HAIYTI

Zoom, Frankfurt, 23.02.2018

Haiyti

Okay, ich weiß. Nicht meine Komfortzone. Wenn ich Pech habe, dann versaue ich das genauso so, wie die Lokalschreiber der Tageszeitungen es ständig beim Metal tun. Ich meckere bei denen am lautesten und habe vollstes Verständnis dafür, wenn Hip Hopper sich nicht reinquatschen lassen wollen in ihre Kultur, weil die Alten vom Feuilleton keinen Plan haben. Trifft auf mich ja auch zu. Aber ich muss. Wenn etwas geil ist, dann muss das gesagt werden. Die Musik von Haiyti ist geil, also sag ich’s. Auch, wenn ich häufig nicht kapiere, worum es geht. Ging mir schon öfter so bei (für mich) fremden Tönen. Oder halbfremden. 1980 zum Beispiel, ich schaue das Kulturmagazin „Aspekte“ im ZDF, um Ausschnitte von neuen Kinofilmen zu erleben, da spielt dieses Quartett mit blonder Sängerin „Ich fühl mich gut. Ich steh auf Berlin!“ und ich muss zum Fernseher laufen (!) um lauter zu drehen (!!). (Ja ich weiß. Opa erzählt wieder vom Krieg.)

HaiytiIDEAL waren das, ihr erstes Album kam gerade raus. Ich hörte zu dieser Zeit klassischen Rock’n’Roll und Classic Rock (Was nicht dasselbe ist. Quatscht mir nicht rein in meine Kultur!), mit Metal freundete ich mich an. IDEAL machten etwas ganz anderes. Von New Wave hatte ich noch keine Ahnung, die NDW startete – und hätte das meiste so geklungen wie IDEAL oder FEHLFARBEN, hätte es ewig so weitergehen können. Tat es ja leider nicht, sogar in die ZDF-Hitparade zogen die Epigonen dieser Ausnahme-Formationen mit ihrem debilen Müll, der perverserweise die Zeit überdauert hat und immer noch täglich im Radio dudelt. 1983 schon lösten sich IDEAL auf, Pulver verschossen, aber fast jeder Schuss ein Treffer. Die ersten beiden Alben sind ganz großer Pop und trotzdem Rock’n’Roll.

Haiyti hat damit erst mal gar nichts zu tun, aber mein Zugang zu ihrer Musik verlief ähnlich. Hip Hop höre ich nur sporadisch, einiges mag ich, manches kein Stück. Das Meiste kenne ich nicht. Nach ihrem Gastfeature beim Coup-Projekt von Haftbefehl und Xatar kannte ich ihren Namen, ihr Mixtape „Follow mich Haiytinicht“ lachte mich wegen des Titels im Netz an und ich war schwer beeindruckt. Tolle Sprache, klasse Beats und mit dem Song „I’m Pretty but I’m Loco“ eine musikalisch durchgeknallte Selbstbeschreibung vom Feinsten. „Follow mich nicht“ war nicht ihr erstes Tape, Haiyti auch nicht ihr erster Künstlername: Die als Ronja Zschoche Geborene veröffentlichte bereits als Rendezvous, Ovadoze und Robbery Gangstarap und Straßensongs. Aus der Tatsache, dass sie nebenbei als Kunststudentin in Hamburg eingeschrieben ist, versuchen Verfechter der „reinen Lehre“, die es im Rap ebenso gibt wie im Metal, ihr einen Strick zu drehen. Was diese Gestalten Haiytidabei vergessen: „Realness“ wird generell überschätzt und bringt einen kein Stück voran, musikevolutionstechnisch gesehen. Deswegen sind MANOWAR anno 2018 ein mieser Witz und MYRKUR heißer Scheiß, um an dieser Stelle mal einen Spoiler für den Frankfurter Club Zoom zu platzieren, in dem die Combo bald auftritt.

2018 veröffentlichte Haiyti ihr erstes Album bei einem Majorlabel, „Montenegro Zero“. Was auf ihren Mixtapes ansprach tut es auf der Platte noch immer, sogar mehr. Die Sprache ist genauso eigen, die musikalischen Bausteine sind ebenso bunt. Aber alles ist noch ein bisschen mehr Wow. Jeder Song ein Ohrwurm, der einen durch die Tage begleitet, erst recht nach dem Konzert im Zoom. Sogar noch nach dem Konzert danach, das auch ziemlich Haiytiklasse war und demnächst hier besprochen wird. Haiyti hat mich übelst infiziert, romantisch („Gold“, „Sunny Driveby“), melancholisch („American Dream“, „Haubi“) und bewegungstechnisch („Berghain“, „Bahama Mama“, soweit noch möglich). Lyrisch sowieso. Außerdem hat sie eine bezaubernde Stimmlage, beim Rappen, Singen und Sprechen. Jedes „Pling“ oder „Wüa“ feiere ich, wie man sich heute so auszudrücken pflegt. Ich musste also zu ihrer Show, auch, wenn ich mir mal wieder opamäßig vorkommen sollte. Da muss man durch. Alles für die Kunst. Vielleicht kommen ja noch ein paar Greise vom Feuilleton.

CapuzHaiyti war übrigens nicht zum ersten Mal da. Mit dem Kollegen Trettman, der demnächst die Batschkapp füllt (18.3.) hatte sie mit ihrem „Bruder“ Joey Bargeld (der Name ist eine Anspielung an Johnny Cash. Ich hoffe, aus Respekt.) bereits im vergangenen Jahr das Zoom gerockt. Ausverkauft. Dieses Mal übrigens auch, aber erst im Verlauf des Abends. Der begann gegen 20.30 Uhr mit einem nicht angekündigten Vorprogramm, einem Rapper aus Hamburg, dessen Namen ich erst zwei Tage später erfuhr, als Haiyti neue Insta(gram)-Posts hochlud. Vielleicht kannte den jeder der Anwesenden ja, eventuell verstanden die sogar, was er von sich gab. Ich nicht. Heute, ein paar Tage später, weiß ich, dass der Mann Capuz heißt und rappt wie ein Maschinengewehr. Nicht schlecht. Aber ich bin raus.

CapuzAm DJ-Pult stand den ganzen Abend über AsadJohn, der nach 20 Minuten Capuz Haiytis Albumbeginn „100.000 Fans“ startete, die Crowd mitsingen ließ und, nachdem ihm etwas ins Ohr geflüstert wurde, eben diese wieder vertrösten musste weil „eine Pause gemacht werden sollte“. Nun ja, gerade mal zehn Minuten waren das, in denen der Rapper KDM Shey vor den Toiletten grinsend Selfies veredelte. Wer? Kannte ich vorher auch nicht, aber der macht erst mal weirdes Zeug… vielleicht später mal mehr.

Haiyti

Zehn Minuten danach also: AsadJohn setzt erfolgreich den Stand der Animierung fort und es funktioniert sogar. Auch Rosen werden auf die Bühne geworfen, das sieht aus wie abgesprochen. Aber nein, alles real, die Crowd ist feinfühlig und weiß, was sich gehört. Noch. „100.000 Fans“ wieder vom Band, Haiyti kommt jetzt auch dazu, die Haare noch gebündelt unter dem Käppi, das Haiytiebenso wie die Jacke bald gen DJ-Pult segelt, es ist sauheiß hier. Meinem Alter angemessen halte ich mich von den ganzen Jungs im Pit fern (und es sind wirklich hauptsächlich Jungs, dabei sind mindestens ebenso viele Mädels im Raum, wenn nicht mehr. Die aber eher weiter hinten.). Die am Pult positionierte Armada von Wasserflaschen wird irgendwann in den Pit verteilt, weil es einfach nötig ist: Soviel Pogo hab ich zuletzt bei KREATOR gesehen. Haiyti gibt auch tatsächlich den Mille, indem sie einen Circle Pit (!) aufruft, der tatsächlich prompt umgesetzt wird (!!). Heilige Scheiße. Gitarren werden bei sowas überschätzt, Beats gehen auch.

HaiytiHip Hop-Konzerte sind ja öfter mal so eine Sache, meiner bescheidenen Erfahrung nach – oft werden die Sounds live mies reproduziert, die Textmenge ist auch zuviel für den Performer und der „Wave Your Hands In The Air Like You Don’t Care“-Bullshit frisst wichtige Eventzeit. Sogar Ikonen wie BOOGIE DOWN PRODUCTIONS haben mich diesbezüglich live frustriert. Nicht Haiyti. Ein kleiner Texthänger bei „Sunny Driveby“, bei dem das Publikum (welches das gesamte neue Album auswendig zu kennen schien) helfen konnte, war alles. Keine blöden Animationen. Aber Riesenparty. Zu der sich außerdem noch kurz Joey Bargeld gesellte, der am Vorabend die Eröffnung des Crown Club in der Frankfurter Schirn Kunsthalle beehrte, anlässlich der dort stattfindenden Basquiat-Ausstellung. Nicht, ohne das Zoom, bzw. dessen Anlage, zu loben und damit gleichermaßen die der Schirn zu dissen.  Nicht so nett, eigentlich. Außerdem wurde noch ein „Sunny Driveby“ aus Offenbach auf die Bühne geholt, der kurz winken durfte.

HaiytiNach 60 Minuten und einer Mini-Pause musste „Berghain“ kommen mit dem brachialen Wave- oder weniger brachialen Technobeat, ziemlich geil. Die zwölfminütige Zugabe endete mit „Akku“ und „Ein Messer“ von „Toxic“, der 2016-Veröffentlichung mit dem Produzententeam Kitschkrieg (hier). Ein bittersüßes Ende. Feuilleton-Greise, Ihr habt was verpasst. Haiyti kündigte anschließend an, noch am Merchstand vorbeizuschauen um Dinge zu signieren – auch wie beim Metal, fast. Nur, dass der ausverkaufte Club nun zeitgleich zum Merchstand oder zur Garderobe düste und damit den Ausgang komplett verstopfte. Das passiert bei Metal-Konzerten dort so nicht, weil die selten ausverkauft sind und sich alte Säcke wie ich kaum noch was signieren lassen. Ungünstig geplant. Sonst ein perfekter Abend.

Dass Haiyti mit IDEAL dann doch ein ganz bisschen was zu tun hat, erfuhr ich erst später, als ich mir die Hip Hop-Bibel Juice vornahm, die nach 20jährigem Bestehen mit Haiyti kürzlich erstmals eine Frau auf dem Cover zeigte. Haiyti hatte IDEALs „Blaue Augen“ für ihr Album gecovert, dann aber rausgenommen, „weil der NDW-Einfluss sonst zu stark gewesen wäre“ (Juice Jan/Feb 2017). Sowas. Hätte vielleicht noch mehr aus ihrer Komfortzone gelockt, am End‘.

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Text, Fotos & Clip: Micha

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