent“ oder „Nietzsche“ fügten sich nahtlos ins Programm ein. Mir machen die launigen Auftritte der Frankfurter Formation immer Freude – sich selbst (und die anderen) nicht zu ernst nehmen, die Political Correctness dieser Tage mal für eine Dreiviertelstunde hintenan zu stellen und das Publikum durch ein paar flotte Sprüche (und ebenso flotten Sound) zu bespaßen, das steht für die Combo an erster Stelle.
Für den finalen Lacher sorgte Gitarrist Chris, als er sich beim Verbeugen nach der Show die Irokesen-Perücke vom Kopf riss – manch einer, der die Band nicht kannte, hatte möglicherweise gar nicht wahrgenommen, dass es sich hier um ein künstliches Haarteil handelte. Die Gäste der Au waren also bestens eingestimmt für den Headliner, bei dem es nicht minder munter zugehen sollte.
Gerade mal sieben Monate ist es her, seit DIRT BOX DISCO-Gitarrist Spunk mit seinem Sideproject SPUNK VOLCANO & THE ERUPTIONS im Frankfurter Club Feinstaub gastierte (Bericht dazu hier). Nun endlich kamen wir in den Genuss seiner eigentlichen Band, die er seit 2009 gemeinsam mit Shouter WEAB.I.AM und drei weiteren Recken betreibt. Hierzulande (noch) kaum bekannt, füllt das Quintett aus den englischen Midlands in der Heimat bereits seit Jahren große Hallen und ist beim jährlichen Rebellion Festival in Blackpool, dem derzeit weltweit größten Punk-Spektakel, stets eine der Hauptattraktionen. Was genau die fünf Jungs in ihrer Verkleidung darstellen wollen/sollen, hat sich mir bisher nicht erschlossen, aber die optische Mischung aus Kölner Karneval und explodierten Wellensittichen lässt zumindest einen Hang zum Skurrilen erkennen und ist live natürlich ein absoluter Hingucker.
Rein musikalisch ist der Sound der Engländer eigentlich gar nicht so mein Ding, da viel zu poppig und melodiös und weit von dem entfernt, was ich als Punk bezeichnen würde. Sich das Ganze live anzuschauen, ist aber eine ganz andere Sache, denn steht die bunte Truppe erst einmal auf der Bühne, dann ist eine feucht-fröhlicher Partyabend inklusive Fratzengeballer garantiert.
Zurückgreifen kann das Quintett dabei auf Songs von nicht weniger als sechs Alben, die seit 2012 nahezu im jährlichen Rhythmus rausgehauen wurden. Geboten werden darauf simple Sing-Along-Lieder, die sich auch mit drei Promille noch bestens mitgrölen lassen und stilistisch an große Vorbilder wie PETER & THE TEST TUBE BABIES oder die ADICTS angelehnt sind, aber nur selten deren Klasse erreichen. Aktuell im Gepäck hatten DIRT BOX DISCO die Best-of-Scheibe „Hooray! Hooray!“, die mit „Burning“, „Imaginary Friend“, „My Life is Shit“ und einigen anderen immerhin eine Handvoll partytauglicher Tracks enthält und gestern komplett zum Besten gegeben wurde.
Parallel zum Greatest-Hits-Album ist mit „Immortals“ ein neues Studiowerk erschienen – mangelnde Produktivität kann man den Mannen aus England also nicht vorwerfen. Doch auch wenn die Tralala-Songs nach einer Weile nervten, trat bei mir mit steigendem Alkoholpegel der REAL McKENZIES-Effekt ein, soll heißen, so beliebig die Darbietung auf dem Podest auch war, ich hatte trotzdem Spaß. Dem Gros des Publikums erging es wohl ähnlich, die Atmosphäre war gut, Bier und Äppler flossen in rauen Mengen und als gegen Ende des Gigs die Hymne „What you gonna do about it now?“ angestimmt wurde, deren markanter Refrain „We are Dirt Box, we are bastards and we love it!“ mir bis heute im Ohr klingt, erreichte die Stimmung ihren Siedepunkt.
Nachfolgend tauchte noch Katharina, die charmante Sängerin der BOCKENHEIM PROLLS auf der Bühne auf und übernahm bei einem Lied die Vocals. Partytechnisch war die Darbietung somit kaum zu toppen, musikalisch dürfte der seichte Fun-Punk sicherlich nicht jedermanns Sache sein, zumal die Songs vom Tonträger noch weitaus geschliffener klingen als ihre live gespielten Pendants. Im Vergleich zum Soloprojekt des Gitarristen würde ich letzterem den Vorzug geben. SPUNK VOLCANO & THE ERUPTIONS sind zwar nicht minder poppig, warten aber immerhin mit rauen Lemmy-Vocals statt des sanften Stimmchens von WEAB.I.AM auf. Doch lange Rede, kurzer Sinn: Wer sich am gestrigen Abend gepflegt einen hinter die Binde kippen wollte, für den lieferten DIRT BOX DISCO den passenden Soundtrack zum Saufen. Nach dem gelungenen Live-Debüt im Keller der Au würde man sich nun einem Auftritt beim legendären Sommerfest an gleicher Stelle wünschen.
Links: https://hackepeters.de/, https://www.facebook.com/dieHackePeters/, https://myspace.com/hackepeters, https://www.last.fm/de/music/Hacke+Peters, https://dirtboxdisco.com/, https://de-de.facebook.com/dirtboxdisco/, https://myspace.com/dirtboxdisco, https://soundcloud.com/dbdisco, https://dirtboxdisco.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Dirt+Box+Disco
Text (DBD): Marcus / Text (HP), Fotos (10) und Clips: Stefan
Fotos (20): Todde Sindel, https://www.flickr.com/photos/126331662
Alle Bilder: