Batschkapp, Frankfurt, 26.04.2022
Voll war’s, sogar die Empore der Frankfurter Batschkapp war geöffnet. Hätte ich nicht erwartet. Andererseits hatte man mehr als zwei Jahre lang Zeit Karten zu erstehen für diese Tour, die dreimal verschoben wurde und nun an diesem nasskalten, vorverlegten Herbsttag ihren Anfang nahm. Und das, obwohl man als THE GASLIGHT ANTHEM-Fan keine Kompromisse mehr eingehen muss indem man nur die verfügbaren Teile der Lieblingsbands goutiert: THE GASLIGHT ANTHEM sind zurück und im Sommer 2022 auf Tour, sogar ein neues Album ist im Bau. Hat sich der mitunter viel geschmähte Brian Fallon also mit seinem Heartland-Rock mit Americana-Schlagseite längst eine eigene Fanschar aufgebaut, die auf Songs seiner vor zehn Jahren schwer gehypten, geliebten und verbrannten Heartland-Punk-Band gar keinen Wert legt? Oder kamen die Fans etwa wegen Fallons Buddy Chris Farren (rechts), der wie 2016 an gleicher Stelle das Vorprogramm bestritt? Ich weiß zumindest, weswegen ich vor Ort war: Ich wollte Jesse Malin sehen und ihn endlich in diesem Blog bringen, bevor der sich vielleicht auch noch verabschiedet an die dunkle Seite der Macht. Schade nur, dass sein Talent als Opener mit gerade mal 30 Minuten Spielzeit vor erfolgreicheren Nachgeborenen fast schon verschwendet wurde.
Wobei die meisten Anwesenden dann doch recht ratlos gen Bühne blickten, als Malin mit seinem Partner Derek Cruz an Keyboard oder Gitarre pünktlich um 20 Uhr die Bühne betrat. Jesse Malin? Kurz mal ein paar Eckdaten: Geboren 1968 in New York, lärmte Malin bei den kurzlebigen HC-Punks HEART ATTACK bis er bis 1999 den Glam-Punks D-GENERATION vorstand. Malins Kumpel Ryan Adams, mit dem er die gemeinsamen Punk-Roots in dem Spaßprojekt THE FINGER später auslebte (Album: „We are Fuck You“ von 2003) produzierte sein erstes Soloalbum 2002 und ging häufig mit ihm auf Tour (zum Beispiel im Offenbacher Capitol im Dezember 2002, Knallerabend). Seitdem veröffentlichte er kontinuierlich Soloalben zwischen Americana und dem Heartland-Rock eines Tom Petty, Bruce Springsteen oder Willie Nile, tourte aber auch mit den wieder vereinten D-GENERATION oder arbeitete mit GREEN DAY. Sein letzter Output ist die Doppel-LP „Sad and Beautiful World“, die sich in „Roots Rock“ sowie „Radicals“ aufteilt – letzteres bezieht sich auf die Texte, nicht die Musik (obwohl er mit dem Feature-Gast H.R. eine Punk-Koryphäe dabei am Start hat). In England oder Spanien füllt er die Hallen als Headliner, in Deutschland kennt ihn kaum jemand.
Als einziger Act des Abends thematisierte Malin den Krieg in der Ukraine („I’ve always been a man of peace, but when you’re attacked you gotta fight back“), die blau-gelben Farben der Illumination dazu waren sicherlich kein Zufall. Mit Eugene Hütz von GOGOL BORDELLO veröffentlichte Malin am 29. April 2022 eine Soli-Scheibe zur Unterstützung der Ukraine mit dem POGUES-Song „If I Should Fall From Grace With God“, den Malin auch in der Batschkapp zum Besten gab (siehe hier). Dazu ein paar Stücke vom Doppelalbum, ein Klassiker sowie ein bisschen lockerer Small Talk.
Das war alles recht nett und kam gut an im Auditorium, aber es war eben nur ein kleiner Ausschnitt von dem, was Malin als Headliner zu bieten hätte. Malin und Cruz meinten zwar, vor fünf Jahren zuletzt in Frankfurt gewesen zu sein, doch ob sie damit wirklich einen Gig meinten darf bezweifelt werden. Zumindest weiß Setlist.fm davon nichts. Malin ist bei uns leider genauso unter dem Radar wie der Kollege Willie Nile aus New York, der ebenso ein musikalisches Terrain zwischen Springsteen und THE CLASH beackert, woanders fette Hallen füllt und bei uns noch nicht mal Kellerclubs ausverkauft. Schade. Aber toll, wenigstens diese halbe Stunde erlebt zu haben.
Ebenso wenig bekannt in unseren Breiten scheint Chris Farren zu sein, der als Solist den Slot zwischen Malin und Fallon zu füllen hatte und bisher bei Formationen wie ANTARCTIGO VESPUCCI oder FAKE PROBLEMS Spuren hinterließ. Mit Brian Fallon hat er jedoch einen Fan wie Förderer, bereits 2016 nahm dieser Farren als Special Guest mit auf Tour. Fallon-Fans kannten also ihn und seinen Humor, der sich mir bei meiner Review 2016 nicht erschloss. Im Gegenteil: Sein Gebaren auf der Bühne sowie in den sozialen Medien ging mir so sehr aufs Geäst, dass ich fies wie selten über ihn urteilte, was mir heute etwas leid tut.
Seine permanenten Selbstbeweihräucherungen waren eindeutig ironisch zu werten, auch wenn es sich mir nach wie vor nicht erschließt, wie man ausschließlich auf so eine Art kommunizieren kann. Im Gegensatz zu 2016 traten dabei jedoch durchaus Brüche zutage, etwa wenn Farren stolz sein selbst am PC hergestelltes Video zu „Car Chase!“ vorstellte – ein Teil seines Soundtracks „Death Don’t Wait“ zum gleichnamigen Film, der nicht existiert. Der größtenteils instrumentale Soundtrack spielt mit (film-)musikalischen Stimmungen auf Titeln wie „Hot Pursuit“, „Cold Pursuit“ und „Chris Farren Noir“ und ist, vor allem mit den dazugehörigen Videos, wirklich sehr witzig.
45 Minuten lang unterhielt Farren als Ein-Mann-Band mit Gitarre, Pedalen sowie Videos das Publikum, welches er bescheiden wie immer als „das seine“ ansprach und um die Freundlichkeit bat, nach ihm bitte noch „diesen Brian Fallon“ anzuchecken, der wäre schon ganz gut. Seine Leistung verdiente absoluten Respekt und war äußerst unterhaltsam, Schande über meine Gemeinheiten von 2016. Anhören kann ich mir seine Songs jedoch nach wie vor nicht zuhause, aber da kann Chris Farren ja nix für.
Mit 20 Songs war die Setlist bei Fallon prall gestopft, seine Begleitformation hörte diesmal auf den Namen THE HOWLING WEATHER und unterschied sich personell sehr von der 2016, bei der sein THE GASLIGHT ANTHEM-Kollege Alex Rosamilia mit am Start war. Seitdem gab es 2018 eine Nostalgie-Tour mit der Truppe, die sich vor knapp zehn Jahren mit ihren Hymnen in die Herzen adoleszenter Menschen spielte. Drei Soloplatten veröffentlichte Fallon seitdem, das letzte, „Local Honey“, auf seinem eigenen Label. Dazu Aufnahmen mit THE HORRIBLE CROWES oder MOLLY AND THE ZOMBIES sowie zuletzt eine Weihnachtsplatte. Fallon reifte dabei als Songwriter – seine Themen sind erwachsener, seine musikalische Ausdrucksweise wandert immer mehr in Richtung Americana bis sogar Alternative-Country.
Passend dazu die Beschallung in der Umbaupause zwischen Farren und Fallon, als Bob Dylan, Mark Knopfler/ Emmylou Harris und Ähnliches zu vernehmen war. In den Interviews zu „Local Honey“ formulierte Fallon häufig, dass er sein „Rockstarleben“ hinter sich gelassen habe, die TGA-Tour 2018 war „eine einmalige Sache“ (Slam). Und dann die Nachricht: TGA-Tour 2022 und! Ein! Neues! Album! „Playing guitars. I want to turn up something to 10 and play. Kick an amp over or something. That sounds great right now” (mehr dazu hier).
Darauf müssen Jünger noch ein wenig warten, aber das können wir ja: Auf dieses Konzert in der Batschkapp haben wir ebenso gewartet, länger als zwei Jahre, dreimal wurde die Tour verschoben. Trotz des Jetlags wirkte Fallon sehr gelöst, als er über diese Umstände witzelte und lieferte mit 20 Stücken aus den drei Soloplatten sowie der HORRIBLE CROWES amtlich ab. Ja, wieder keine TGA-Stücke, aber das macht nichts. Die gibt’s dann zum Beispiel am 11. August in Köln, wenn man mag. Faszinierend war es zu beobachten, wie das Publikum zwischen 17 und 70 dem hemdsärmeligen Musiker dabei aus der Hand fraß – überdurchschnittlich viele Menschen sangen fast die gesamten 90 Minuten lang Fallons Lyrik mit, die nicht ohne Pathos die großen Themen des menschlichen Miteinanders behandelt und bei der Fallons Religiosität im Gegensatz zu den GASLIGHT-ANTHEM-Songs durchaus eine Rolle spielt, jedoch ohne dabei missionieren zu wollen.
Seine Redebeiträge waren dabei deutlich weniger als 2016, ein wenig scherzte er über seine Überraschung, dass überhaupt noch jemand im Saal sei nach dem Auftritt von Chris Farren. Später schlachtete er noch ein paar mehr oder weniger heilige Kühe indem er kundtat, dass „KISS saugen“ und NIRVANA von BOSTON sowie KILLING JOKE geklaut hätten. No shit, Sherlock. Nachdem ich 2016 meiner Antipathie gegenüber Chris Farren freien Lauf ließ musste ich mir diesmal eingestehen, dass ich Brian Fallon eigentlich nicht leiden kann. Was nichts an der herausragenden Klasse seiner Darbietung (die wie immer zugabenlos gegen 23.30 Uhr zuende ging) sowie seiner Songs ändert; dafür kann man Fallon gar nicht genug feiern. Mein Held des Abends war jedoch Jesse Malin, der mit seinem Smartphone aus dem Fotograben ein paar Bilder von Brian Fallon schoss und beim Weg zum Merchstand anerkennend mein MOTÖRHEAD-Shirt abnickte. Wisster Bescheid.
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Links: https://www.brianfallon.net/, http://thebrianfallon.tumblr.com/, https://www.facebook.com/thebrianfallon, http://www.last.fm/music/Brian+Fallon, https://chrisfarren.com/, https://www.facebook.com/chrisfarren, http://chrisfarren.bandcamp.com/, http://www.last.fm/music/Chris+Farren, https://www.jessemalin.com/, https://www.facebook.com/jessemalin, https://jessemalinwcr.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Jesse+Malin
Text & Fotos: Micha
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