Frankfurt, 17. Juni 2020 – Interview
Für das, was Schlagzeuger Martin „Dog“ Kessler musikalisch alles auf die Beine stellt, bräuchte man eigentlich mehrere Leben: Er trommelt seit über 15 Jahren für die deutsche Punk-Institution ABWÄRTS, außerdem war er unter anderem mit H-BLOCKX, WESTBAM, Paul van Dyk und Nina Hagen live unterwegs. Im Studio spielte er für SUBWAY TO SALLY, Bela B. und DE/VISION, um nur einige aus einer langen Liste zu nennen. Des Weiteren betreibt der gebürtige Frankfurter in Berlin ein eigenes Tonstudio, ist als Produzent und Komponist tätig und gibt noch seine Erfahrungen als Profi im Musikbusiness beim Schlagzeug-Unterricht weiter. Wie bekommt er das alles unter einen Hut? All das und noch viel mehr wollten wir in dem folgenden Interview herausfinden.
Hallo Dog, vielen Dank, dass Du Dir trotz Deiner vielfältigen Beschäftigungen Zeit für dieses Gespräch nimmst! Lass uns doch die aktuelle Lage mal als Erstes abhandeln. Inwiefern hat Dich Corona bei Deinen zahlreichen Aktivitäten ausgebremst, was kannst Du immer noch machen und welche Projekte liegen derzeit auf Eis?
2020 wäre für mich eines der konzertreichsten Jahre meiner Karriere geworden. Leider wird nur sehr wenig bis gar nichts davon übrig bleiben. Alle Festivals sind abgesagt und ich gehe davon aus, dass auch im Herbst nicht mehr viel passieren wird. Das ist natürlich sehr bitter, aber es gibt mir wiederum auch viel Zeit, um mich in meinem Studio einzuschließen und Songs zu schreiben.
Wie sieht es auf der finanziellen Seite aus und welche Unterstützung für selbstständige Künstler wünscht Du Dir in dieser Krisenzeit von politischer Seite?
Die Musik- und Kulturwirtschaft lastet zu einem großen Teil auf den Schultern von Solo-Selbstständigen. Diese sind seit März weitgehend ohne Einnahmen, werden aber vom Staat so gut wie gar nicht unterstützt. Wünschenswert wären unbürokratische Maßnahmen, die wirklich den Künstlern helfen und nicht, wie es in der Praxis leider der Fall ist, lediglich Vermietern, Banken und Onlinemusikalienhändlern zugutekommen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre sinnvoll, ebenso zinslose Darlehen direkt vom Bund, ohne Privatbanken dazwischen zu schalten. Ich hoffe, dass die Clubs und Veranstalter überhaupt noch existieren, wenn es wieder erlaubt sein wird zu touren. Im Moment sieht das nicht gut aus.
Nun aber weg von Corona und hin zu etwas Persönlichem: Dein Spitzname lautet „Dog“. Wie bist Du zu diesem recht ungewöhnlichen „zweiten Vornamen“ gekommen?
Der Sänger der Band, mit der ich meinen ersten richtigen Auftritt hatte, war der Meinung, ich hätte eine gewisse Ähnlichkeit mit „Spike“, der Bulldogge aus „Tom und Jerry“ und hat mich entsprechend auf der Bühne vorgestellt. Das ist an mir kleben geblieben wie Scheiße am Schuh. Irgendwann habe ich aufgegeben dagegen anzugehen und fand es dann selbst ganz cool.
Da Du schon mit vielen – musikalisch sehr verschiedenen – Bands live gespielt hast und außerdem ein gefragter Studiomusiker bist, stelle ich mir vor, dass Du ein riesiges Repertoire beherrschen musst. Wie lange dauert es, bis Du Dir draufgeschafft hast, was für anstehende Touren oder neue Studioaufnahmen von Dir gefordert wird? Und wie schwierig ist das für Dich?
Das hängt natürlich erheblich vom Umfang und der Komplexität des Materials ab. Bei einer Show mit gängigen Pop-Dance-Nummern schreibe ich mir zu jedem Song ein Sheet, das reicht dann meist um gut durch die Shows zu kommen. Sollte es sich um eine Prog-Metal-Fusion-Operette handeln muss man schon etwas mehr Zeit investieren. Bei Studiojobs versuche ich meistens möglichst offen an die Sache heranzugehen, da meine Vorstellungen und die des Künstlers ja nicht unbedingt deckungsgleich sein müssen. Das bedeutet viel miteinander sprechen und, außer wenn es andere Ansagen oder gar Noten gibt, schreibe ich mir nur die grobe Struktur auf und versuche das dann im Studio mit Ideen zu füllen.
Du hast in Berlin ein eigenes Studio, das DOGHAUS. Hat es Dir nicht mehr gereicht, selbst Musik zu machen oder was war der Antrieb, neben Deiner eigenen Musik die anderer Künstler*innen aufzunehmen und zu produzieren?
Wenn man sich beim Erschaffen einer musikalischen Aufnahme für die Zusammenhänge außerhalb der Bedienung seines eigenen Instruments interessiert, landet man zwangsläufig irgendwann beim Produzieren. Außerdem ermöglicht einem das Produzieren immer wieder Teil von etwas Neuem zu sein, das man selbst und alleine nie hätte erschaffen können.
Was konnte Dich bewegen, nach Berlin zu ziehen? Du bist ja gebürtiger Frankfurter und, wie Deinen Social Media-Auftritten zu entnehmen ist, außerdem Eintracht-Fan…
Anfang der 90er Jahre war Berlin eine unglaublich faszinierende Stadt, in der alles im Aufbruch war und nichts unmöglich schien. Überall war Musik und Menschen, die sie hören wollten. Man hat für jede noch so abwegige Idee immer ein paar Leute gefunden die mitmachten, so dass mir nach meinem ersten Besuch in Berlin sofort klar war, das ist meine Stadt! Allerdings wächst mit der Entfernung auch die Liebe zur Heimat, sodass meine Begeisterung für unsere Eintracht in der Fremde eher noch gewachsen ist.
Du bist schon mit vielen – auch internationalen – Stars aufgetreten, von deren Marotten man hin und wieder lesen kann. Was hast Du in Bezug auf die Befindlichkeiten solch renommierter Akteure schon erlebt?
Es werden gelegentlich schon besondere Anforderungen an einen gestellt. Ich spiele zum Beispiel seit über 15 Jahren als Sub bei Nina Hagen und wir haben in der ganzen Zeit nie eine Probe gemacht. Außer einmal, vor einem großen Festival in der Schweiz, da wir dort nur mit einem Musiker aus der Stammformation spielen sollten. Nina macht sowieso immer was sie will, aber als wir bei diesem Gig dann vor 20.000 Leuten auf der Bühne standen, haben wir genau zwei Songs von der Setliste gespielt! Den ersten und den letzten. Dazwischen hat Nina zwei Stunden lang einfach irgendwelche Brecht/Weill-Lieder und Gospel auf der Gitarre angespielt, von denen keiner von uns je gehört hatte. Der Gitarrist hat ihr auf die Finger geschaut, versucht die Akkorde zu erkennen und dann Kommandos nach hinten gebrüllt. Dass es sich um eine recht große Bühne handelte kam erschwerend hinzu und so hat der ein oder andere nicht immer die passenden Töne geliefert, was von Nina mit entsprechenden Missfallensäußerungen quittiert wurde. Man muss immer auf alles gefasst sein!
Aktuell bist Du – und das schon seit 2004 – Schlagzeuger bei ABWÄRTS. Wie bist Du damals in die Band gekommen und was bedeutet Dir die Arbeit mit Frank Z. und Co.?
Ich habe damals einen Studiojob gespielt, bei dem Rod als Gitarrist gebucht war. Er hatte zu dieser Zeit Frank gerade dazu angetrieben ABWÄRTS wieder neu aufzustellen und mich gefragt, ob ich dabei sein möchte. ABWÄRTS war und ist für mich die wichtigste Punkrock-Band Deutschlands, musikalischer und stilistischer Vorreiter für vieles, was danach kam von NDW über EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN bis zu den TOTEN HOSEN. Frank ist ein pointierter, spitzzüngiger und genauer Beobachter der gesellschaftlichen Zustände und Entwicklungen. Ich halte die Band heute für wichtiger und relevanter denn je.
Dog Kessler und Frank Z. mit ABWÄRTS im Nachtleben, 2009
Zwischen August und Oktober sind sechs Shows mit ABWÄRTS geplant, von denen – zumindest bis heute – noch keine abgesagt wurde. Am 19. September wolltet Ihr auch in unserer Nähe, im Weinheimer Café Central, auftreten. Und auf der ABWÄRTS-Webseite wird noch für 2020 ein neues Live-Album angekündigt. Wie ist diesbezüglich der Stand der Dinge?
Für eine Band wie ABWÄRTS hat eine Veröffentlichung nur zusammen mit einer Tour Sinn und andersherum. Wir warten also ab wie sich die Lage weiter entwickelt.
Wie ich Deiner Internetseite entnommen habe, beschäftigst Du Dich auch mit Filmmusik. Als bekennendem Freund der „Tatort“-Reihe ist mir als erstes Deine Mitwirkung an der WDR-Produktion „Odins Rache“ von 2004 aufgefallen. Wie kam diese Kollaboration zustande und was war Dein Part dafür?
Die Musik zu „Odins Rache“ wurde von meinem Freund Florian Appl komponiert. Ich durfte Schlagzeug und Percussion dafür einspielen und mit ihm aufnehmen. Danach haben wir noch mehrere Filmmusiken gemeinsam komponiert und produziert.
Du gibst als Gast-Coach bei Drumtrainer Berlin auch Schlagzeug-Unterricht. Erkennst Du als Profi sofort, ob eine Schülerin oder ein Schüler Talent hat? Und inwiefern kann man Deiner Ansicht nach fehlendes Talent durch Fleiß ausgleichen?
Ich bin nicht so der Didakt, daher liegt meine Aufgabe bei Drumtrainer Berlin eher darin, meine praktischen Erfahrungen im Musikeralltag mit den Studenten zu teilen und das Ganze mit lustigen Anekdoten zu garnieren. Die Aufnahmeprüfung bei Drumtrainer Berlin ist schon recht anspruchsvoll, sodass wir dort eigentlich nur talentierte Studenten haben. Allerdings hilft Talent ohne Fleiß gar nichts, aber auch mit Fleiß wird man ohne Talent nichts erreichen.
Drumtrainer Berlin bietet auch Online-Training an. Sind die Kurse aufgrund der Corona-Pandemie ins Programm genommen worden oder gab es die schon vorher? Und was hältst Du davon?
Dirk, der Chef von Drumtrainer Berlin, hat schon vor Jahren erkannt, dass es einen großen Bedarf für Online-Instrumentalunterricht gibt und die entsprechende Plattform schon lange vor Corona erstellt und betrieben.
Welche Voraussetzungen sollte man mitbringen, um das Instrument beherrschen zu können? Was macht Deiner Meinung nach einen guten Schlagzeuger aus?
Ein gewisses Bewegungstalent sowie ein Gefühl für Rhythmus und Geschwindigkeit sind wichtige Voraussetzungen. Außerdem sollte man bereit sein sehr viele Stunden einsam in feuchten Kellern zu üben und kein Problem damit haben von den Nachbarn gehasst zu werden.
Deiner Biografie habe ich entnommen, dass Du seit Deinem 13. Lebensjahr trommelst. Gab es ein Schlüsselerlebnis, warum Du dieses Instrument spielen wolltest oder ist das aus einer Laune heraus entstanden?
Ein Junge aus der Nachbarschaft hat mir 1980 eine schlechte, selbst aufgenommene Kassette mit dem AC/DC-Album „Back in Black“ in die Hand gedrückt. Nach den ersten vier Takten von Phil Rudd war mir klar, was ich den Rest meines Lebens machen will!
Die nächste Frage darf in keinem Interview mit einem Schlagzeuger fehlen. Auch ich möchte sie stellen: Hattest Du bereits in Kinder- und Teenagertagen Vorbilder und wenn ja, welche?
Abgesehen vom bereits erwähnten Phil Rudd waren es Drummer wie Nicko McBrain und Alex Vanhalen die ich bewundert habe, später kamen Steve Gadd und natürlich John Bonham dazu.
Zu wem schaust Du heute als arrivierter Drummer noch auf?
Es gibt immer wieder Kollegen, die mich sehr beeindrucken, die immer wieder neue Wege finden sich auf ihrem Instrument auszudrücken. Ein Drummer den ich gerade erst für mich entdeckt habe ist zum Beispiel Adam Deitch, unglaublich funky! Oder mein Freund Onkel aus Berlin mit seiner schon unverschämten Vielseitigkeit.
Du bist inzwischen ein „alter Hase“ im Business und hast schon häufig vor hunderten Zuschauern gespielt. Ist man da noch nervös, wenn neue Auftritte anstehen? Und hast Du ein Ritual, um Dich auf eine Show einzustimmen?
Wenn man etwas Neues präsentiert ist man immer nervös und aufgeregt, da man – bei aller Erfahrung – nie weiß, wie es auf das Publikum wirken wird. Das erlösende Gefühl, wenn man dann doch nicht ausgebuht und mit Flaschen beworfen wurde, ist ja einer der Gründe warum man das immer wieder macht.
Dog Kessler im Cream Studio Frankfurt, 2019
Welche Bands oder Künstler*innen, mit denen Du noch nicht gearbeitet hast, dürften gerne mal bei Dir anfragen, ob Du sie auf Tour begleitest oder ein neues Album mit Ihnen einspielst?
Auf nationaler Ebene könnte ich mir vorstellen mal bei RAMMSTEIN auszuhelfen. Bedingungslos geradeaus und um mich herum die ganze Zeit Feuerwerk, das würde mir Spaß machen. International bin ich sehr begeistert von der Mischung aus verschiedensten Stilistiken, visuellen Ideen und Inhalten wie MASSIVE ATTACK oder NINE INCH NAILS es auf die Bühne bringen, sowas würde mich faszinieren.
Abschlussfrage: Du bist bei so vielen Projekten und Tätigkeiten engagiert, dass man fast den Überblick verlieren könnte. Hast Du keine Angst, dass Dir das alles eines Tages über den Kopf wächst?
Es kommt schon mal vor, dass man sich für einen gewissen Zeitraum zuviel vornimmt. Dann muss man seine eigenen Ressourcen im Auge behalten, für Ruhepausen sorgen und sich und seine Familie gut organisieren.
Dog, besten Dank für das Gespräch!
Interview: Stefan
Fotos: Stefan (7), Kai (1), Dog Kessler (1)
Links: http://dogkessler.de/, https://de-de.facebook.com/Dog-Kessler/, https://www.drumtrainer.com/trainer/martin-dog-kessler/