Fotoperlen von einst – Folge #4

Frankfurt, Juni 2020

Die Toten Hosen, Batschkapp 1986Kaum zu glauben, aber seit der letzten Folge unserer Serie „Fotoperlen von einst“ sind schon wieder satte drei Jahre verstrichen – die bisherigen Posts datieren von 2017, 2015 und 2013. Da wir momentan aus bekannten Gründen den Fokus nicht auf aktuelle Konzerte richten können, haben wir unseren Kollegen Micha gebeten, erneut in sein Archiv abzutauchen und weitere Schätze (wie beispielsweise einen Campino aus der Batschkapp vom September 1986) auszugraben. Was dabei alles zu Tage gefördert wurde, kann sich sehen lassen: Bilder aus den Jahren 1983 bis 1999, und erstmals in der „Fotoperlen“-Serie alle in Farbe. Warum? Das wird im Folgenden erläutert vom Fotografen Micha, der auch die Linernotes zu den Bildern verfasst hat.

Alle Fotos lassen sich wie immer durch Anklicken vergrößern!

Seit 1981 besuche ich Konzerte. Im gleichen Jahr probierte ich auch schon, die flüchtigen Erlebnisse mit einer Kamera festzuhalten im Rahmen meiner Möglichkeiten – und die waren anfänglich genauso bescheiden wie mein Sachverstand. Mit einer Pocketkamera (Ritsch-Ratsch-Klick. Erinnert sich jemand daran?) knipsen von ganz hinten in der Stadthalle Offenbach oder gar vom ersten Rang der Frankfurter Festhalle – bis ich auf die Idee kam, etwas näher an die Bühne zu gehen, dauerte es. Irgendwann kam die erste Spiegelreflexkamera ins Haus, ein wahrer Schatz. Mit der traute ich mich nur bei Konzerten ins Gewühl, bei denen nicht getobt wurde. Könnte ja was kaputt gehen.

King Diamond mit Puppe, Stadthalle Offenbach, 9.12.1987

Den Musikern anschließend ins Gesicht geblitzt und mich dann gewundert, warum die auf den Fotos so böse gucken. Ohne Blitz war aber alles unscharf. Schwarz/Weiß-Filme waren die Lösung, die konnte man „pushen“, also mit höherer Empfindlichkeit belichten. Dumm nur, wenn man vergaß das bei der Entwicklung anzugeben. So häuften sich bei mir die Schrottbilder schnell. Schwarz/Weiß ging besser, wie gesagt; aber ich wollte lieber in Farbe fotografieren, denn „das Leben ist farbig“, wie es in der Werbung damals hieß. Dann kam der Kodak VR 1000. 1000 Iso. Hammer. Musste ich probieren. Dass die Bilder schlecht altern würden konnte ich seinerzeit nicht ahnen, auch Hollywood-Produktionen wurden davon nicht verschont. Trotzdem: Die eine oder andere (Semi-)Legende hat es bei mir auf den Farbfilm geschafft, einige davon möchten wir Euch zeigen. Bitte schön:

 

BIG COUNTRY – Batschkapp, Frankfurt – 16.10.1983

Seinen Einstand in der Batschkapp feierte dieser Film in meiner Kamera beim Konzert der schottischen Folk-Rocker BIG COUNTRY im Oktober 1983. Ich hörte kurz vorher ein Stück von deren Debüt „The Crossing“ im Radio und erstand danach ein Ticket. So einen Sound hatte ich vorher noch nie gehört, die

Big Country, Batschkapp, Frankfurt, 1983

Show begeisterte mich mit ihrer Dynamik und Schwermut genug, um mir die Band noch öfter anzusehen. Gitarrist Bruce Watson (links) betreibt die Combo nach einer Auflösung 2000 wieder; Ur-Sänger Stuart Adamson beging 2001 Suizid. Auch Mike Peters von den damaligen Folk-Rock-Konkurrenten THE ALARM gehörte zwischenzeitlich zur Formation.

 

IRON MAIDEN – Walter-Köbel-Halle, Rüsselsheim – 10.12.1983

Wenn man in der Rüsselsheimer Walter-Köbel-Halle an der Seite saß, konnte man relativ stressfrei aus nicht allzu abartiger Entfernung passable Bilder machen, weswegen ich mich im Dezember 1983 auch mal traute, die Kamera auf ein Metal-Konzert mitzunehmen. Es war die zweite IRON MAIDEN-Tour mit Bruce Dickinson am Mikro, der hier vor dem Union Jack Luftsprünge macht.

Iron Maiden, Walter-Köbel-Halle, Rüsselsheim, 1983

Ich war eher ein Paul Di’Anno-Fan, musikalisch gesehen, aber MAIDEN gingen eigentlich immer, sogar als sie anfingen Prog Metal zu spielen. Das war bei der beworbenen Platte „Piece of Mind“ noch nicht der Fall. Ich fand es gut, liebte zu diesem Zeitpunkt aber die im Vorprogramm spielende MICHAEL SCHENKER GROUP weit mehr. Eine Einschätzung, die sich im Laufe der Jahre erledigte.

 

GARY MOORE & IAN PAICE – Vobi, Frankfurt – 19.03.1984

1984 war ein gutes Jahr für den Hardrock. DEEP PURPLE waren noch nicht wieder vereint in ihrer Mark 2-Besetzung und wuselten in Splittergruppen über den Globus, die alle hochklassig waren. Meine Favoriten waren seinerzeit WHITESNAKE, bei denen bis 1981 noch Ian Paice von PURPLE trommelte. Einen Tag bevor WHITESNAKE mal wieder in Offenbach gastierten schlug

Gary Moore & Ian Paice, Volksbildungsheim, Frankfurt, 1984

Paice im März 1984 mit seinem damaligen Brötchengeber Gary Moore im Volksbildungsheim auf. Ich stand auf der Empore, kein allzu guter Blickwinkel für Fotos, aber Paice konnte man von dort sehr gut beim Spielen zuschauen. Moore war damals noch nicht in seiner Blues-Phase, es gab „Murder in the Skies“ und „Nuclear Attack“ auf die Ohren, und das war gut so.

 

BLUE ÖYSTER CULT – Stadthalle, Offenbach – 25.01.1984

Livetechnisch eröffnet wurde das Jahr, in dem das legendäre Monsters Of Rock in Karlsruhe stattfand, JUDAS PRIEST mit „Defenders of the Faith“ tourten und METALLICA im Vorprogramm (!) von TWISTED SISTER (!!) exklusiv (!!!) im Volksbildungsheim (!!!!) spielten (die Hamburger mussten stattdessen Lita Ford erdulden) mit BLUE ÖYSTER CULT, die schon vor JUDAS PRIEST mit der

Blue Öyster Cult, Stadthalle, Offenbach, 1984

Harley aufs Podest rollten, wenn sie „Born To Be Wild“ coverten. Zu dieser Zeit bespielten BÖC häufig deutsche Bühnen, nach immer kleiner werdenden Locations war damit ab den Neunzigern jedoch lange Essig. Hier ruhte meine Kamera auf dem Mäuerchen vor den Sitzreihen in der Stadthalle Offenbach, um beim Stroboskop-Einsatz länger wackelfrei belichten zu können. Glück gehabt.

 

Simon Bonny von Crime & the City Solution, Wartburg, Wiesbaden, 1986CRIME & THE CITY SOLUTION
Wartburg, Wiesbaden
11.09.1986

1986 las ich neben Metal Hammer auch Spex. Das machte mich neugierig auf schrägere Formationen, die, neben der Frankfurter Batschkapp oder dem erst 1988 ebenda eröffneten Club Negativ, häufig in der leider nicht mehr existierenden Wiesbadener Wartburg aufspielten. ALIEN SEX FIEND, EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN oder SUICIDE durfte ich dort erleben, bei SONIC YOUTH sowie bei CRIME & THE CITY SOLUTION hatte ich die Kamera dabei. Bei SONIC YOUTH war es zu duster für gute Aufnahmen; C&TCS waren, zumindest lichttechnisch, weitaus heller. Der Sänger sowie einzige personelle Konstante Simon Bonney ließ sich eventuell vorhandenen Frust über das mau gefüllte Auditorium nicht anmerken. Eskortiert wurde er von der legendären Besetzung mit Mick Harvey, Epic Soundtracks und Roland S. Howard.

 

THE GO-BETWEENSThe Go-Betweens, Batschkapp, Frankfurt, 1986
Batschkapp, Frankfurt
7.06.1986

THE SAINTS
Batschkapp, Frankfurt
18.11.1986

DIE TOTEN HOSEN
Batschkapp, Frankfurt
17.09.1986

Ebenso Spex-kompatibel war das Programm der Batschkapp in jenem Jahr. THE GO-BETWEENS im Juni mit ihrem Indie-Rock, der ungewohnt unmaskulin und dementsprechend reizvoll auf mich wirkte; The Saints, Batschkapp, Frankfurt, 1986deren australische Landsleute THE SAINTS im November, die ihren Punkrock hemdsärmeliger und weniger plakativ präsentierten, als ich es zu dieser Zeit von europäischen Bands gewohnt war, sowie DIE TOTEN HOSEN auf ihrer „Damenwahl“-Tour im September. Einige von meinen Bildern dieser Konzerte haben es auch in die Jubiläumspublikation „40 Jahre Batschkapp“ geschafft, welche man hier als Corona-Soli-Aktion noch erwerben kann.

Die Toten Hosen, Batschkapp, Frankfurt, 1986

 

VIKTOR LAZLO
Volksbildungsheim, Frankfurt
15.09.1986

Viktor Lazlo, Volksbildungsheim, Frankfurt, 1986Mitte der 80er Jahre war Jazz-Pop ein großes Ding, alle liebten Sade (ich sowieso) und Bands wie WORKING WEEK oder CARMEL bereiteten den Weg für Acid Jazz und andere smoothe Club-Sounds. Leider ein wenig vergessen in unseren Breiten ist heute die Belgierin Viktor Lazlo, die eigentlich Sonia Dronier heißt und ihren Künstlernamen dem fliehenden Résistance-Kämpfer aus „Casablanca“ entlieh, dem Humphrey Bogart nur widerwillig die benötigten Ausreisepapiere zukommen lässt. Im September 1986 trat sie im Volksbildungsheim auf, ich traute mich näher an die Bühne, war ja kein Metal. Kurioserweise schwelgte dort ein Bekannter, der sonst bekuttet den VENOMs Legions frönte. Wir schworen uns gegenseitige Diskretion über den Ort unseres Treffens, welche ich jetzt, nach 34 Jahren, gebrochen habe. Tschuldigung.

 

CHUCK STANLEY & ALYSON WILLIAMS
Wartburg, Wiesbaden
28.04.1987

Chuck Stanley & Alyson Williams, Wartburg, Wiesbaden, 1987

Im April 1987 ballte sich Funk- und Soul-Prominenz in Rhein/Main. Einen Tag nach einem fulminanten Auftritt der GAP BAND in Offenbach präsentierte das damals megahippe Def Jam-Label seine „Soul Songs“-Tour in der Wiesbadener Wartburg – angeführt vom eleganten Oran „Juice“ Jones, dessen Song „The Rain“ damals die Discos beherrschte und welcher extrem gut gealtert ist. Neben Jones teilten sich Leute wie Tashan oder Chuck Stanley das Mikro – alle wurden jedoch vernichtet von der großartigen Alyson Williams, die bei allen Jungs mit auf der Bühne war und im obigen Foto Chuck Stanley sagt, was sie von ihm hält.

 

Rory Gallagher, Out In The Green Festival, Schaafheim, 1987RORY GALLAGHER
Out In The Green Festival, Schaafheim
18.07.1987

MEAT LOAF
Out In The Green Festival, Schaafheim
19.07.1987

1987 konnte man noch zu großen, zweitägigen Festivals die Kamera mitnehmen, ohne dass das beanstandet wurde. In Schaafheim bei Babenhausen versammelte sich ein Line-Up für Classic Rock-Fans zum Zungeschnalzen, das eigentlich einen eigenen Post wert ist. Kommt bestimmt noch. Eines der Highlights war der am ersten Tag auftretende Blues-Gitarrist Rory Gallagher, der in den 80ern zu meinen Lieblingsmusikern gehörte und den ich bei dieser Show zum letzten Mal sehen durfte. Der 1995 verstorbene Ire verstand es, gleichzeitig virtuos sowie locker easy zu spielen und schrieb bluesige Hardrock-Nummern vom Allerfeinsten.

Meat Loaf, Out In The Green Festival, Schaafheim, 1987

Einen Tag später gab es auf der gleichen Bühne nachmittags MEAT LOAF zu erleben, den Schwiegervater des ANTHRAX-Gitarristen Scott Ian. Seinem Werk stehe ich etwas ambivalent gegenüber – Mörderstinker wechseln sich ab mit Werken, die man trotz ubiquitärem Bombast gut hören kann. Live wurde das in Schaafheim weitaus reduzierter geboten, was den Songs insgesamt recht gut tat.

 

KING DIAMONDKing Diamond, Stadthalle, Offenbach, 1987
Stadthalle, Offenbach
9.12.1987

Kim Bendix Petersen führte mal eine dänische Metal-Band namens MERCYFUL FATE und gab sich bei diesen den Künstlernamen KING DIAMOND, den er ebenso seiner Band nach dem Split FATEs verpasste. Oft teilte er die Bühne mit MOTÖRHEAD, so auch im Dezember 1987 in Offenbach während deren „Eat The Rich“-Tour. Der King ist Kult. Sein Tragen von Corpse-Paint, das Spiel mit religiösen Symbolen nebst Babypuppen sowie sein markerschütterndes Gekreische sind Vorbild für Legionen von schwarzmetallischen Nachahmern. Nicht umsonst ziert er das Cover des aktuellen Deaf Forever. Nuff said.

 

Jason & the Scorchers, Batschkapp, Frankfurt, 1989JASON & THE SCORCHERS
Batschkapp, Frankfurt
9.10.1989

Cow-Punk war auch so ein Achtziger-Ding. JASON & THE SCORCHERS (hier im Oktober 1989 in der Batschkapp) waren eher Cow-Rock, bzw. Alternative-Country mit starker Rock-Schlagseite und live jedes Mal ein echter Bringer. Die Formation existiert nicht mehr, einige Mitglieder sind inzwischen leider schon verstorben. Frontsau Jason Ringenberg soll laut Wikipedia inzwischen Kinderlieder performen, sein ehemaliger Gitarrist Warner E. Hodges ist noch bandtechnisch aktiv, zuletzt bei DAN BAIRDS HOMEMADE SIN.

 

SPERMBIRDSLee Hollis von Spermbirds, Sommerloch-Festival, Diez, 1991
Sommerloch-Festival
im Kalkwerk, Diez
24.08.1991

Nachdem ich die SPERMBIRDS jahrelang wegen terminlicher Fehlplanungen verpasst hatte, sollte es im August 1991 endlich doch klappen, und zwar auf einem reizenden Areal zwischen Diez und Limburg/Lahn beim sogenannten Sommerloch-Festival im Kalkwerk. Mit TOXOPLASMA, den BIPS sowie den Frankfurter KILLRAYS war außerdem ein ansprechendes Rahmenprogramm am Start. Ich weiß gar nicht mehr, wer als Headliner auftrat, die SPERMBIRDS um Sänger Lee Hollis wohl nicht, die spielten im Licht. Da reichte dann auch ein Film, der nicht ganz so grobkörnig war wie mein empfindlicher Freund von Kodak.

 

PAUL KUHN TRIO – Ratskeller Köpenick, Berlin – 3.07.1999

Während eines Berlin-Urlaubs besuchte ich im Juli 1999 am Köpenicker Ratskeller einen Auftritt des PAUL KUHN TRIOS. Kuhn widmete sich in seinen letzten Jahren seiner großen Liebe, dem Jazz, und spielte, worauf er am meisten Bock hatte und nicht das, was die Fernsehzuschauer der Siebziger von ihm hören wollten (wobei, nichts gegen „Es gibt kein Bier auf Hawaii“). Seine späten Jazz-

Paul Kuhn, Köpenicker Ratskeller, Berlin, 1999

Veröffentlichungen sind an Lässigkeit kaum zu überbieten und machen extrem Laune. Die Open Air-Location hinter der Statue des berühmten Köpenicker Hauptmanns ist jeden Sommer Ort traditioneller Jazz-Veranstaltungen und lohnt den Besuch, auch wegen den dort angebotenen Kartoffeln mit Quark und Leinöl. Paul Kuhn starb 2013, er bleibt unvergessen.

Alle Fotos & Linernotes: Micha

Weitere Bilder aus Micha’s Fotoarchiv seht Ihr bei Flickr.

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