Das Bett, Frankfurt, 6.04.2017
Es gibt Konzerte, bei denen man sich unmittelbar an die TV-Serie „Time Tunnel“ aus den 1960er Jahren erinnert fühlt. In der Reihe ging es um einige Wissenschaftler, denen es gelungen war, eine Methode zu entwickeln, Menschen mit Hilfe eines psychedelischen Spiraltunnels in die Vergangenheit zu schicken. Und eben jenen Time Tunnel schien ich am gestrigen Abend im Frankfurter Club „Das Bett“ betreten zu haben. Mit der Band EXTRABREIT hatte ich mich zuletzt in den frühen Achtzigern beschäftigt. Damals, ich muss wohl in der sechsten oder siebten Klasse gewesen sein, kam man an dem Song „Hurra, hurra, die Schule brennt“ nicht vorbei. Das Lied lief im Radio, in Musik-Sendungen im Fernsehen und natürlich hatte es auch stets jemand auf seinem Walkman parat.
Tatsächlich waren EXTRABREIT für mich einer der wenigen Vertreter der Neuen Deutschen Welle, von denen ich damals (die ersten drei) Alben erwarb. TRIO, IDEAL, NICHTS und GRAUZONE gehörten ebenfalls dazu. Nach der dritten Scheibe „Rückkehr der phantastischen 5!“ verlor ich die aus Hagen stammende Formation allerdings aus den Augen, vermutlich, weil in den Jahren 1982/83 die Neue Deutsche Welle bereits wieder aus der musikalischen Landschaft verschwand und ich mich ohnehin mehr für Metal-Acts interessierte. Schade eigentlich, brachte der Trend doch – zumindest im Underground-Bereich – einige wirklich originelle Acts hervor.
Ob EXTRABREIT sich je als Teil der damaligen Bewegung fühlten oder sie einfach unbewusst einen Sound schufen, der kurzerhand unter dem Label NDW vermarktet wurde, sei mal dahingestellt. Fest steht, dass die Jungs eigentlich nie aufgehört haben, Musik zu machen. Nach den ersten drei LPs, die sich noch immer in meinem Besitzt befinden (inklusive des zweiten Albums mit 3D-Brille), haben sie zwölf weitere Scheiben eingespielt und zudem etliche Best-of- und Live-Compilations veröffentlicht.
Vermutlich ist es dieser regen Studio-Aktivität und der regelmäßigen Live-Präsenz zu verdanken, dass die Hagener auch heute noch mittlere Säle mit gut 500 Leuten füllen. Dass es am gestern nicht (ganz) so voll war, lag vor allem daran, dass es bereits im vergangenen Dezember einen EXTRABREIT-Gig an gleicher Stelle gab und dass die Herren schon im Dezember 2017 wieder in der Batschkapp gastieren. Da kann man selbst als Fan schon mal eine kleine Live-Pause einlegen. Mir kam diese Tatsache sehr entgegen, denn mit 200 Besuchern ist es im „Bett“ so richtig nett.
EXTRABREIT 2017 bestehen immerhin noch aus drei Mitgliedern der ersten Stunde: Gitarrist Stefan Kleinkrieg, Shouter Kai Havaii und Drummer Rolf Möller sind alle auf dem ersten Album „Ihre größten Erfolge“ (bester Titel für ein Debütalbum ever!) vertreten, später kamen der zweite Gitarrist und der Basser dazu. Meine Befürchtung, aufgrund der 15 Alben (von denen ich nur drei kannte) mit der dargebotenen Setlist nicht viel anfangen zu können, bewahrheitete sich nicht, denn das Gros der über 20 Songs stammte von den ersten drei Veröffentlichungen. Immerhin drei Tracks wurden vom 1991er-Output „Wer Böses denkt, soll endlich schweigen“ gegeben und dann gab‘s noch einige Stücke des letzten Albums „Neues von Hiob“ aus dem Jahr 2008.
Schön dabei war, dass neuere Lieder wie „Der letzte Schliff“ oder „Besatzungskind“ perfekt mit den alten Werken harmonierten. Die Band, dies war zumindest mein Live-Eindruck, ist sich über all die Jahre treu geblieben. Überhaupt machte die gesamte Darbietung großen Spaß und entführte mich für anderthalb Stunden in eine Zeit, da ich mir noch keine Gedanken über Steuernachzahlungen, Tinnitus und den Morgen nach einer durchzechten Nacht machen musste.
Songs wie „Der Präsident ist tot“, „Polizisten“, „Mama, hol uns hier raus“ und „3D“ sind zeitlos, wissen auch nach knapp 30 Jahren noch zu gefallen und ihre Botschaften sind noch immer aktuell. Nach etwa der Hälfte des Sets verschwand Kai Havaii kurz hinter der Bühne und überließ Kleinkrieg als Sänger das Podest, der von seinem 2015er-Soloalbum ein Stück performte und im Anschluss noch einen EXTRABREIT-Track zum Besten gab – eine nette Abwechslung zu Havaiis Gesang. Als Zugaben kamen natürlich noch die großen Hits „Flieger, grüß mir die Sonne“ und „Hurra, hurra, die Schule brennt“, die das Publikum, das teilweise seine Kinder (oder sogar Enkel) im Gepäck hatte, noch einmal zum Mitsingen animierten.
Für mich war‘s ein gelungener, kurzweiliger Abend, der mich vielleicht sogar dazu verleiten wird, mal wieder einige alte NDW-Scheiben auf meinem Plattenteller rotieren zu lassen. In erster Linie war‘s aber eine Zeitreise, die endete, als die Tür des Clubs hinter mir zufiel und mich in die Dunkelheit entließ. War ne schöne Zeit, damals…
Links: http://www.die-breiten.de/, https://de-de.facebook.com/dieBreiten/, https://www.last.fm/de/music/Extrabreit
Text: Marcus / Fotos: Eric, https://www.flickr.com/photos/vanreem
Clip: am Konzertabend aufgenommen von VodkaViolator
Alle Bilder: