Exzess, Frankfurt, 13.02.2016
Mit einem besonderen Package hatte am gestrigen Samstag das Frankfurter Exzess aufzuwarten: Die Hardcore-Legende HAMMERHEAD schaute im Rahmen ihrer „To Be On The Top-Tour 2016“ im großen Saal der Bockenheimer Institution vorbei, und als Support konnten die großartigen SNIFFING GLUE (Bericht über deren letzten Auftritt in der Mainmetropole im Juni vergangenen Jahres hier) gewonnen werden. Kurios: Die HAMMERHEAD- Tour bestand ohnehin nur aus zwei Shows, und da der Gig tags zuvor in Köln aufgrund der Absage der Mitstreiter GANG GREEN ausfiel, beschränkte sich die „Tour“ dann lediglich auf ein einziges Konzert, nämlich das in Frankfurt. Sei’s drum – es sollte ein lohnender Abend für die Bands, das Publikum und die Veranstalter werden. Die Halle war, nicht zuletzt aufgrund des fairen Eintritts, gut gefüllt und die Stimmung wie immer bei „Familientreffen“ der musikalisch Gleichgesinnten im Rhein/Main-Gebiet ausgezeichnet.
Irgendwann Ende der Achtziger habe ich mal einem Konzert von Henry Rollins im Frankfurter Cookys beigewohnt. Das ist lange her, doch hängengeblieben sind vor allem zwei Dinge: Dass sich der muskelbepackte Sänger schon eine halbe Stunde vor dem Gig auf dem Minipodest des kleinen Clubs einfand, um vor den Fans erstmal eine Runde Aufwärm- und Dehnungsübungen zu machen (der olle Poser – den ich aber trotzdem sehr schätze). Und zweitens, dass die anschließende, exaltierte Show das Trainings- Programm durchaus rechtfertigte. Warum ich Euch das erzähle? Nun, weil sowohl der Frontmann als auch der Bassist der ersten Band des gestrigen Abends, Marcel und Andi von SNIFFING GLUE, vor einem Auftritt mutmaßlich Ähnliches absolvieren (wenn auch backstage), wollen sie sich nicht bei ihren sprunghaften Umtrieben auf der Bühne (und im Pit) Sehnen reizen, Bänder reißen oder Muskeln übersäuern. Klickt mal auf das Foto unten:
Da die Konzertveranstaltungen im Exzess-Saal aufgrund des Anwohnerschutzes um Mitternacht vorbei sein müssen, war angeraten, zeitig zu kommen. Denn obwohl die Setlist der Klebstoffschnüffler aus Nordrhein-Westfalen knapp 20 Songs umfasste, ist eine Show des Quartetts recht schnell vorüber – der Tatsache geschuldet, dass einige der Tracks eben nur eine gute Minute dauern und andere an der Zwei-Minuten- Marke kratzen. Kurz, heftig und voll auf die Glocke eben. All jene von Euch da draußen, die nicht dabei waren und sich mal ein Bild machen möchten (oder vielleicht doch ein bisschen weit hinten standen), mögen sich einen längeren Teil des Auftritts in dem folgenden Videoclip ansehen:
Meine Favoriten? Vom Debüt-Album „We Are… Sniffing Glue… Fuck You!“ von 2007 wurden u. a. „Without Fear“, „Pain/Dead“ und „Generation Shit“ gegeben, von der aktuellen EP „Cold Times“ (2015) fanden sich „Belushi“, „Lost“, „Scars“ und „Taste of Hate“ im Programm. Abgerundet wurde das gegen Ende mit dem schönen DEAD KENNEDYS- Cover „California Über Alles“. Die Stücke schnell, hart, aggressiv und eingängig, dargeboten mit jeder Menge Leidenschaft und ganz viel Action auf den Brettern. Für mich erfüllt SNIFFING GLUE alle Kriterien für einen Hardcore-Act, ganz wie er sein sollte. Go for it! In diesem Sinne übergebe ich an den Kollegen Marcus für seine Einschätzung des Headliners:
Ein Schild mit der Aufschrift „Ausverkauft!“ prangte an der Tür des Exzess, als ich gegen 23 Uhr die Halle erreichte. Dank meines Charmes und eines kleinen Zaubertricks, bei dem ich mit nach außen gekehrten Hosentaschen und einem weiteren Hilfsmittel einen Elefant simulierte und so die Dame am Empfang begeisterte, gelang es mir dennoch, Einlass zu erlangen. Dabei war es gar nicht verwunderlich, dass der Laden ausverkauft war, denn HAMMERHEAD hatten sich angesagt, jene deutsche Hardcore-Combo, die zum einen Kultstatus genießt und zum anderen nicht gerade dafür bekannt ist, sich häufig live zu präsentieren.
1989 ins Leben gerufen und zwischen 2004 und 2008 kurzzeitig aufgelöst, begründet die Band ihren Ruf hauptsächlich durch die Scheiben „Stay where the Pepper grows“ (1994) und das „Weiße Album“ aus dem Jahr 1998, die beide als Meilensteine des deutschen Hardcores gelten und vor allem durch ihre Kompromisslosigkeit und ihren Nihilismus bestechen. HAMMERHEAD erfüllen für die heimische Szene somit eine ähnliche Funktion wie die Augsburger INFERNO eine Dekade zuvor. Auffällig dabei ist, dass die Bonner nicht wie typische Deutsch-Punk-Acts ihren Schwerpunkt auf politische Themen legen, sondern textlich wie musikalisch alles niedermähen, was sich ihnen in den Weg stellt und somit den Ursprüngen des US-Punks und -Hardcores mit Combos wie den GERMS, FEAR oder NEGATIVE APPROACH und FANG huldigen.
Damit sind HAMMERHEAD nicht unumstritten, denn in politisch korrekten Zeiten, da man zum Rauchen vor die Tür gehen muss, die Szene Schlager-Kapellen wie FEINE SAHNE FISCHFILET als neue Punk-Hoffnung feiert und sich Punk vermehrt durch Inhalte wie Tierschutz, Anti-Homophobie und Veganismus definiert, ist die Truppe nicht unbedingt en vogue. Aber wer will das schon sein? Punk war schließlich schon immer ein ganz individueller Bastard, der sich gerade dadurch auszeichnet, sich keinen Maulkorb anlegen zu lassen, zu provozieren und dagegen zu sein. So ziert z. B. ein Foto des Gladbecker Geiseldramas das Cover des Debüt-Albums, die DVD-Doku nennt sich „Sterbt alle“ und es gibt Songs wie „I Don’t Like You“ und „Zünd Dich an“. That’s Punk. Insofern hat es mich doch ein wenig überrascht, dass HAMMERHEAD im Tempel der Political Correctness eine Audienz erhielten. Doch mir sollte es recht sein, das letzte Mal musste ich bis nach Trier fahren, dort spielten die Jungs 2009 als Opener der reformierten GERMS.
HAMMERHEAD legte mit dem Song „Handgranate“ los, der sofort für Bewegung vor dem Podest sorgte und einige Bum-Punks dazu veranlasste, das Geschehen fortan mit Bierfontänen zu begleiten. Die Jungs auf der Bühne hatten sichtlich Freude am tobenden Mob und Shouter Tobias Scheiße gab sich gewohnt arrogant, patzig und sarkastisch, aber bestens aufgelegt, was nicht bei jedem HAMMERHEAD-Gig, den ich bisher gesehen habe, so war. Die Stimmung war feucht-fröhlich, die Songs wurden größtenteils textsicher vom Publikum mitgegrölt und bereits jetzt war absehbar, dass der Biervorrat dem Durst der Massen nicht lange standhalten würde.
Die Stimmung täuschte aber ein wenig darüber hinweg, dass HAMMERHEAD am gestrigen Abend einen relativ miesen Sound hatten und an manchen Stellen des Raumes wie ein Müllwagen mit Getriebestörung klangen. Laune gemacht hat das Ganze dennoch und bei Songs wie „Ich sauf allein“, „Alle raus“ und anderen Gossenhauern fiel der Sound nicht weiter ins Gewicht. Kurz nach dem Gig war dann das Bier alle, so dass die Party an andere Orte verlegt werden musste. Unterm Strich war’s ein Konzert, das großen Spaß machte und Anlass zur Hoffnung gab, dass echter Punk auch anno 2016 noch funktioniert. Im Sommer soll es eine neue EP der Jungs geben, man darf gespannt sein, was die zu bieten hat.
Links: http://www.sniffingglue.de/, https://www.facebook.com/sniffinggluepunk, https://myspace.com/sniffinggluepunk, http://www.lastfm.de/music/Sniffing+Glue, http://www.hammerhead.de/, https://de-de.facebook.com/pages/hammerhead, https://myspace.com/hammerheadpunk, http://www.last.fm/de/music/Hammerhead
Text (SG): Stefan / Text (HAM): Marcus
Fotos: Boris, http://www.borisschoeppner.de/
Clips: aufgenommen am Konzertabend von mattsixsixsix, http://www.cxc.info/
Alle Bilder: