Das Bett, Frankfurt, 24.01.2019
Musikfreunde in einem bestimmten Alter neigen manchmal/öfter dazu, den Sound ihrer Adoleszenz zu glorifizieren und dem vergangenen Rausch beim Hören nachzujagen – doch die Musiker schritten fort und enttäuschen deshalb, gleich ob durch künstlerische Weiterentwicklung oder ewige Wiederholung bereits getätigter Töne. „It’s never as good as the first time“ wusste schon Sade 1985. Was bleibt? Fans von LED ZEPPELIN haben sich in jüngster Zeit beispielsweise dazu entschlossen, ihre musikalische Midlife-Crisis an den Youngstern GRETA VAN FLEET abzuarbeiten. Kann man machen. Man könnte jedoch auch mal testen, was für jüngere Generationen eine ähnliche Relevanz hat wie das vorher selber Erlebte und Eintauchen in Szenen, die von Menschen bevölkert sind, die zehn, 20 oder gar 30 Jahre jünger sind als man selber. Da findet man vieles, das verwundert; einiges, das amüsiert und manches äußerst sympathisch. Und ab und zu einen Knaller, der einem genauso die Schuhe auszieht wie die Lieblingsband vor 35 Jahren. Und ja: Jüngere wussten schon länger von diesem Schatz, der von mir erst dieser Tage gesichtet wurde.
Vorhang auf für FJØRT aus Aachen. Das Trio existiert seit 2012. Bassist und Co-Sänger David Frings kennt man vielleicht auch von KOSSLOWSKI, es trommelt Frank Schophaus, Co-Sänger zwei und Gitarrist ist Chris Hell, dessen Name so passt, dass er wie ein falscher wirkt. Eine EP und drei Alben sind bisher erschienen, die letzten beiden bei Grand Hotel Van Cleef, dem Label der KETTCAR-Musiker Marcus Wiebusch und Reimer Bustorff sowie von Thees Uhlmann (ehemals TOMTE). Wer seine Eintrittskarten für die aktuelle FJØRT-Tour beim Label bestellte, bekam noch eine nette Überraschung dazu: Bei mir war es eine TOMTE-CD. Danke dafür.
Den Bohei, den FJØRT szeneintern so auslösten, habe ich bisher nur am Rande mitbekommen. Als regelmäßiger Visions– und Ox-Leser kam ich jedoch nicht umhin, die frenetischen Jubelschreie wahrzunehmen, die dort in gedruckter Form zu finden sind: Platte(n) des Monats, und laut Ox sind FJØRT „vielleicht das Bandphänomen der vergangenen Jahre schlechthin“. Post-Hardcore, der in meinen ungeübten Ohren durchaus Paralellen zum von mir geschätzten Post-Black Metal aufweist – mit Texten, die wörtlich zu verstehen sind trotz Schreierei und es trotzdem nicht sind, weil man sie auf verschiedene Arten deuten kann. Manchmal. „Couleur“, das zuletzt erschienene Studio-Album, wird phasenweise exakter. Zu stark ist die Sorge darüber, dass soziale Standards vor die Hunde gehen, da kann man auch mal deutlicher werden, ja vielleicht sogar pathetischer.
„Ich möchte eigentlich
Dieses Pack nicht kommentieren
Wenn die das Recht nicht hätten
Auch ihre Kreuze zu platzieren
Und damit wirklich zu entscheiden
Welches Leben mehr Wert hat
So sich dann rechnet auch zu bleiben
Ich werde nicht akzeptieren
Dass das Geschwür mich dann auch frisst
Auch wenn ich jeden Tag mit Farbe durch die Straßen rennen muss
Es gibt doch so viele
In denen das Gewissen brennt
Arm in Arm mit euch
Die stärkste Mauer, die ich kenn’“
(aus dem Song „Raison“)
FJØRT. Der neue Feind aller, die „Gutmenschen“ hassen. Gibt es im Punkrock ja auch viele. Vielleicht auch ein Grund, bei GHVC zu veröffentlichen – der gemeinsame Nenner der Musiker dort ist eher das Wort als der Klang.
Deshalb auch der Opener: YELLOWKNIFE aus (inzwischen) Hamburg. Bandkopf Tobias Mösch wird von der Plattenfirma der „Ryan Adams aus Hessen“ genannt. Infos sind im Netz kaum zu finden, die eigenen Seiten geben nicht viel preis, auf der Facebook-Seite wird Ryan Adams auch als Einfluss genannt. Die halbstündige Performance war zum Teil durchaus rockig-expressiv – vor allem Bassist Carsten Thumm (mit schickem TALKING HEADS-Shirt) war bewegungstechnisch schon arg Punkrock. Das Trio-Format scheint neu zu sein, die Songs für mich als Unkundigen angenehm, auf konservative Weise. Vorsätze, der Combo später noch mal ein paar Ohren mehr zu leihen, wurden gefasst. Und dann durch den Headliner erstmal hintenan gestellt.
Ebenfalls analog zum Black Metal fahren FJØRT ein fulminantes Lichtspektakel auf, bei dem von der Bühne aus in erster Linie die Gäste illuminiert werden und nur in zweiter Linie die Musiker. Das Instrumental „Nuri“ leitete den Auftritt ein, mit „In Balance“ wurde anschließend ein Song des Vorgängeralbums „Kontakt“ (2016) bemüht, bevor mit „Eden“ der erste von acht „Couleur“-Krachern kam. Und Kracher sind es wahrlich: Wirken die Sprachrohre Hell und Frings in ihren Ansagen wie Hippies, so brennen sie instrumental die Bude ab, dass es eine Art hat. Wären einem die Texte egal, dann bliebe immer noch ein enorm extravaganter Klangteppich, der seine vorhandenen Einflüsse zu etwas Neuem und Besonderen formt.
Nimmt man den lyrischen Seelen-Striptease Hells und die klaren antifaschistischen Ansagen von Frings dazu, fühlt man sich bei FJØRT unter Gleichgesinnten und Freunden, was das ganze Elend da draußen für ein Weilchen nicht ganz so schlimm macht. FJØRT beherrschen es, eskapistische Kunst mit gesellschaftlicher Analyse zu konstruieren: Herzlichen Glückwunsch, das schafft auch nicht jeder. Knapp eineinhalb Stunden vollkommener Rausch mit heftigem Pit am Ende der Show – ich ärgere mich ein wenig, dass ich das in den vergangenen sieben Jahren noch nicht auf dem Schirm hatte. Aber was solls: Besser spät als nie.
Links: http://www.fjort.de/, https://www.facebook.com/fjort, https://fjort.bandcamp.com/, https://www.last.fm/music/Fjort, http://www.thisisyellowknife.com/, https://www.facebook.com/yellowknife.yellowknife, https://thisisyellowknife.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/Yellowknife
Text, Fotos & Clip: Micha
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