EVIL INVADERS, ANGELUS APATRIDA, SCHIZOPHRENIA

Schlachthof, Wiesbaden, 11.03.2020

Evil InvadersDiesen Bericht zu schreiben war nicht geplant. Zum einen, weil ich in den folgenden Tagen konzerttechnisch so einiges vorhatte, über das ich lieber berichtet hätte: Beispielsweise Chelsea Wolfe mit Jonathan Hultén in Bochum, ANATHEMA in Stuttgart, HÄLLAS in Wiesbaden – alle Karten waren schon eingetütet, in dem einen oder anderen Fall verbunden mit Bahntickets sowie Hotelreservierungen. Zum anderen, weil ich mir wegen dieser Ereignisse und der nicht minder wichtigen Tatsache namens Lohnarbeit nicht zu viel aufbürden wollte. Doch dann kam es anders, auf vielfältige Weise, weswegen ich jetzt doch schreibe über diesen Abend, bei dem das ebenso hinreißende wie schweiß- (und viren?)treibende Event eigentlich nur eine Nebenrolle spielt – diese jedoch zu gut ausfüllte, um unerwähnt zu bleiben. Willkommen also zum Bericht über die EVIL INVADERS, ANGELUS APATRIDA und SCHIZOPHRENIA im Kesselhaus Evil Invadersdes Wiesbadener Schlachthofs, mein wohl letztes Live-Event für eine gegenwärtig nicht abschätzbare Weile.

Dass ich überhaupt anwesend war verdanke ich einer zu diesem Zeitpunkt definitiv vorhandenen Ignoranz gegenüber den unangenehmen Wahrheiten zur Corona-Pandemie, welche schon deutlich vernehmbar waren, sowie der Tatsache, dass ein Freund beim Metal Hammer freien Eintritt für zwei gewann. Feine Sache. Die Belgier EVIL INVADERS hatten uns alle schon diverse Male in der Region überzeugt – sei als Opener für SEPULTURA, DESTRUCTION oder auf dem Taunus Metal Festival. Zusammen mit z. B. ENFORCER, STALLION und STRIKER gehören sie zu der kleinen Welle an jugendlichen Fans des Speed Metals der ersten Stunde, welcher zeit- wie anfänglich inhaltsgleich mit dem Thrash Metal in den frühen 80ern aufkam.

Evil InvadersBands wie EXCITER, METALLICA, EXODUS oder AGENT STEEL lieferten zu der Zeit rasiermesserscharfe Hochgeschwindigkeitswerke ab, die immer noch sehr gut hörbar und für eben diese Youngster „Kult“ sind, dem sie sich musizierend verpflichtend fühlen. Die besagten Vorväter fingen irgendwann an, sich weiterzuentwickeln, also das Tempo zu verändern, die Stimmung, die Klamotten etc., ganz normal, wie eben das Leben so spielt. Einige wie MEGADETH stehen nun als Referenz des Thrash Metal da, andere wie die PRETTY MAIDS wurden eine halböde Power Metal-Truppe. Und METALLICA, ja nun… Nächste Frage, bitte. Die EVIL INVADERS benannten sich nach einem Song der Kanadier RAZOR und starteten als Coverband – und noch immer feiern sie bei ihren Live-Shows ihre Wurzeln mit dem einen oder anderen Klassiker aus dieser Zeit.

Auch ihre Kollegen auf der Bühne des Kesselhauses taten das – als erste davon war für die Landsleute von SCHIZOPHRENIA Stage Time. Tempo gabs hier ohne Ende – im Gegensatz zu den folgenden Formationen wurde aber auch derbe gekotzröchelt, was seine Entsprechung im MORBID SchizophreniaANGEL-Cover am Schluss fand. Das 2016 in Antwerpen gegründete Quartett, das sich seinen Namen mit mindestens sieben weiteren Thrash-Bands teilt, fungierte von 2010 bis 2016 unter dem ähnlich ubiquitär auftretenden Banner HAMMERHEAD und veröffentlichte bisher eine Single sowie eine EP. Zumindest letztere war käuflich zu erwerben am großzügigen Merchstand, der dafür sorgte, dass der Saal etwas weniger leer aussah, wenn alle Leute standen. Bewegungsfreiheit gab es also genug, in der Regel ein Grund zum Klagen – in diesem Fall kann man jedoch davon ausgehen, dass die, die nicht da waren, etwas richtig gemacht haben.

SchizophreniaKonzertabsagen wegen der Corona-Krise waren bereits im Gespräch und Events mit mehr als 1000 Menschen schon stark gefährdet, was einige Schlaumeier auf die Idee brachte, höchstens 999 Gäste auf ihren Events zuzulassen. Ich musste an das anstehende Konzert von Chelsea Wolfe in der Bochumer Christuskirche denken, auf dass ich mich seit Wochen gefreut hatte: Als einziges Venue auf der Tour fasst die Kirche weniger als 1000 Menschen, was mich innerlich frohlocken ließ, weil ich es ebenso wenig wahrhaben wollte wie die Anwesenden am vergangenen Mittwoch im Kesselhaus: Der Zeitpunkt, rauszugehen und Party zu machen, ist gerade für eine Weile vorbei.

Während SCHIZOPHRENIA das begeisterte Volk nach knapp 35 Minuten verließen kamen schon erste Gespräche auf zwischen den Anwesenden, die oft weit älter waren als die Musiker und METALLICA oder EXCITER durchaus schon auf ihren ersten Deutschland-Konzerten gesehen haben Angelus Apatridakönnten. Von Altersweisheit jedoch keine Spur bei dem Gerede, dass „jede Grippe weitaus schlimmer ist und mehr Leute umbringt als dieser Corona-Scheiß“ oder, noch schlimmer, der Aluhut aufgesetzt sowie etwas gefaselt wurde von dem abgekarteten Spiel, das die Wirtschaft gerade mit uns allen treibt. So, als hätte man etwas instinktiv kapiert, mit wissendem Blick – aber leider, wie meistens, ohne Quelle oder Beleg, nur mit „Bauchgefühl“. Ich hatte ebenfalls ein Bauchgefühl, aber kein gutes, spätestens als die Teilnehmer am Hell Over Hammaburg (kultiges Festival in Hamburg am Wochenende zuvor) davon sprachen, dort wahrscheinlich auf Infizierte gestoßen zu sein oder, noch derber, dass man im Angelus Apatrida„erweiterten Bekanntenkreis“ durchaus Infizierte habe. Darauf noch ein Bier, zum Glück eines aus der Flasche und nicht aus einem mies gespülten Glas.

Den Soundtrack dazu lieferten ANGELUS APATRIDA, ein Thrash-Quartett aus Spanien, das einige newmetalmäßige, mehrstimmige Melodiebögen in ihre Refrains mogelt, die mich keine Scheibe komplett durchhören lassen können, trotz großartiger Strophen, astreinem Gitarrenspiel sowie grundsympathischer Attitüde. Live kommt das trotzdem perfekt, die Melodien sogar ganz reizend nach ein paar Schoppen. Der Platz vor der Bühne wurde noch mehr genutzt als vorher zum Toben oder Bangen, was auch die Iberer anzustacheln schien, die in ihrer Angelus ApatridaHeimat eine ziemlich große Nummer sind und bereits sechs Langspieler seit ihrer Gründung im Jahr 2000 veröffentlicht haben. Was da von welchem Album gezockt wurde entzieht sich meiner Kenntnis. Geil wars aber, das SLAYER-Cover „The Antichrist“ auch hier eine Referenz vom Feinsten. Das war schon jetzt eine der spaßigsten Metal-Parties seit langem, sogar vor dem Headliner, und ja, Corona war jetzt ganz weit weg aus meinem Kopf.

Als ich die EVIL INVADERS erstmals 2014 vor DESTRUCTION sah, hauten sie mich um und ich musste etwas von ihnen kaufen – damals gab es nur eine EP, die ziemlich roh sowie mit pubertärem, sexistischem Cover versehen nur in Spurenelementen von der Live-Klasse der Formation Kunde tat. Die vokale Evil InvadersPerformance des Sängers wie Gitarristen Joe (früher „Joe Anus“ als Verballhornung von Johannes) mit ihrem Mix aus kieksenden, hohen Schreien (Speed Metal galore) und tieferem Klargesang war charmant wie auf Dauer stimmbandzerfetzend. Inzwischen ist die Stimme geschult, zwei Studio-Scheiben wurden veröffentlicht und sogar ein Live-Album, aufgenommen 2018 in Antwerpen.

Die Verbeugung vor den Meistern der Achtziger auf dem Album war „Witching Hour“ von VENOM, in Wiesbaden war das einmal mehr „Violence and Force“ von EXCITER. Drei Stücke der EP fanden sich in der Setlist, „Tortured by the Beast“ kam bereits ziemlich früh. Vollgas von Anfang Evil Invadersan, doch auch die EVIL INVADERS haben inzwischen Mid-Tempo-Stücke wie „Broken Dreams In Isolation“ (ein Songtitel, der die Wochen nach dem Konzert vollendet beschreibt), die einen mal zwischendurch Luft oder Bier holen lassen. Trotzdem: Totalabriss vom Allerfeinsten sowie eine Live-Sternstunde, wie der folgende Clip mit Gastvocals aus dem Publikum zeigt:

Das ambivalente Fazit des Abends: Es wäre schade gewesen, das verpasst zu haben – Metal geht live kaum besser. Und doch: So, wie sich die Nachrichten oder Maßnahmen in den folgenden Tagen überschlugen bleibt nur zu hoffen, Evil Invadersdass sich niemand an diesem Abend etwas eingefangen hat: „Social Distancing“ geht definitiv anders. Wobei die feierwütigen Metaller nicht die Einzigen sind, die keinen Bock darauf haben auf ihre liebgewonnenen Beschäftigungen temporär zu verzichten um damit den Ansteckungsverlauf dieser Pandemie zu verlangsamen: Selbst als die Schulen, Museen oder Fußballstadien geschlossen wurden (ein bisher einmaliger Vorgang in der Geschichte dieses Landes nach dem Krieg), die Grenzen dichtgemacht sowie Hygieneartikel zuhauf aus den Kliniken geklaut wurde – selbst da sitzen Ignoranten jedweden Alters zuhauf in der Sonne und schlürfen Eis oder Sekt, während ihre Kinder oder Enkel sich kontaktfreudig auf Spielplätzen bespaßen.

Evil InvadersDie Kita hat zu? Kommt zum Eltern/Kind-Treff im Privathaus. Der Club oder die Bar hat dicht? Egal, feiern wir weiter im Keller Deines Vertrauens. Keine gute Idee. Selbst Leute, die staatlicher Gängelung sonst kritisch gegenüberstehen, können nicht anders als Verständnis aufzubringen für die immer weitreichenderen Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Das ist alles scheiße, aber nötig – es wird im Notfall nämlich nicht genug Intensiv-Betten in diesem kaputtgesparten „Sozialstaat“ Evil Invadersgeben. Hoffen wir, dass wir das alle gesund überstehen und in Zukunft wieder weiterfeiern können. Bis dahin kann ja jeder, der es sich finanziell leisten kann mal schauen, wie er seine Lieblingskünstler unterstützt in dieser Zeit, in der ihr Haupterwerb durch die Konzertverbote gestrichen wurde. Ein paar Euro mehr bezahlen für den Download auf Bandcamp, zum Beispiel. Zeit darüber nachzudenken haben wir ja jetzt erstmal.

Links: https://linktr.ee/schizophrenia.official, https://www.facebook.com/Schizophrenia.Officialband, https://www.last.fm/de/music/Schizophrenia, http://www.angelusapatrida.com/, https://www.facebook.com/angelusapatrida, https://grimmdistribution.bandcamp.com/album/angelus-apatrida/, https://www.last.fm/music/Angelus+Apatrida, https://evilinvaders.be/, https://www.facebook.com/evilinvaders/, https://evilinvaders.bandcamp.com/, https://www.last.fm/music/Evil+Invaders

Text, Fotos & Clip: Micha

Alle Bilder:

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