Nachtleben, Frankfurt, 27.02.2020
Keine 30. Was wie eine vollmundige Kampfansage beim Doppelkopf klingt, bedeutet in diesem Fall den traurigen Umstand, dass sich (mal wieder) kaum jemand ins Frankfurter Nachtleben verläuft, wenn ein hochklassiger US-Act auf Europa-Tour vorbeischaut – noch nicht einmal dann, wenn er von einer lokalen Formation begleitet wird, die in einer gerechten Welt den Kellerclub an der Konstablerwache mit Freunden, Verwandten und Fans vollstopfen müsste. Keine 30 zahlenden Zuschauer. Die Protagonistin in diesem Fall: Die von der amerikanischen Westküste angereiste Singer/Songwriterin Emily Jane White an Piano und Gitarre, die in der Vergangenheit auch schon als „Acoustic Folk/Metal“ angekündigt wurde und folgerichtig nicht nur für Acts wie WOVEN HAND, sondern beispielsweise ebenso für die Doom-Götter CANDLEMASS eröffnet hat.
Begleitet wurde sie von John Courage, einem Gitarristen wie Bassisten, der bei dieser Show einen Bass spielte, der aussah wie eine Gitarre (sechssaitig) und häufig genau so klang. Außerdem von dem Schlagzeuger Dan Ford, der auch schon auf den Veröffentlichungen von Courage zu hören war. Desweiteren: Das Frankfurter Folk-Duo ROMIE, bestehend aus Paula Stenger und Jule Heidmann. Diese waren es (nicht der Headliner), die bei der Anreise Schwierigkeiten hatten: Statt um 19 Uhr wurde deswegen erst nach 20 Uhr geöffnet; der Wind und die sich gleich wieder in Wasser verwandelnden Schneeflocken schienen damit zu tun gehabt zu haben. Im Umland manifestierte sich der halbe Wintertag wohl schrecklicher als in der Innenstadt, nahm man die schneebedeckten Autos mit Kennzeichen außerhalb Frankfurts wahr. Frankfurt jedoch selber: ein bisschen unangenehm vielleicht. Kein Grund jedoch, zuhause zu bleiben.
Nachdem man also ziemlich verspätet den Keller betreten durfte und stilecht mit Tim Buckley aus der Konserve empfangen wurde, betraten ROMIE um 20.18 Uhr die Bretter, beide mit Gitarren um den Leib: Stenger elektrisch, Heidmann akustisch. Vor kurzem erst vollendeten sie in Irland die Aufnahmen zu ihrem Debüt-Album, das nach einer Crowdfunding-Aktion nun alsbald veröffentlicht wird. Irland – scheinbar ein Sehnsuchtsort, welchen man in einigen Songs heraushört. Die Seelenverwandten mit dem betörenden Harmoniegesang, die sich laut Selbstdarstellung auf ihrer Homepage durch ihre gemeinsame Liebe zum Sound der US-Folker THE CIVIL WARS einander zuwandten, können aber auch Americana ziemlich gut – auf ganz andere Weise als der später auftretende Headliner, jedoch nicht minder famos.
Die etwa eine halbe Stunde Spielzeit, die sich neben Eigenkompositionen auch durch eine (verzichtbare) Coverversion des Kris Kristofferson- (und durch Janis Joplin veredelten) Stückes „Me and Bobby McGee“ speiste, wurde mit sympathischen Kontaktversuchen sowie einer zum Scheitern verurteilten Mitsing-Aktion aufgelockert. ROMIE, die kürzlich schon einen bleibenden Eindruck bei der Veranstaltung „50 Jahre Woodstock“ in der Batschkapp hinterließen, kann man in nächster Zeit noch öfter in der Region bestaunen: Zum Beispiel am 24. März in den Räumen der Stadtbücherei Frankfurt, wenn die Veranstaltungsreihe „Musik Szene Frankfurt“ dort ihren zehnten Geburtstag feiert.
Der metalaffine Folk von Emily Jane White, der knapp 20 Minuten später mit der Unterstützung der beiden Herren Courage und Ford dargeboten wurde, hinterließ von Anfang an eine ganz andere Stimmung als die Musik des Supports. Mit ihren schwer fassbaren, melancholischen Texten, der Twanggitarre, ihrer durchdringenden, manchmal vervielfachten Stimme und dem oft treibenden Schlagzeug präsentiert White einen Southern-Gothic-Style, der zuweilen ein wenig an Gemma Ray erinnert. Live und im Trio wirken die Songs reduzierter als auf den Tonträgern, obwohl mit dem sechssaitigen Bass als Unterstützung zu Whites Gitarre, dem Piano sowie etwas Hall das klangliche Cinemascope nicht komplett verschwand. Atmosphärische Beleuchtung, vor allem durch auf die Rückwand projizierte Bilder des Mondes über kargen, schattigen Landschaften, taten ein Übriges zur Vermittlung der herbstlichen Stimmung.
Sollte Emily Jane White enttäuscht über den mangelnden Gästezuspruch gewesen sein, so merkte man ihr das zumindest nicht an: Sie verriet dem scheinbar alles aufzeichnenden Publikum lächelnd, dass dies ihr allererster Auftritt in Frankfurt sei, nachdem sie bereits dreimal (zuletzt im Dezember 2019, vielleicht ein Grund für die Absenz der Menschenmassen) im Offenbacher Hafen 2 auftrat. Mal wieder Zeit für den Klassiker „Frankfurt vs. Offenbach“ – es wurde tatsächlich (hoffentlich scherzhaft) gebuht ob dieser Ansage.
Gespielt wurde viel vom opulent arrangierten und hochklassigen aktuellen Album „Immanent Fire“, doch auch zu den simpler strukturierten und folkigeren Klassikern ihrer ersten Scheiben kehrte White mit Songs wie „The Cliff“ oder „Victorian America“ (in der Zugabe) zurück. Nach einer Stunde regulärer Spielzeit mit zwanzigminütiger Zugabe bedankte sich White und bot noch ein Schwätzchen oder eine Signatur beim großzügig aufgebauten Plattenstand an, während Tims Sohn Jeff Buckley nun die Beschallung im Hintergrund übernahm. Ein ausgesprochen schönes Konzert nahm damit sein Ende; ein leider wieder mal viel zu spärlich besuchtes. Es wäre schade, wenn Whites erste Visite in Frankfurt damit auch die letzte bliebe. Die Hoffnung auf weitere Abstecher ins eigentlich doch recht nette Offenbach bleibt.
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Text & Fotos: Micha
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