Die Trompete, Bochum, 5.10.2019
Nachtleben, Frankfurt, 7.10.2019
Emma Ruth Rundle – Gitarristin, Sängerin und Songschreiberin sowie bildende Künstlerin aus Los Angeles (ursprünglich) bzw. Louisville, Kentucky (aktuell) – verzaubert musizierende, über Musik berichtende oder Musik veranstaltende Menschen schon seit mehr als zehn Jahren. Nach pausenloser Tourerei (entweder solo oder als Teil verschiedener Formationen wie den NOCTURNES, den RED SPAROWES oder den MARRIAGES; sowie mit ihrer eigenen Band) und inzwischen zwölf Plattenveröffentlichungen (davon fünf unter ihrem Namen) beginnt auch das Publikum langsam die Klasse Rundles wertzuschätzen. Es sorgt zwar noch nicht für größere Hallen – jedoch dafür, dass an die bisher genutzten öfter ein „Ausverkauft!“-Schild gepinnt werden muss. Zumindest in England, Frankreich und Belgien, wo das Quartett diese Herbst-Tour startete.
Ebenso in Bochum, wo vor dem im Vergnügungsbereich Bermuda3eck liegenden Club „Die Trompete“ bei Einlass zwar erst eine Handvoll Menschen weilte, zum Konzertbeginn jedoch kein Blatt Papier mehr zwischen die Anwesenden passte. Dabei bot der sympathische Laden, der u. a. erlesenes belgisches Bier vom Fass anbietet, weit mehr Fläche als das zwei Tage später zu bespielende Nachtleben in Frankfurt. Aber es war ja auch Samstag, und das inspirierte wohl Einige. So auch Rundle, die am Ende sogar einen Song mehr zu Gehör brachte als es laut setlist.fm auf dem Rest der Tour geschehen war. Welch Glück, welch Freude. Wobei das jetzt nicht die ersten Attribute wären, die einem bei der Musik Rundles einfallen, unterm Strich.
Höchstens, wenn man als Vergleich die Musik der FVNERALS heranzieht, die ERR in Deutschland begleiten dürfen, nachdem in ihren jeweiligen Heimatländern den Belgiern BRUTUS, den Niederländern GOLD sowie der Britin Jo Quail diese Ehre zuteil wurde. Letztere drei gehören alle zu meinem Lieblingsband-Kanon – die FVNERALS, die ursprünglich aus England stammen und gegenwärtig in Belgien leben, waren mir bis zur Tour nicht weiter bekannt.
Eine halbe Stunde zelebrierte das Trio mit der Bassistin und Sängerin Tiffany Ström, dem Gitarristen/Songwriter Syd Scarlet und dem leider nirgendwo namentlich erwähnten Schlagzeuger atmosphärisch dichte wie tief gelegte, sparsame Soundkleider, welche sich melancholisch bis creepy in die Hörgänge frästen und ab und an ein Post-Rock-Infernöchen offenbarten. Sehr gediegen – jedoch immer mit der Würde, die der Bandname evoziert. Freunde des ambienten Doom hatten daran ihren „Spaß“, der Rest betrachtete das bewegungsarme Geschehen voller Faszination. Vielleicht auch gelangweilt, in dem einen oder anderen Fall.
Starke soundtechnische Parallelen weist das Duo/Trio zu den ebenfalls aus Brighton stammenden ESBEN AND THE WITCH auf – wobei diese im direkten Vergleich fast zur Partyband mutieren. War das was? Sicher. Auf Platte nachts um halb Drei hat das auf jeden Fall Charakter; live funktionierte das vor einem solch der Melancholie nicht abgeneigten Publikum natürlich auch. In beiden Fällen, also in Bochum wie in Frankfurt, wurde der ziemlich exakt halbstündige Vortrag respektvoll beobachtet. Erlösenden Applaus gab es erst am Ende der Darbietung, fast wie auf einem Klassik-Konzert (naja, in Frankfurt wurde Zwischenapplaus versucht, kam jedoch nicht so gut an, Schwamm drüber). Passte schon; passt vortrefflich auch zu Festivals wie dem Doom Over Leipzig (2016) oder dem Unholy Passion Fest der Kölner Black Metaller ULTHA (2018). Auf das Roadburn passen die natürlich auch.
Apropos Roadburn: ERR machte auf die Veranstalter dieses kultigen Groß-Events in Tilburg schon des Öfteren einen hervorragenden Eindruck, gleich ob als Solistin oder Mitglied einer der oben erwähnten Bands. Oder als Gast einer Formation wie THOU, mit der Rundle im vergangenen Jahr unter anderem das komplette Live-Album der MISFITS durchzockte. Einen so hervorragenden, dass ERR 2020 eine von zwei Kurator/innen sein wird, die unabhängig vom Restprogramm all das auf die dortigen Bühnen bringen, was ihnen beliebt. Dies wird u. a. diverse Auftritte von Rundle in verschiedenen Besetzungen zur Folge haben – ein Highlight dürfte jedoch ein Gig der Postrock-Combo RED SPAROWES sein, die seit zehn Jahren nicht mehr zusammen musiziert hat und aus diesem Anlass reaktiviert wird (näheres dazu hier).
Bei dieser instrumentalen Formation besticht ERR ausschließlich durch ihre Fähigkeiten an der Gitarre, welche sie auf ihrem ersten Solo-Album („Electric Guitar: One“ von 2011) noch mehr in den Fokus rückte. Ihre darauf folgenden Studio/Solo-Werke zeigten später den Prozess des Findens einer eigenen Sprache, die die inhaltliche Auseinandersetzung mit ihren Dämonen, Ängsten und Befindlichkeiten zum Thema macht ebenso wie Krankheit, Verlust, Trauer oder Trost. Beim Darbieten ihrer Songs macht sich ERR immer verwundbar und nackt, offenbart dabei aber auch ein konstant wachsendes Selbstbewusstsein.
In jüngster Zeit fand sie Gefallen daran, mit ihrer auf der Tour gewonnenen Truppe nicht nur zu spielen, sondern auch zu schreiben (mit Schlagzeuger Dylan Naydon) oder aufzunehmen (mit dem Bassisten Todd Cook sowie dem Gitarristen, Backgroundsänger und inzwischen Ehemann Evan Patterson von den Labelmates JAYE JAYLE – mehr davon hier). Die nun stattfindende ist die definitiv letzte, um ihr 2018er Album „On Dark Horses“ mit Band zu promoten – solo kommen noch ein paar Auftritte als Support von CULT OF LUNA in den USA dazu. Diese Songs mit zwei Gitarren zu hören hat schon was, wenn der Krautrock-Fan Patterson den Boden bereitet für das zuweilen extrovertierte Spiel Rundles, die (in Frankfurt mehr als in Bochum) gerne auch mal von Jimmy Page inspiriert scheint und den Cellobogen über die Stahlsaiten huschen lässt.
Bochum und Frankfurt unterschieden sich in erster Linie durch das eingesetzte Licht voneinander. Die Setlist war fast identisch, wie auch beim Rest der bisher bekannten Tour: Sechs Stücke vom aktuellen Player, vier (in Bochum fünf) vom Vorgänger „Marked For Death“ (2016). Knapp eine Stunde Bandzeit, danach eine Solo-Zugabe, ebenfalls mit der elektrischen Gitarre. Bochum bekam mit „Real Big Sky“ noch einen Track extra, bevor der einzige Song von „Some Heavy Ocean“ (2014) , „Living With the Black Dog“, die Show beschloss.
Beide Abende waren großartig, Rundle und die Band zutiefst beeindruckend. Als sich Rundle kurz vor Schluss bei ihrem Support bedankte, wurde in Frankfurt erstmal nur still geglotzt – man hatte sich ja schon mal in die Nesseln gesetzt mit Beifall an unpassender Stelle. „FVNERALS, right?“ insistierte sie anschließend etwas irritiert. Stimmt. Da war ja noch was vorher. Doch das Vorprogramm – es war schon zu weit weg nach der Darbietung dieser faszinierenden Person und ihrer kongenialen Mannschaft. Der Tour-Stopp Karlsruhe am 20. Oktober ist es zum Glück nicht.
Links: https://www.fvnerals.com/, https://de-de.facebook.com/Fvnerals/, https://fvnerals.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/fvnerals, https://www.emmaruthrundle.com/, https://www.facebook.com/emmaruthrundle/, https://emmaruthrundle.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Emma+Ruth+Rundle
Text, Fotos & Clip: Micha
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