Messplatz, Darmstadt, 27.08.2022
„Das Golden Leaves Festival ist zu mindestens 50 Prozent Atmosphäre, und die fehlt dieses Jahr komplett.“ Der, der das sagt, ist ein mir namentlich nicht bekannter Ultra-Konzertgänger, so ultra, dass man ihm sowie einigen Artgenossen im Stadtmagazin Journal Frankfurt bereits eine Story widmete. Wir treffen ihn überall zwischen Köln, Mannheim, Gießen oder Aschaffenburg (was uns zu ebensolchen Ultras macht, Herr Kinsler, falls mal eine Fortsetzung angedacht sein sollte *zwinkersmiley*). Er ist nicht der Einzige, von dem man diese Aussage hört. Allerdings sagt auch jeder von ihnen: „Ich bin dankbar, dass das Golden Leaves in diesem Jahr stattfindet.“ Das Golden Leaves Festival, es ist nämlich ein ganz Besonderes.
„Spread Love For Great Music“ ist das Motto des Festivals – ein sehr schönes Motto, welches seinen Ausdruck zum Beispiel in einem Line-Up findet, das diverser ausfällt als bei den meisten anderen im Rhein/Main-Gebiet. Oder in gastronomischen Angeboten, die weit über die in unseren Breiten dominierende Bratwurst hinausgehen. In einer familiären Atmosphäre. Und einer lauschigen Umgebung im Schlosspark Kranichstein. Letzteres sollte allerdings in diesem Jahr nicht sein – dem ersten seit 2019, denn 2020 und 2021 fiel die Veranstaltung der noch immer nicht überwundenen Pandemie zum Opfer.
Fotos ganz oben und rechts: Cassandra Jenkins
Das seit 2012 stattfindende Event, das in der Vergangenheit Acts wie THE NOTWIST, Ilgen-Nur, Lucy Rose, Faber oder THE SLOW SHOW im Kader hatte, musste aufgrund der zurzeit herrschenden Dürre und der damit verbundenen Waldbrandgefahr vom Schlosspark umziehen – auf einen Platz, der meist als Rummelplatz zu dienen scheint und von vornherein so verdorrt wirkt, dass kein Feuer zu erwarten ist.
Und doch – neben der ubiquitären Dankbarkeit, in diesem Jahr Künstler*innen wie TORRES, Lucy Dacus oder SOHN dort genießen zu können, fanden einige Besucher*innen auch für die Aufteilung des Geländes lobende Worte: Dass die Konzerte auf zwei Bühnen stattfanden und der Weg zu diesen nicht schlauchförmig verlief, wurde von den befragten Veteranen positiv bewertet. So war es leichter, das Erlebte mit dem Smartphone zu dokumentieren. Ich zitiere hier die Befragten, weil ich ein Golden Leaves-Novize war. Dieses Jahr war meine Premiere dort, ich hatte mich auch nur für einen von drei Veranstaltungstagen (den zweiten) entschieden. Das lag nicht am Line-Up, das jeden Tag Hochwertiges bot. Ich wollte primär aber nur zwei Acts sehen – dass die am gleichen Tag spielten, kam mir mehr als zupass.
Dank des in wenigen Tagen auslaufenden Neun-Euro-Tickets kam ich flott aus meinen Gefilden am Frankfurter Hauptbahnhof zum Messplatz in Darmstadt. Wann meine präferierten Musikanten spielten sollte sich erst am Ort des Geschehens offenbaren. In einer Infomail vor dem Event hieß es: „Den genauen Timetable gibt es – wie immer – erst auf dem Festivalgelände, da wir allen Künstler*innen die gleiche Aufmerksamkeit zuteil kommen lassen wollen. Auch in diesem Jahr ist neben euch die Musik unser Ehrengast und bei unserem handverlesenen Programm ist jeder Artist und jede Band Headliner. Darum gibt es nur Einlass bis die erste Band spielt. Solltest Du es absolut nicht schaffen, zu diesen Zeiten zu erscheinen, kein Problem, wir finden einen Weg!“ Wer aus diesen Worten schließt, dass die kommerziell erfolgreichsten Namen auch als Opener fungieren könnten, irrt jedoch: Natürlich war Thees Uhlmann am ersten Abend Headliner, SOHN am zweiten und Kevin Morby am dritten (obwohl, da hätte ich eher Lucy Dacus erwartet, naja). Es hatte ebenso nicht den Anschein, als wäre man nach 15 Uhr am Eintritt gehindert worden – die Bändchen am Handgelenk gaben jedem die Möglichkeit, nach Herzenslust das Gelände zu verlassen und wieder zu betreten, wenn man denn wollte. Aber wozu?
Der zweite Tag sollte beginnen mit Christin Nichols, die 2018 mal mit PRADA MEINHOFF im Frankfurter Club Zoom gastierte (unser Bericht dazu hier) – der Eindruck damals war zwiespältig. Das war dem Publikum jedoch nicht vergönnt, denn Nichols war krank. Passiert im Moment ja recht häufig. Egal, stattdessen gab es vegane Pizza aus dem Holzöfchen, und die war schon fast den Eintritt wert. Gut gestärkt widmete ich mich anschließend dem ersten Grund meiner Reise: KING HANNAH aus Liverpool. Das Duo, bestehend aus Hannah Merrick und Craig Whittle, spielt live als Quartett mit dem Schlagzeuger Jake Lipiec (der auch beim Debüt-Album mitwirkte) sowie einem Bassisten, dessen Identität ich leider immer noch nicht herausgefunden habe (wie damals hier). Wäre ich Bassist, ich würde mich mal beschweren. Ganz unwichtig ist das nämlich nicht, was der Herr da kongenial an Rhythmus fabriziert, während Meister Whittle zunehmend die grungige Rocksau perfektioniert und Eure Coolheit Merrick ihre subversiven Texte flüstert, dabei lässig ihre Gitarre bearbeitend.
King Hannah
„A Well Made Woman“ war wie in Frankfurt im April der Opener – ein Motto, das nicht nur auf Merrick, sondern auf alle Frauen zutrifft und deswegen auch als T-Shirt-Motiv gut taugt. In dem im Vergleich zu Frankfurt leicht abgespeckten Programm waren Highlights zu hören wie das Springsteen-Cover „State Trooper“, „Crème Brûlée“ von der ersten EP oder „The Moods That I Get In“ mit den Zeilen „And if you do not like – What I’m singin‘ about – Well, thеn you really do not have to listen – You can just turn me off – ‚Cause I do this for fun – It’s what I like to do“. Darüber, ob die Menschen sie mochten, mussten sich KING HANNAH an diesem Tag keine Sorgen machen – Vinyl wie Shirts wurden den Verkäufer*innen nach dem knapp 45-minütigem Auftritt praktisch aus der Hand gerissen.
Auf der anderen Seite des Geländes schloss sich auf der „Lagerfeuerstage“ Cassandra Jenkins an. Die Musikerin aus Brooklyn/New York stand da allein mit ihrer E-Gitarre sowie jeder Menge Pedalen, die Klänge oder Rhythmen addierten. Nach technischen Anlaufschwierigkeiten brachte Jenkins Songs von ihrer aktuellen, zweiten Scheibe „An Overview On Phenomenal Nature“ zu Gehör. Im Gegensatz zum folkigen Erstling „Play Till You Win“ klingt diese weit artifizieller und geht
Cassandra Jenkins
instrumental immer mehr in jazzige Breiten. Eine sehr schöne Platte, aber mir war nicht so richtig nach dieser Musik. Daher wechselte ich die Bühne und kettete mich an die „Deutschlandfunk Nova Stage“, auf der zuvor auch KING HANNAH gespielt hatten. In Kürze sollte da SUDAN ARCHIVES auftreten, wegen der war ich hier – und sie beim Soundcheck zu beobachten war ebenfalls nicht wirklich verkehrt.
Wie der Tag beim Golden Leaves Festival mit SUDAN ARCHIVES und Låpsley weiter verlief lest Ihr hier.
Links: https://goldenleavesfestival.de/, https://www.facebook.com/GoldenLeavesFestival/, https://www.kinghannah.com/, https://www.facebook.com/kinghannahmusic, https://kinghannah.bandcamp.com/, https://cassandrajenkins.com/, https://soundcloud.com/cassandrajenkins, https://cassandrajenkins.bandcamp.com/
Text & Fotos: Micha
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