Posthalle, Würzburg, 18.11.2017
Hier folgt der zweite Teil unserer Berichterstattung über die zwölfte Ausgabe des HAMMER OF DOOM FESTIVALS in Würzburg.
Kurz nach halb zwei am Samstag stieg ich aus dem ICE und lief die paar Meter zur Posthalle. Bei meinem letzten Besuch standen neben dem Fernbus-Bahnhof noch diverse Fressbuden. Einen Döner-Laden gab es, der nicht schlecht war und in dem man sich, um die Novembernässe loszuwerden, einen ziemlich guten Chai gönnen konnte. Eine nette Alternative zu den Würsten im Bahnhof und denen in der Halle war das allemal. Doch das ist Vergangenheit: Essenstechnisch würde sich der Tag nicht zu einem guten entwickeln. Dafür sollten Doom-Legenden vom Feinsten kredenzt werden, so wie Dan Fondelius (oben) von COUNT RAVEN. Doch zuerst der Nachwuchs: CRANIAL aus Würzburg hatten bereits begonnen.
Zum Glück entfiel das zeitaufwendige Einchecken: Arme nur kurz hoch, Bändchen trotz intensiver Dusche noch dran, Mineralwasser heute nicht dabei, ab gings. Die neue Band des OMEGA MASSIF-Gitarristen Michael Melchers musste ich mir anschauen, weil OMEGA MASSIF eben schon so ein, äh, massives Brett darstellten.
CRANIAL
Sludge, Post-Rock, Hardcore und ein bisschen Black Metal vom Allerfeinsten. CRANIAL waren die derbste Combo des ganzen Festivals mit den gefühlt längsten Stücken. Viele wollten sich das um diese Uhrzeit nicht antun, für einige hatte das sogar gar nichts mit der Uhrzeit zu tun. Eine der Grenzgänger-Bands des Festivals, denen der Lokalvorteil sicher in die Hände spielte, die aber auch ohne diesen würdig gewesen wären. Tolle Truppe, demnächst im Alternativen Zentrum unseres Vertrauens. 45 Minuten, die mir vorkamen wie höchstens 30.
Mit BELOW präsentierte sich anschließend ein Gegenpol dazu für die Freunde traditionelleren Liedguts. Eine Gruppe, die erstmals 2013 auf dem Hammer of Doom gastierte – noch bevor ihr Debüt-Album „Across the Dark River“ erschien. BELOW fühlten sich auf diesem HoD von den Fans gut aufgenommen mit ihrem Epic Doom Metal der schwedischen Schule, der stark von der Tony Martin-Phase BLACK SABBATHs beeinflusst ist.
BELOW
Auf ein folgerichtiges Cover von „Headless Cross“ mussten wir im Gegensatz zu 2013 leider verzichten – nach dem Erscheinen der zweiten Scheibe „Upon a Pale Horse“ 2017 gab es aber genug eigene Songs, um die 45 Minuten ansprechend zu füllen. Die Arena füllte sich ebenfalls zusehends, BELOW sind hier zu Hause und präsentierten sich auch so. Solide. 45 Minuten, die mir vorkamen wie 45 Minuten.
Mit NAEVUS aus Bietigheim-Bissingen folgte eine Formation, die von den Doom-Freaks heiß ersehnt wurde und eine fantastische Reputation unter diesen genießt. Für mich eine weitere Unbekannte auf dem Festival, auf dem NAEVUS bereits 2012 gastiert haben sollen. Erinnern kann ich mich daran nicht,
NAEVUS
obwohl ich dabei war. Zwischen HORISONT und den von mir damals lechzend erwarteten NECROS CHRISTOS sollen sie gespielt haben, ich habe das nicht mehr im Gedächtnis. Hätte ich diesen Gig vermutlich auch nicht, würden mich die bisher erschienenen, durchweg frenetischen Reviews zu deren Auftritt 2017 nicht stutzig machen. Für einen geschätzten Kollegen war das sogar das Highlight der Veranstaltung, was die Herren da 45 Minuten lang fabrizierten. 45 Minuten, die mir vorkamen wie … aber lassen wir das. So langsam reift in mir die Erkenntnis, dass ich Doom zwar mag, aber weit davon entfernt bin, Fan zu sein. Isso.
Anders kann man die völlige Verzückung vielleicht auch nicht erklären, die mich überkam, als die kurz vor knapp gebuchten CRIPPLED BLACK PHOENIX aus Bristol die Bühne erklommen. CBP touren gegenwärtig durch Europa, in einem Package, welches als Support Gitarristen von MAYHEM oder TRIBULATION enthält – sind bisher aber eher in einem Indie- oder Progrock-Kosmos wahrgenommen worden. Trotz der Metal-Vergangenheit von Bandboss Justin Greaves, der bei IRON MONKEY und sogar bei ELECTRIC WIZARD spielte.
CRIPPLED BLACK PHOENIX
Die gegenwärtig achtköpfige Formation zeichnet sich durch energischen Postrock aus, der zarte folkloristische Momente ebenso zulässt wie katharsische Gitarren-Eruptionen. Gitarrist Jonas Stålhammar schleimte sich beim Publikum ein wenig durch die Wahl seines Shirts ein („You can only trust yourself and the first 6 BLACK SABBATH-albums“), hatte das aufgrund seiner Reputation aber gar nicht nötig (THE CROWN, GOD MACABRE, AT THE GATES!). Mit dem Track „Rise Up and Fight“ von der aktuellen EP ging es los – offene Münder bei den einen, Klogänge bei den anderen waren die Folge.
Im Vorfeld hatten sich einige Gäste schon drauf geeinigt, sich während dieses und des folgenden Gigs um die nötige Nahrungsaufnahme auswärts zu kümmern, was veranschaulicht, wie exotisch CBP auf diesem Billing waren. Trotzdem, und das hatten sie ihren Nachfolgern an diesem Tag voraus, überzeugten sie einige der Anwesenden komplett. Mich sowieso. 45 Minuten, die sich anfühlten wie 5. Wären die ursprünglich geplanten PILGRIM aufgetreten, hätte das wohl anders ausgesehen. Deren Mitglied Jonathan Rossi verstarb jedoch kürzlich extrem jung mit nur 26 Jahren. RIP.
CBP mochten als Überraschung ja noch angehen, bei THE VISION BLEAK war jedoch bei den Doom-Fans größtenteils Feierabend mit Toleranz und Lust auf Artfremderes. In diesem Fall bin ich geneigt, dies verständnisvoll zur Kenntnis zu nehmen. Das um Live-Musiker aufgestockte Duo Ulf Theodor Schwadorf und Allan B. Konstanz spielt sogenannten „Horror Metal“, schminkt sich dafür leichenblass und musiziert anders als bei den von mir durchaus geschätzten EMPYRIUM. An der Violine dabei: Aline Deinert, die ansonsten bei 9 WELTEN, DIE KAMMER oder HAGGARD verzaubert. Und wer war das an der Gitarre? In der Vergangenheit half hier oft „Marrok“ von HARAKIRI FOR THE SKY und ANOMALIE aus.
THE VISION BLEAK
Sollte er seine Mähne gekappt und diese mit einer Hipster-Mütze verziert haben, um hier aufzuspielen, oder war das jemand komplett anderes? THE VISION BLEAK hüllen sich gerne in Schweigen, wenn es um ihre Helfershelfer geht. Viele Anwesende wären erfreut gewesen, wenn sie das generell getan hätten. 45 Minuten, die mir ebenso vorkamen. So schlecht war das nun auch nicht.
Ab jetzt gab es für die „richtigen“ Doom-Fans keine Ausfälle mehr, denn nun kam nur noch Kult. Zuerst in Form einer Person: Leif Edling, Bassist bei den schwedischen Doom-Göttern CANDLEMASS, gründete mit AVATARIUM und THE DOOMSDAY KINGDOM in den letzten Jahren zwei Formationen, bei denen er musikalische Vorlieben ausleben kann, die das strenge CANDLEMASS-Korsett sprengen. Blöd nur, dass er das während einer schweren Krankheit tat, die es ihm unmöglich machte 2014 mit AVATARIUM auf dem Hammer of Doom IX zu gastieren.
THE DOOMSDAY KINGDOM
Maximal zehn Konzerte pro Jahr erlaubt der Doktor Herrn Edling heutzutage – und das diesjährige HoD gehört nach dem Roadburn dazu. Wobei man sich fragen kann, wenn man die Promobilder zu den Interviews mit Edling in diversen Musikmagazinen gesehen hat und die stark von seinem tatsächlichen Aussehen abwichen, ob der Doktor da nicht noch übertrieben hat. Die Metal-Legende musizierte einwandfrei – sah aber aus, als gehörte sie immer noch für eine Weile ins Bett.
Wie bei AVATARIUM zeichnet sich der famose Gitarrist Marcus Jidell für alles Wichtige bei THE DOOMSDAY KINGDOM aus – sein Blick nach einer erlesenen Dreiviertelstunde zum Bandboss sprach jedoch Bände. Da kann Mitpatient und TDK-Sänger Niklas Stålvind (sonst bei WOLF) noch so oft betonen, wie geil alle sind und wie oft TDK noch unterwegs sein werden – der Blick und Edlings Aussehen allein waren Grund zur Besorgnis. Cooler Auftritt aber.
Und cool ist ein Synonym für Dan „Fodde“ Fondelius, Gitarrist und Sänger von COUNT RAVEN. Mir war völlig egal, was die spielten, kannte eh nichts wirklich – aber der Aura dieses Doom-Sauriers und seiner Mitstreiter konnte man sich kaum entziehen. Der Raum vor der Bühne war inzwischen vollgestopft bis zum Anschlag, alle wollten das sehen oder konnten es nicht mehr, weil sie zu früh dem Gerstensaft zusprachen und nun darnieder lagen, in den Lachen, die größer und größer wurden. Ja, im Suff wird fast alles geil, doch in diesem Fall zu Recht.
COUNT RAVEN
Ein begeisterter Sympathisant der dargebrachten Klänge konnte nicht anders, als beim Suchen nach etwas Platz für seine stattliche Matte und der Schüttlung derselben in den Fotograben zu entweichen – eine Aktion, die bei den hilfsbereiten Ordnern für Irritationen sorgte, bevor der Freund der heftigen Töne bestimmt darum gebeten wurde, das Areal zu räumen. Einen besseren Beweis für die Kraft und Größe dieses Auftritts gibt es kaum. Wenn man schütteln muss, dann muss man eben schütteln. 60 Minuten die mir vorkamen wie 30 Minuten.
PAGAN ALTAR, Alter. Was haben die für eine Scheiß-Geschichte. Gegründet 1982, erschien ihr Debüt-Album erst 16 Jahre später, eine nächste EP weitere sechs Jahre danach. Okkulter Hippie-Rock ist das in meiner Welt, obwohl die Band während der NWOBHM erst anfing zu veröffentlichen.
TIME LORD
Vater und Sohn zusammen in der Combo, deklariert als Brüder, da der Junior noch zu klein war um offiziell okkulten Heavy Rock in versifften Kaschemmen zu zocken. Kult-Formation. Wahrgenommen also nur von wenigen, erstmal. Dann stirbt der Papa, der mit exzellenter Stimme gesegnete Terry Jones, im Jahr 2015.
Sohnemann und Gitarrist Alan Jones kann das kurz (und lang) vorher aufgenommene Material erst mal nicht sichten wegen nachvollziehbarer persönlicher Betroffenheit. Irgendwann dann doch. Ein paar Live-Auftritte werden geplant und mit Brendan Radigan (MAGIC CIRCLE) ein fähiger Sänger gefunden, der stilistisch Terry Jones nicht ganz unähnlich ist. Der stand auch beim Hammer of Doom auf der Bühne, als die offiziell als TIME LORD agierende Truppe einen Terry Jones-Gedächtnis-Abend par excellence zelebrierte. Mit allem, was man von PAGAN ALTAR hören will. Das war einer der seltenen Momente, in dem HoD-Majorität und ich d’accord gingen und wir alle einfach alles total geil fanden. 75 Minuten lang, die mir vorkamen wie 30. Chapeau.
CIRITH UNGOL wären dann die Krönung von allem gewesen, als Headliner mit zwei Stunden Spielzeit und dem fast vollständigen Durchspielen ihres Albums „King of the Dead“, welches ich mir 1984 kaufte, es erstmal übel fand und über die Zeit immer mehr zu schätzen lernte. Wäre. Mir ging es aber wie dem Akku meines Smartphones – wir waren beide leer und nicht mehr zu genießen. Mein Zug rollte indes ein mit der Verheißung auf Ruhe und baldigen Schlaf. Schade, aber toll. Bis zum nächsten Jahr, vielleicht. Bringt die Hammer-Bands aber bitte nicht als Headliner.
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Text, Fotos & Clips (5): Micha
Clip Count Raven: aufgenommen am Konzertabend von Count Raven
Clips Time Lord & Cirith Ungol: aufgenommen am Konzertabend von waubergbart
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