Schlachthof, Wiesbaden, 7.12.2018
Als ESBEN AND THE WITCH aus Brighton 2011 erstmals in Frankfurt auftraten, war weder klar, was dieses Trio überhaupt für Musik macht bzw. wie man solche nennt, noch welche Art der Rezeption ihrer würdig wäre. Der bestuhlte und überdies mies besuchte Mousonturm war für einige Anwesende, die teilweise sogar Reisen u. a. aus Berlin auf sich genommen hatten um die Formation live zu erleben, ein Raum voller „Kulturvolk auf Stühlen. Eklig.“ (User albertrose auf last.fm) und damit enttäuschend. Andere beeindruckte die knapp einstündige Soundreise, die sich stilistisch zwischen Elektronik sowie psychedelischem Goth-Geschwurbel ereignete und die mangels Alternativen zu dieser Zeit am ehesten noch in die „Witch House“-Schublade passte (welche
inzwischen längst geschlossen ist, damals aber eine Menge interessanter Musik zwischen diesen Polen offenbarte), ungeachtet des steifen Ambientes jedoch enorm.
Die nach einem dänischen Märchen benannte Combo besuchte das Künstlerhaus danach nie wieder – auch auf anderen Frankfurter Bühnen habe ich sie nicht mehr entdeckt. Jugendzentren und alternative, kleinere Spielorte in Gießen, Darmstadt oder Münster boten den Wahl-Berlinern, die seit 2011 fünf Studioalben veröffentlichten, jedoch häufiger Auftrittsmöglichkeiten – auch im Wiesbadener Schlachthof gastierten sie laut Sängerin/Bassistin Rachel Davies nicht zum ersten Mal („Wir freuen uns, hier wieder spielen zu dürfen“). Obwohl immer noch nicht stilistisch eindeutig zuzuordnen (EATW bezeichneten ihre Musik mal selbst als „Nightmare Pop“, im Metal Hammer sprachen sie von „expansive primal Goth-Punk“) wurden sie in der Zwischenzeit ein wenig von der offenen Metal-Szene adoptiert, wozu ihr Auftritt beim Roadburn Festival 2017 beigetragen haben mag (Mitschnitt hier). Das Festival in Tilburg „celebrates all facets of heavy experimental music“ (The Independent) und schließt damit ja passende Singer/Songwriter, Drone-Künstler sowie Hardcore-Acts mit ein. Vielleicht war es aber auch Davies‘ Beitrag auf „Converging Sins“ der Kölner Black Metal-Band ULTHA. Doch nicht alle im mit viel Zwischenluft gefüllten Kesselhaus des Schlachthofs waren wegen des Headliners gekommen.
Enter SUIR. Das Duo aus Frankfurt am Main mit gelegentlichem Aufenthalt in Warschau gibt sich bisher mit wenig Internet-Präsenz zufrieden, mobilisiert in der Post-Punk/Wave-Szene aber bereits Anhänger, die aus Bonn oder Köln an einem Freitag Abend nach Wiesbaden pilgern. Nachvollziehbar, wenn man 30 Minuten den Nebel auf der Bühne betrachtet hat und was Gitarrist Denis Wanic sowie Elektronikerin Lucia Seiss unter diesem so treiben. Sie supporteten in der
Vergangenheit LEBANON HANOVER, Blaine L. Reininger (Ex-TUXEDOMOON) wird kommenden Freitag im Frankfurter Club „Das Bett“ die gleiche Ehre zuteil.
Die Songs der vorgestellten zweiten Scheibe „Soma“ (das erste Album „Ater“ von 2017 ist komplett ausverkauft, kann aber via Bandcamp geladen werden) wurden live von Wanic mit einer Expressivität vorgetragen, die man beim Hören des Werkes nicht unbedingt erwarten würde und die mit der (fast) reglosen Coolness von Seiss kontrastierte, ihr hin und wieder aber ein angedeutetes Lächeln entlockte. Von angereisten Fans aus NRW bis zu interessierten Novizen, die beim Warten auf den Hauptact respektvoll lauschten: Alle schienen sehr angetan vom Klang der beiden, der brachiales Gitarrenbrett mit steriler Kühle kombinierte und damit auch schon cool genug für einen Roadburn-Auftritt anmutete. Kommt sicher noch. Vorher SUIR unbedingt anchecken in Rhein/Main: Neben dem Reininger-Gig geht das auch im Frankfurter Club HoRst, wenn sie am 22. Dezember bei der von Radio X live übertragenen Virus-Musiknacht bei freiem Eintritt gastieren.
Zurück zu ESBEN AND THE WITCH: Kritiker bemängeln an deren Songaufbau oft, dass er wenig „diffizil“ sei und man sich nach dem Hören einer Scheibe oft „an kaum etwas erinnern kann“ (Spex). Tatsächlich folgt jedes Werk einem übergeordneten Prinzip, ohne aber bereits „Konzeptalbum“ genannt werden zu müssen. Bei all der Ernsthaftigkeit, mit der Davies am Bass sowie Thomas Fisher (Gitarre) und Daniel Copeman (Schlagzeug & Backgroundgesang) interagieren sowie all der Düsternis, die sie eben auch für Black- bzw. Post-Metal Fans attraktiv macht, wird oft übersehen, dass ihre Stücke alle „eine positive Message haben“, so
Copeman im Metal Hammer:„Es gibt immer Hoffnung“. Ja, Hippies waren im Kesselhaus auch zugegen, das wurde also verstanden. Die zum Eskapismus einladenden Soundwände, von Davies zart vorgetragen, aber dafür umso heftiger instrumentell konterkariert, verschmelzen auf Albumlänge in der Tat oft zu einem Ganzen – die „Single“ hört man da nicht raus.
Auch als Davies nach knapp einer Stunde ein „altes“ Lied ankündigte und mit ihren Kollegen den „Marching Song“ von „Violet Cries“ (2011) darbot blieb die Performance rund – 2011 im Mousonturm sowie auf der Scheibe gab es Drum-Computer und noch mehr Gitarren. 2018 verdrischt Copeman seine Trommeln – der Elektronik-Experte, der in den Anfangstagen bei ESBEN noch an der Gitarre zu sehen war. Man merkte dem Trio in den etwa 90 Minuten des Auftritts an, dass seine Art des Zusammenspiels eine Menge Konzentration erfordert und weit davon entfernt ist, so etwas wie eine Party zu zelebrieren. Kurioserweise bewirkt die Musik von ESBEN AND THE WITCH aber genau das: Katharsisches, innerliches Abgehen mit dem Versprechen auf enthemmende Erlösung. Die findet, wie immer im Leben, letztlich natürlich nicht statt. ESBEN AND THE WITCH bringen einen jedoch ein ganzes Stück näher dran.
Links: https://www.facebook.com/suirMusic/, https://suir.bandcamp.com/, https://www.last.fm/music/Suir, http://esbenandthewitch.co.uk/, https://www.facebook.com/esbenandthewitch, https://www.reverbnation.com/eatwofficial, https://esbenandthewitch.bandcamp.com/, https://www.last.fm/music/Esben+and+the+Witch
Text, Fotos & Clips: Micha
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