Das Bett, Frankfurt, 24.01.2020
Nanu, haben wir uns etwa in der Tür geirrt und sind bei den städtischen Bühnen gelandet? Mitnichten. Die FREUNDE DER ITALIENISCHEN OPER (FDIO) um den charismatischen Sänger Ray van Zeschau alias R.J.K.K. Hänsch sind eine Independent-Band mit großem Kult-Potenzial. Dieses rührt unter anderem daher, dass es fast unmöglich scheint, den extravaganten musikalischen Stil – oder genauer: die vielen Stile – zu bezeichnen, die das Quintett gemeinsam zu verarbeiten imstande ist. Helfen kann da vielleicht noch der Ankündigungstext zur gestrigen Veranstaltung, in dem es heißt: „Dark New Wave Gothic Independent Rock aus Dresden“. Passt schon. Besser kann man das wohl kaum definieren.
Die Formation hat eine lange – und wechselvolle – Geschichte: 1987 in Elbflorenz, also Dresden, als KOT MPI gegründet und nur ein Jahr später in FREUNDE DER ITALIENISCHEN OPER umbenannt, war sie das Produkt zum Untergang der Deutschen Demokratischen Republik und schuf gewissermaßen den Soundtrack zum Aufbruch in eine neue Zeit. Damit gehörte sie neben den Leipzigern DIE ART, WARTBURGS FÜR WALTER (Ost-Berlin) und SANDOW (Cottbus) zu den einflussreichsten Acts im Indie-Bereich der ehemaligen DDR, die eine andere, düstere Seite der Medaille aufzeigten. Ein paar Zeilen in der Band-Info auf der Facebook-Seite der FDIO bringen es eindrucksvoll auf den Punkt: „Aufgewachsen in der Diktatur, geschunden, gedemütigt, bestohlen und geknechtet, sind sie das Produkt der gleichzeitig existierenden Tragödie und Komödie. Subkultur und Kunst werden durch Neuinterpretation der ‚opera in musica‘ zur Kultur einer geschändeten Generation.“
Für mich persönlich macht die explosive Mischung aus druckvoller Avantgarde mit experimentellen und sentimentalen Kontrasten die Faszination dieser Gruppe aus. Es ist ein Tanz auf dem Vulkan. 1992 lösten sich die FDIO auf; es folgten allerdings noch vereinzelte Auftritte 2004, 2005 und 2009 zu besonderen Anlässen. Seit 2009 stehen die FDIO mit veränderter Besetzung (dazu später mehr) wieder auf der Bühne, auch wenn es bis 2018 keine neuen Alben geben sollte.
Ich wurde erstmals auf die Combo aufmerksam, als mir Anfang der Neunziger Jahre ein Freund eine MC mit dem skurrilen Titel „Mutmaßliche Terroristen in Haft … Gott schütze den Innenminister“ (veröffentlicht 1991 auf Trash Tape Rekords) sowie die Platte „Um Thron und Liebe“ (1991 via Par Excellence) vorspielte. Etwas später folgten meine ersten beiden Begegnungen mit den FDIO bei deren Auftritten im Turm und in der Schorre in Halle (Saale). Diese Konzerte haben sich tief in meinem Gedächtnis eingebrannt – nicht zuletzt durch die außergewöhnliche Stimmlage des Frontmanns, die mich stellenweise an klassische Operetten-Sänger erinnerte. Zu jener Zeit war die Formation noch (fast) in originaler Besetzung unterwegs.
Anno 2020 ist Ray van Zeschau das einzige noch aktive Gründungsmitglied bei den FDIO. Schon seit vielen Jahren ergänzt aber eine illustre Schar renommierter Musiker die Band, namentlich Tex Morton (u. a. MAD SIN, SUNNY DOMESTOZS, THE DEVIL ‚N‘ US) und Joey A. Vaising (u. a. THE SONIC BOOM FOUNDATION, TISHVAISINGS) an den Gitarren, Rajko Gohlke (KNORKATOR, THINK ABOUT MUTATION) am Bass und Boris Israel Fernandez (MESSER CHUPS) am Schlagzeug. Funfact am Rande: Mit Roger Baptist (besser bekannt als RUMMELSNUFF und ebenfalls in diesem Blog zu finden) gehörte ein weiterer prominenter Künstler früher phasenweise zum hochkarätigen „Ensemble“ der FDIO.
Die Idee, die Truppe live bei uns im Rhein/Main-Gebiet zu präsentieren, wurde im Dezember 2018 geboren: Damals sah ich die Combo im UT Connewitz in Leipzig gemeinsam mit den grandiosen HERBST IN PEKING. Um das Konzert in Frankfurt zu realisieren, holte ich zunächst den örtlichen Veranstalter Laiki Kostis ins Boot, der wiederum Boris Israel Fernandez kontaktierte. Beide kannten sich durch diverse Gigs der MESSER CHUPS, die Kostis in den vergangenen Jahren für verschiedene hiesige Locations gebucht hatte. So kam der Stein ins Rollen, der schließlich in dem gestrigen Auftritt im Rahmen der noch laufenden, insgesamt sieben Stopps umfassenden „Frühjahrs-Tour 2020, Part I“ im Club „Das Bett“ mündete.
Als Support für die FDIO war ursprünglich die aus Leipzig stammende Formation NEU ROT vorgesehen, die sowohl musikalisch passt als auch den Headliner bereits durch einen gemeinsamen Auftritt kennt. Als schon alles in trockenen Tücher war, geschah allerdings das, was schon John Lennon mit den Zeilen „Leben ist das, was passiert, während du ständig andere Pläne machst“, beschrieb: Ein Mitglied brach sich die Hand; die Band musste verletzungsbedingt absagen. Dass dennoch zwei der NEU ROT-Musiker bei der Show von FDIO anwesend waren, möchte ich an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen.
Außer diesen lockte das Konzert mit rund 50 Gästen leider weniger Fans an als erhofft, doch diese bekamen einiges zu hören: Nach einem Intro startete die Show nahtlos mit „Tommys Fall“. Im weiteren Verlauf spielte die Formation alle Stücke des noch aktuellen Albums „Via Dolorosa“ (2018), darunter „Memory 2000“, „In dem Land“ und „Kleine Madonna“ sowie (in der Zugabe) die Neuaufnahme des Klassikers „Run My Love“, „Renne mein Liebling“. Natürlich fehlten in der Setlist auch die fast 30 Jahre alten Hits von der Scheibe „Um Thron und Liebe“ nicht: „Call Over The Wall“, „Sentimental Sea“ sowie das schon erwähnte „Tommys Fall“.
Abgerundet wurde die Performance durch eine Videopräsentation, bei der sowohl Bewegtbilder als auch das Plattencover von „Um Thron und Liebe“ via Beamer über die rückseitige Bühnenwand flimmerten. Optisch stellte die Band scheinbar das colorierte Negativ zum KRAFTWERK-Klassiker „Die Mensch-Maschine“ dar, statt roter Hemden trug man schwarze und dazu natürlich rote Krawatten. Nach rund 80 Minuten samt zweier Zugaben war dann Schluss und ich hatte während des gesamten Auftritts das Gefühl, im Publikum in leuchtende oder funkelnde Augen zu blicken. Dafür hat sich der organisatorische und finanzielle Aufwand, die Band mal nach Frankfurt einzuladen, sicherlich gelohnt, was mir nach der Show auch in zahlreichen Gesprächen widergespiegelt wurde. Wir hoffen auf ein Wiedersehen.
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Text: Chris & Stefan / Fotos & Clip: Kai
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