Das Bett, Frankfurt, 9.10.2019
Es war mal wieder ein Abend der Entscheidung: Im Wiesbadener Schlachthof traten gestern die englischen Fun-Punk-Urgesteine TOY DOLLS an, im Frankfurter Club „Das Bett“ war mit HANDS OFF GRETEL eine ebenfalls aus Großbritannien stammende Grunge-Tribute-Band am Start. Doch im Alter wird man bekanntlich bequemer und so zog ich die kürzere Strecke vor, die mich ins Gallusviertel und somit zu HANDS OFF GRETEL um Sängerin Lauren Tate (rechts) führte. Das Quartett aus South Yorkshire hatte bereits 2017 und 2018 in der kleinen Frankfurter Musikkneipe Feinstaub gastiert, die bei Konzerten in der Regel aus allen Nähten platzt, sodass die Briten nun die Möglichkeit hatten, ihre Show erstmals in der Rhein/Main-Region auf einer größeren Bühne darzubieten.
Bevor es mit den Gästen aus England losging, stand zunächst die Frankfurter Formation THE GARCIASS auf dem Podest. Diese präsentierte einen recht ungewöhnlichen Stilmix, der sich nicht nur schwer einordnen ließ, sondern sich auch mit jedem Song veränderte. Der Auftritt startete mit einer wuchtigen Uptempo-Nummer, nach der ich die Band im Punk‘n‘Roll mit MOTÖRHEAD-Einschlag verortet hätte. Die folgenden Tracks klangen allerdings mal nach Post-Punk im KILLING JOKE-Stil, mal nach einer Mischung aus LED ZEPPELIN und SOUNDGARDEN oder auch nach Wave-Punk in STRANGLERS-Manier.
Letzterer Eindruck wurde durch gelegentliche Keyboard-Einlagen vermittelt, die der Mann hinter dem Mischpult beisteuerte. Dominiert wurden die einzelnen Stücke vom eigenwilligen Gesang des aus El Salvador stammenden Sängers Antoine und dem Spiel des Gitarristen Oss, das auch orientalische Klänge erkennen ließ. Im Gespräch mit Antoine erfuhr ich später, dass die fünf Bandmitglieder (vier auf der Bühne und eines an besagtem Mischpult und Keyboard) aus unterschiedlichen Nationen und Generationen stammen und es just die Kombination der verschiedenen Einflüsse und Vorlieben der Musiker ist, die den ungewöhnlichen Sound ausmacht. Gegründet haben sich THE GARCIASS 2015, aufgenommen haben sie bisher lediglich eine EP, man darf daher auf den ersten Longplayer des unkonventionellen Quintetts gespannt sein.
Im Anschluss, als die Umbaupause anstand, war ein Phänomen zu beobachten, das ich bereits beim Konzert von GRAUSAME TÖCHTER an gleicher Stelle erlebt habe. Denn bereits gut zwanzig Minuten vor Beginn der Show sicherten sich einige ältere Herren die Plätze in der ersten Reihe vor der Bühne – eine Tatsache, die ohne Zweifel den beiden attraktiven Damen, die Teil des Line-ups von HANDS OFF GRETEL sind, geschuldet war. Sollte sich hier ein Trend des „Rock‘n‘Roll Peepings“ abzeichnen? Wir werden die Sache im Auge behalten.
Doch zurück zur Hauptattraktion des Abends: Gegründet wurde die Combo um Frontgöre Lauren Tate und Gitarrist Séan Bon 2015, seither sind mit „Burn the Beauty Queen“ (2016) und „I Want the World“ (2019) zwei Alben erschienen. Neben Schlagzeuger Sam Hobbins gehört seit 2018 die Bassistin Becky Baldwin, die zuvor bei den ebenfalls bereits im Feinstaub aufgetretenen IDESTROY die vier Saiten zupfte und darüber hinaus Mitglied der Metal-Acts FURY und DORJA ist, dazu.
Musikalisch widmet sich das Projekt dem – eigentlich zu Recht vergessenen – Grunge-Sound der späten 1980er/frühen 1990er Jahre. Formationen wie NIRVANA, PEARL JAM, ALICE IN CHAINS und STONE TEMPLE PILOTS wurden damals auf Betreiben ihrer Plattenfirmen bis zum Erbrechen von MTV gepusht und erreichten ein Publikum, das bis dato nur stumpfsinnige Popmusik konsumiert hatte und nun – im Glauben, harte, rebellische Musik zu hören – auf einen neuen Trendzug aufspringen konnte. Im Prinzip war Grunge nichts anderes als poppig arrangierter Punk mit angezogener Handbremse, der von Rockstars dargeboten wurde.
HANDS OFF GRETEL kopieren den Sound von Bands wie BABES IN TOYLAND, HOLE und L7 bis ins Detail, haben sogar ihr Logo an das von HOLE angelehnt und präsentieren sich optisch ähnlich „flippig“ wie einst die großen amerikanischen Idole. Lauren Tate gibt zudem die Sängerin und Mode-Designerin Gwen Stefani als eines ihrer Vorbilder an und veröffentlicht auch Solo-Alben, die noch mehr im Mainstream angesiedelt sind als die von HANDS OFF GRETEL.
Dennoch gilt es festzustellen, dass das Quartett als Grunge-Tribute recht gut funktioniert: Der Gig war professionell, die Mädels kokettierten mit ihren Reizen und die Stimme von Tate kann sich durchaus mit denen der Vorbilder messen. Geboten wurden die Highlights der beiden bisherigen Alben, zudem gab‘s mit „I Wanna be Your Dog“ ein Cover des STOOGES-Klassikers. All dies war gefällig arrangiert und stets solide dargeboten. Interessant wurde es allerdings nur, wenn die Band mal die eng gesteckten Grenzen ihres Genres verließ und (wie beispielsweise bei „She Thinks She‘s Punk Rock and Roll“) mit Geschwindigkeit und Stimme – hier an Nina Hagen erinnernd – experimentierte.
Das Quartett wird sicher seinen Weg machen und schon bald in größeren Hallen spielen. Und das nicht, weil die Briten kreativ, originell oder gar rebellisch wären, sondern weil 20-jährige, vermeintlich hippe Mädels und eingängige, tanzbare Lieder sich gut vermarkten lassen und ein breites Publikum ansprechen. Im Fall von HANDS OFF GRETEL erscheinen Image, Songs und Stage-Acting wie am Reißbrett erdacht, um den allgemeinen Retro-Trend zu bedienen und sowohl Grunge-Fans der Neunziger als auch ein neues, junges Publikum abzugreifen. Verwerflich ist dies sicher nicht. Nur eben langweilig, was auch daran liegen mag, dass HANDS OFF GRETEL weder über die Asi-Attitude von HOLE noch über die Aggressivität von L7 verfügen und gegenüber den Ikonen von einst eher wie blasse Abziehbilder wirken.
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Text: Marcus / Fotos: Frank
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