Batschkapp, Frankfurt, 17.02.2016
Okay, ich war vorgewarnt. Einer der Gründe, warum ich mich für das gestrige Konzert von GHOST entschied und gegen das zeitgleich stattfindende von MAMMOTH MAMMOTH in Wiesbaden war die Tatsache, dass es mich immer noch wurmt, THE OATH als Support von GHOST im Schlachthof verpasst zu haben. Die Okkulten. Haben halt immer spannende Bands dabei. Der völlig verständnislose Totalverriss des Openers DEAD SOUL im aktuellen Deaf Forever ließ mich jedoch vorsichtig werden: Elektronik-Duo, fast alles aus der Konserve, klingen wie schlechte SISTERS OF MERCY? Obacht, Erwartungen nicht zu hoch schrauben. Das MAMMOTH MAMMOTH-Ticket war eh schon weiterverkauft – und GHOST müsste man ja auch mal sehen. Dachte ich.
DEAD SOUL waren dann halb so schlimm, im Gegenteil. Das neueste Signing auf dem Label von Anders Fridén (Sänger von IN FLAMES) besteht aus dem traditionelleren Bluesshouter Anders Landelius (aka Slidin‘ Slim) sowie dem Soundtüftler/Gitarristen Niels Nielsen. Live verstärkt wurden sie von einem weiteren Gitarristen. Also einer mehr als beim Dortmunder Gig, welcher dem Deaf Forever–Mitarbeiter missfiel. Zwei Gitarren live, Schlagzeug aus der Konserve, ein Keyboard, welches gespielt und bestimmt auch zum Aufrufen von Samples benutzt wurde – aber hey, müssen wir uns heutzutage immer noch darüber aufregen, dass Musik nicht „handgemacht“ ist? Eh ein saublödes Wort – die gesampelten und abgerufenen Beiträge wurden ja schließlich nicht mit dem Dödel eingezimmert. Die Musiker spielten so live, wie es eine Band mit so einer Technik eben tut. Da hat sich halt etwas verändert in den letzten 40 Jahren. Gewöhnt Euch endlich dran.
Das Ganze stand oder fiel meiner Meinung nach sowieso mit dem göttlichen und scheißcoolen Gesang von Landelius. Dass der den Blues gefressen hat wurde mehr als deutlich und dass man so ein Organ mal mit harten Synthiedrums oder schreienden Gitarren hört fand ich äußerst spannend. Knapp eine halbe Stunde wurde gespielt, die sich gleichermaßen aus Songs der Alben „In The Darkness“ und dem aktuellen „The Sheltering Sky“ speiste. Ich fand das gut. Was ich unerwarteterweise nicht über GHOST sagen kann, doch nach dem folgenden Clip übernimmt Kollege Marcus.
Der gestrige Auftritt der Schweden war meine zweite Begegnung mit GHOST. Ich hatte die Band erstmals 2013 beim eingangs erwähnten Gig in Wiesbaden gesehen (Bericht hier) und war damals von der Live-Performance recht angetan. Und dies, obwohl ich mit der Musik der Jungs durchaus meine Probleme habe. Zwar schätze ich Künstler, deren Sound, Optik, Cover-Gestaltung und Texte eine homogene Einheit bilden und bin zudem ein Freund von allem Okkulten, aber bei GHOST ist mir die Musik dann doch etwas zu seicht, ja, fast zu poppig. Im Prinzip spielen die Skandinavier klassischen Rock, der mal pathetisch, mal düster und mal bombastisch dargeboten wird.
BLUE ÖYSTER CULT werden oftmals als Vergleich herangezogen, die Amerikaner haben jedoch gegenüber den Schweden zwei entscheidende Vorteile: Zum einen haben sie Dutzende grandioser Songs geschrieben, zum anderen mit Eric Bloom einen Sänger mit einer unverkennbaren, charismatischen Stimme. Gut, der Vergleich hinkt ein wenig, denn GHOST gibt es gerade mal seit acht Jahren und B.Ö.C. feiern im nächsten Jahr bereits ihr 50-jähriges Jubiläum. Aber auch wenn man nur die ersten acht Jahre von B.Ö.C. beleuchten würden, hätten die Amerikaner die Nase vorn. Doch was nicht ist, kann ja noch werden, GHOST sind akribische Arbeiter, legen musikalisch wie inhaltlich großen Wert auf ihre Kompositionen und haben pro Album mindestens ein oder zwei Stücke, die über wirkliche Klasse verfügen. In einem Interview, das ich 2013 mit GHOST-Sänger Papa Emeritus II in Wiesbaden führte, ließ dieser zudem verlauten, dass man besonders live noch viel vorhabe und an einer weitaus spektakuläreren Show arbeite. Dies war einer der Gründe, der mich gestern erneut zum Auftritt lockte.
Los ging’s mit einem stimmungsvollen, sakralen Intro, bei dem die als „Nameless Ghouls“ bezeichneten Bandmitglieder die Bühne betraten. Schließlich tauchte auch Frontmann Papa Emeritus III (der nach außen noch immer als der dritte Sänger vermarktet wird, was nicht der Fall ist) wie aus dem Nichts auf der Bühne auf und eröffnete mit dem Song „Spirit“ das Konzert– ein gelungener Start. Optisch fiel auf, dass das Podest der Batschkapp schmaler ist als das des Wiesbadener Schlachthofs, denn die einzelnen Akteure standen sichtlich näher beieinander als beim Gig in der Landeshauptstadt. Die Nameless Ghouls warteten zudem mit einer neuen Garderobe auf: Die Pestmasken und Mönchskutten waren metallisch anmutenden Teufelsmasken und schwarzen Anzügen gewichen, die den Musikern sichtlich mehr Aktionsmöglichkeiten boten.
Der Bühnen-Hintergrund indes bot sich nicht viel anders dar als bei der letzten Tour, auch gestern dienten stimmungsvoll beleuchtete Kirchenfenster als Background. So weit, so gut. Nachdem ich einigen Liedern gelauscht hatte, musste ich mir aber eingestehen, dass der Funke diesmal nicht überspringen wollte. Das hatte diverse Ursachen: Zum Beispiel der Gesang, den ich bei GHOST ohnehin als Schwachpunkt erachte, der gestern aber noch mehr in den Hintergrund trat als auf den Alben.
Des Weiteren konzentrierte sich die Songauswahl schwerpunktmäßig auf Tracks des aktuellen Albums „Meloria“. Das ist zwar das bis dato variantenreichste von GHOST, enthält auf der anderen Seite aber hauptsächlich sehr seichte Stücke, die nicht gerade Garanten für mitreißende Stimmung sind. „He Is“ beispielsweise, ein Quasi-A-capella-Song, passt zwar hervorragend in den Album-Kontext, wollte live aber so gar nicht funktionieren und lud eher zum Bierholen ein. Den größten Fauxpas leistete sich die Band aber, als Papa Emeritus bereits nach wenigen Stücken hinter der Bühne verschwand und seine schwarze Papst-Robe gegen ein Fantasie-Kostüm tauschte, das ihn wie eine Mischung aus Harald Glööckler mit Gesichtsmaske und dem Prinz von Tuntistan aussehen ließ.
Gemeinsam mit unpassenden Ansagen wie „C’mon Motherfuckers“ zerstörte dies für mich die kühle Unnahbarkeit, den Pathos und das Mysterium, das die Gruppe bisher umgab. Der seriöse Okkult-Rock verwandelte sich vor meinen Augen in ein Disney-Musical. Die Show-Elemente, die der Sänger im Interview vor drei Jahren ankündigte, fanden schlichtweg nicht statt. Okay, zum Song „Body and Blood“ kamen zwei Nonnen, als „Sisters of Sin“ vorgestellt, auf die Bühne und verteilten Wein und Hostien, das war’s aber auch schon.
Darüber hinaus muss man sich die Frage stellen, ob ein Konzept wie das von GHOST überhaupt in einer großen Halle mit vielen Besuchern funktioniert. Beim Konzert in Wiesbaden, das in kleinerem Rahmen stattfand und von Weihrauch-Duft und der Illusion, dass man sich in einer Kirche befände und einer okkulten Darbietung lausche, dominiert wurde, passte das alles besser. Und dies ging am gestrigen Abend nicht nur mir so. Viele Besucher, mit denen ich sprach, hatten sich mehr erhofft, einige verließen noch vor Konzertende den Saal. Für mich war es ebenfalls ein enttäuschender Auftritt, da konnten auch die bis zum Ende aufgesparten Klassiker „Ritual“ und „Monstrance Clock“ und der im letzten Drittel des Gigs verbesserte Sound nicht mehr helfen. Ich werde GHOST weiter beobachten, da ich ein Faible für Konzept-Bands hege, letztlich muss man nach dieser Live-Performance aber fragen: „Quo vadis, GHOST?“
Links: http://www.dead-soul.com/, https://www.facebook.com/deadsoulofficial/, http://www.last.fm/music/Dead+Soul, http://www.infestissumam.com/, https://myspace.com/thebandghost, http://www.reverbnation.com/thenamelessghouls, http://www.lastfm.de/music/Ghost
Text (DS), Fotos (9) & Clip (DS): Micha
Text (GH) & Fotos (15): Marcus
Clip (GH): am Konzertabend aufgenommen von darthvaderlives
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