Klingspor Museum, Offenbach, 29.11.2024
Ich weiß nicht mehr, aus welchen Beweggründen ich vor wenigen Wochen auf der Homepage der Rapperin HAIYTI gelandet bin – vielleicht einfach nur, weil ich sie und ihre Musik mag und mal sehen wollte, was sie derzeit so treibt. Einen Gig im Rhein/Main-Gebiet darauf vorzufinden, hatte ich nicht erwartet – schließlich war sie im Sommer 2024 erst auf dem Offenbacher Riviera Festival aufgetreten. Und siehe da: Es gibt zwar keine vollständige Tour, ein Gig vor der erweiterten Haustür stand allerdings schon bald bevor. Wieder in Offenbach. Allerdings etwas anders als sonst. Schon einmal, vor fast sieben Jahren, habe ich in diesem Blog über ein HAIYTI-Konzert berichtet (hier), mich über meine Unkenntnis über die Materie Deutsch-Rap hinweggesetzt und einfach meiner Verehrung gezollt.
In der Zwischenzeit hat HAIYTI weitere acht (!) Alben veröffentlicht, diverse Features auf Platten anderer Künstler hinterlassen und war sogar Teil auf der jüngst veröffentlichten Kompilation mit Neubearbeitungen von Stücken von Wolf Biermann (siehe hier). Passt das? Auf der einen Seite ein großartiger Lyriker, der sich stets durch Haltung auszeichnet, die sein Leben sicherlich nicht einfacher gemacht hat – und auf der anderen Seite eine Rapperin, die in einer Ankündigung der Veranstaltung als „Name des schönsten Eskapismus der deutschsprachigen Musikszene“ präsentiert wird? Ich denke schon, wenn man den kreativen Umgang mit Sprache zugrunde legt. Ein Umgang, bei dem alle Rapperinnen und Rapper Grundvoraussetzungen mitbringen sollten – HAIYTI allerdings nach wie vor in einer ganz eigenen, überragenden Liga mitwirkt. Und Sprache, das scheint ja der Grund zu sein, warum HAIYTI ins Museum eingeladen wurde, oder?
Der Ort der Veranstaltung
Schlagt mich nicht dafür, dass ich tatsächlich noch nie vom Klingspor Museum gehört hatte. Das Museum sei ein „Sammlungs- und Ausstellungsort der internationalen Buch- und Schriftkunst des 20./21. Jahrhunderts“, heißt es auf der Homepage. Laut Kollegin Melanie Aschenbrenner ist es ein „wunderschöner Ort, den man gesehen haben sollte“. Dieser beherbergt unter anderem auch die Veranstaltungsreihe „TEXT MATTERS. MATTERS OF TEXT“, ein „Festival zur Materialität der Sprache“ unter der künstlerischen Leitung von Holm-Uwe Burgemann (mehr zu ihm hier). Ich habe keine Ahnung von der ganzen Materie – aber, es schien um Sprache zu gehen, soweit schien mir das klar. In dieser Reihe wurde eine „Performance und Gespräch“ mit HAIYTI angekündigt, und das bei Eintritt auf Spendenbasis. Also auf nach Offenbach, der Multi-Kulti- sowie Gangsta-Rap-Metropole auf der anderen Mainseite. Vielleicht sagt ja auch HAFTBEFEHL mal guten Tag, hat schließlich schon ein paar Mal mit ihr zusammengearbeitet, u. a. hier.
Der Talk
Als ich mit meiner kleinen Crew 15 Minuten vor Veranstaltungsbeginn erschien und den stylischen, ausschließlich Rot illuminierten Raum betrat, hatten sich erst wenige Menschen Hocker, Stühle oder Sitzkissen zurecht gestellt um einen guten Blick auf das Podium zu erhaschen – kurz danach strömten jedoch alle von draußen oder der (unglaublich günstigen!) Bar hinein und füllten den Saal.
Etwa zehn Minuten nach dem offiziellen Beginn traten Burgemann und HAIYTI auf die Bühne und setzten sich. Burgemanns Intro, eine Rezitation von Rainer Maria Rilkes „Der Panther“, verhallte wegen eines nicht funktionierenden Mikrophons größtenteils ungehört – „wir hätten auch einen Soundcheck vom Talk machen sollen“ wurde korrekt von jemandem konstatiert.
Nachdem sich eines der Mikrophone als eingeschaltet und funktionstüchtig erwiesen hatte brachte Burgemann den „Panther“ nochmal mit viel Pathos in seiner ganzen epischen Breite. Den Grund dafür fand er auf HAIYTIs Spotify-Profil, welches den „Panther“ als Selbstbeschreibung von ihr ziert. Nach einer Eingangsfrage zu dieser Tatsache versuchte Burgemann anhand zwei von Ronja Zschoches künstlerischen Identitäten, ROBBERY und eben HAIYTI, Unterschiede und Gemeinsamkeiten eben dieser auszuloten.
HAIYTI versuchte derweil, ihre Aufnahmeprozesse genauer zu beleuchten, blieb eine Weile beim Thema Underground versus Mainstream („Ich wollte nach dem Underground-Album sofort danach das Pop-Album rausbringen und wusste danach nicht mehr, welches nun welches war“ – sinngemäß) und kam dann irgendwann zum Thema „Haltung“. Ich zitiere aus meiner Erinnerung: „Heutzutage wird erwartet, dass man zu Allem eine Haltung aufweist“. Der Zusammenhang zwischen ihrer Vergangenheit an einer Kunsthochschule, die zugunsten einer Karriere im Musik-Biz zum Erliegen kam, kulminierte irgendwann zu der Aussage, dass „Wokeness“ ein Stipendium für sie verhinderte, welches zugunsten von Menschen vergeben wurde, die „z. B. aus dem Libanon“ kommen.
Spätestens hier hätte man, meiner Meinung nach, mal nachhaken können – vielleicht sogar, als Sprachwissenschaftler mit Bezug zu aktuellen Diskursen, den Begriff der „Wokeness“ definieren, um ihn aus der Schmuddelecke zu holen, in die dieser von Rechts-Außen gesteckt wurde. Jens Balzer hat dazu jüngst ein sehr empfehlenswertes Buch veröffentlicht (eine Rezension dazu hier). Oder die Möglichkeit in den Raum stellen, dass es eventuell Gründe gegeben haben könnte, sogar künstlerische, den besagten Personen damals beim Stipendium den Vortritt zu lassen. Dass diese Äußerung widerspruchslos geschluckt wurde zeigte, dass sich das Publikum von HAIYTI, sogar in Offenbach, von dem HAFTBEFEHLs zu unterscheiden scheint. Das Fehlen einer „Haltung“ ist darüber hinaus eigentlich eine – nämlich eine, die soziale Missstände negiert und eben stattdessen, wie in der Ankündigung der Veranstaltung ja bereits beschrieben, Eskapismus propagiert. Kann man ja so machen. Ist allerdings weniger nachhaltig, auch im künstlerischen Sinne.
Der Gig
Aus der geplanten Pause zwischen Talk und Gig wurde dann nichts, HAIYTI brannte spürbar. Ursprünglich sprach sie auf ihrer Homepage davon, Frankfurt und Offenbach wieder zusammenführen zu wollen – nun sprach sie, dass ihr das inzwischen egal sei und sie „Bock auf Beef“ hat. Mit ihrem jugendlichen Beat-Macher Bass Crime brachte sie etwa eine Stunde ihr Publikum zum Feiern, erst zögerlich, dann immer exaltierter. HAIYTI störte es dabei nicht, von ungezählten Smartphones gefilmt zu werden, ganz im Gegenteil: „Wo ist die Kamera?“ fragte sie in Richtung des vom Publikum filmenden Burgemann, der an den offiziellen Fotografen verwies. „Nein, die allgemeine!“ „Gibt es nicht“, entgegnete dieser. Auch gut.
HAIYTI veröffentlicht Platten wie andere Menschen Backwaren, und dabei alle auf musikalisch wie sprachlich hohem Niveau – Knallersongs gab es also zuhauf, selbst wenn einige Faves wie „Sweet“ fehlten. Dafür gab es „Wolken“, „Berghain“, „Burr“ und etliche andere Großtaten. Am Ende gab es dann noch Selfies und Autogramme. Wir tranken noch die Bar ein wenig leerer und wunderten uns, dass uns keiner rausschmiss. Als irgendwann HAIYTI das Museum verließ, verabschiedete sie sich und dankte uns dafür, da gewesen zu sein.
Epilog
Beim Festival zur Materialität der Sprache ging es also weniger um die Analyse künstlerischer Sprache anhand eines der größten Rap-Talente in diesem Land, sondern um Haltung und um Party. Das hinterließ teilweise einen unschönen Beigeschmack. Man sollte allerdings nicht vergessen, dass öffentliche Frauen im Rap konstant unter einer Haltung zu leiden haben – nämlich einer misogynen, die man auch hier in den Kommentarspalten eines lesenswerten Interviews finden kann. Mehr noch als sonst überall. Vielleicht muss man sich u. a. deswegen ein wenig verschließen vor äußeren Einflüssen, um unbeirrt weiter künstlerisch tätig zu sein und, vor allem, psychisch gesund zu bleiben.
Links: https://haiyti.com/, https://www.facebook.com/HaiytiakaRobbery, https://www.instagram.com/haiyti/, https://www.last.fm/de/music/Haiyti
Text & Fotos: Micha
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