Schlachthof, Wiesbaden, 22.09.2014
Was Death Metal betrifft, bin ich ein ziemlicher Kretin. Während Fachleute sofort den Unterschied heraushören zwischen schwedischem DM und dem aus Florida, so kann ich das auch; aber nur,wenn ich mich auf maximal zwei Bands aus den jeweiligen Gegenden beschränke. Kommen noch zehn dazu, aus unterschiedlichen Epochen gar, bin ich nur noch verwirrt. Das sind jetzt also Schweden, die nicht nach Schweden klingen, weil sie den US-Sound vorziehen, aha, soso. Und das hier schwedisch klingende Schweden, gefolgt von schwedisch klingenden, äh, Wiesbadenern? Nachdem ich heute zum Frühstück vier Stunden Death Metal gehört habe von sechs unterschiedlichen Combos raucht mir die Birne und ich sehne mich nach ein wenig JEX THOTH, aber die sind erst Ende des Monats dran. Am vergangenen Montag aber, dem Abend des Konzerts, spielte sich das für mich ganz anders ab. Nämlich so:
Nachdem der derbste Death Metal mit exzessiven Nahtod- Erfahrungen auf der A66 stattfand (ich sage nur: Frankfurt-Eckenheim bis Schlachthof Wiesbaden in 15 (!) Minuten, im Berufsverkehr), konnte alles Nachfolgende eigentlich nur noch wie Kamillentee wirken. Die bereits bei unserem Erscheinen aufspielenden Wiesbadener WOUND holten mich (in Kombination mit dem leckeren „Hellen“ von der Schlachthof-Theke) jedoch flugs zu den Todesmetall hörenden Lebenden zurück, vielen Dank dafür. Kollege Marcus hat denen als Support für TOXIC HOLOCAUST (Bericht hier) ja schon die Nähe zu schwedischen Bands á la DISMEMBER attestiert, meinetwegen, kann ich nichts zu sagen. Tatsache war, dass die Wiesbadener einen gar nicht so kleinen Fanclub vor der Bühne hatten, der schon ordentlich Bohei machte, als viele Gäste noch gar nicht eingetroffen waren. WOUND, deren Demo mal das des Monats im Rock Hard war, klangen mehr als ordentlich, machten mich aber auch nicht sofort zu deren Jünger.
Die einzige Combo, die ohne Supporter auskommen musste, waren die anschließend aufspielenden REPUKED. Bei deren Namen und Songtiteln wie „Fuck You, Fucking Whore“ oder „The Toilet Odors“ erwartete ich eigentlich 13-Jährige auf der Bühne, aus dem Alter waren die Herren jedoch eindeutig raus. Verwirrenderweise fand ich die AUTOPSY zitierende Formation zunehmend geiler, was nicht nur an der Sturheit lag, mit der das Quartett den „Aufhören!“ brüllenden Fans der anderen Bands trotzte. Diese Schweden klingen also nach US-Bands? Sei es drum. Letztlich hatte jede Gruppe einen eigenen Sound, wie ich fand. Und ziemlich begeisternd finde ich diesbezüglich den von den folgenden GRAVE.
Obwohl die seit Mitte der Achtziger Jahre existierenden GRAVE, die gerade ihren zweiten oder dritten Frühling erleben, in den letzten Monaten von Teilen der Anwesenden bis zu fünf Mal gesehen wurden (auch im Dezember 2013 mit MARDUK, Bericht hier), reagierte keiner dieser Menschen von dieser Tatsache genervt. Wie auch: Rasiermesserscharfe Hochgeschwindigkeitsriffs von erlesener Klarheit praktiziert auch nicht jeder in diesem Genre. Ah, und jetzt glaube ich auch zu verstehen, was Kollege Marcus an solchen Formationen weniger schätzt als an Rumpelröchlern wie zum Beispiel OBITUARY; bei mir ist dann doch eher andersrum. Wie lange GRAVE spielten? Zwei Bier lang, etwa.
Das Schöne an ENTOMBED, die sich jetzt ENTOMBED A.D. nennen müssen und unter diesem Namen kürzlich die vielsagend betitelte Scheibe „Back To The Front“ veröffentlicht haben, ist ja, dass sie das alles in petto haben. Gerumpel. Geröchel. Gehacke. Geschredder. Und Rock’n’Roll. Je nachdem, welchem Album man den Vorzug gibt. Bei so einer Spannbreite ist es vielleicht ja auch gar nicht so schlecht, dass es bei den Schweden nunmehr analog zu QUEENSRYCHE zwei Versionen der Band gibt: Die eine um Frontarbeiter L. G. Petrov (unten), die nun zum gepflegten Mattenschwingen bat, sowie die um Axtheld Alex Hellid, der alte DM-Meilensteine der Discographie in Schweden mit, äh, Orchester aufführt. Gefiedel, möchte man addieren. So einen Scheiß gibt es mit Petrov und den anderen ENTOMBED-Zockern Nico Elgstrand (Gitarre), Victor Brandt (Bass) und Olle Dahlstedt (Schlagzeug) jedoch nicht; dafür einen erlesenen Querschnitt aus den Scheiben der 1989 gegründeten Band. Ob Knaller wie „Left Hand Path“ in der Zugabe, Oldies wie „Stranger Aeons“ oder „Wolverine Blues“: Die strikten Todesblei-Enthusiasten wurden genauso bedient wie die Freunde der Death’n’Roll-Scheiben. Petrov und seine Kollegen versprühten selber jede Menge Spaß und Enthusiasmus und feierten einige Bierchen zwitschernd genauso wie ihre Anhänger im Pit, der, nebenbei bemerkt, durch den Umzug von der kleinen Räucherkammer in einen Teil der großen Halle sehr geräumig war. Irgendwann war es dann halb zwölf durch und der Abend kam zum Schluss, nach knapp vier Stunden Death Metal, wie am Morgen bei mir auch. Passt zum Bier aber eben doch weit besser als zum Kaffee…
Links: http://www.lastfm.de/music/Wound, http://repuked.bandcamp.com/, https://myspace.com/repuked, http://www.lastfm.de/music/Repuked, http://www.grave.se/, https://myspace.com/gravespace, http://www.reverbnation.com/grave, http://www.lastfm.de/music/Grave, http://www.reverbnation.com/entombedad, http://www.lastfm.de/music/Entombed+A.D.
Text, Fotos & Clips: Micha
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