Exzess, 7.04.2012
Hilfe, die Kanadier kommen! Immer, wenn sich die HANSON BROTHERS (oder ihr Alter ego NOMEANSNO) aus Vancouver in Frankfurt angesagt haben – und das tun sie glücklicherweise fast jedes Jahr – ist Großkampftag. Egal ob das Konzert auf einen ungünstigen Wochentag oder (wie diesmal) im Rahmen des „Hockey Easter Bash“ mitten in die Ferien fällt: Das Exzess ist immer rappelvoll, Stimmung und Atmosphäre sind perfekt und man trifft in der Zuhörerschaft sogar ebenjene alten Weggefährten wieder, die nur noch selten für eine Punkrockshow vor die Tür gehen.
Für alle, die mit der Biographie der HANSON BROTHERS nicht ganz so firm sind, kurz vorab drei Dinge, die man wissen sollte: Das Quartett ist ein Ableger der bekannteren HC/Punk-Formation NOMEANSNO, deren Besetzung mit Ausnahme des Schlagzeugers und einiger Instrumentenwechsel identisch ist. Als HB haben sich die Endfünfziger dem Punkrock im Stil der RAMONES verschrieben und bespielen inzwischen auch schon seit mehr als 20 Jahren die Bühnen dieser Welt. Die Bandmitglieder sind (wie wahrscheinlich die meisten Kanadier) Freunde des Eishockeysports und haben sich nach den Gebrüdern Hanson benannt, die in der Eishockey-Komödie „Slap Shot“ (Schlagschuss) von 1977 ihr Unwesen treiben und in Nordamerika Kultstatus erlangt haben.
Anpfiff. Zwei Jungs im charakteristischen schwarz-weißen Streifenlook der Eishockey-Schiedsrichter betreten die Arena. Sie beratschlagen kurz und beziehen dann Position links und rechts am hinteren Rand des Geschehens. Unmittelbar
danach folgt der Einmarsch der Gladiatoren: Bassist Rob Wright alias Robbie Hanson mit Torhüter- Maske und im Trikot der Deutschen Eishockey- Nationalmannschaft, Gitarrist Tom Holliston alias Tommy Hanson im blauen Dress eines finnischen Profiteams und Schlagzeuger Mike Branum alias Mikey Hanson im Shirt der San Francisco Spiders (existierten Mitte der 90er in der zweitklassigen US-Liga IHL). Zuletzt kommt Sänger John Wright alias Johnny Hanson mit Lederjacke und seitenverkehrtem Basecap auf die Bühne.Es geht gleich furios los mit „Total Goombah“ vom Debütalbum „Gross Misconduct“ von 1992. Es folgen der „Hockey Song“ (von „Sudden Death“, 1996) und „100 + 10 %“ (von „My Game“, 2002). Keine Zeit für das Publikum im Moshpit zum Luftholen, und – mal im Ernst – wer Punkrock liebt und zu diesen Songs nicht tanzt oder in den hinteren Reihen wenigstens heftig zuckt, der muss mausetot sein. Schon bald sind die „Schiedsrichter“ damit beschäftigt, den ersten auf die Bühne gekletterten Stagedivern den Weg zurück ins Publikum zu zeigen. Außerdem kommt ihnen die Aufgabe zu, den „Mann mit der Maske“ zu bändigen, der im weiteren Verlauf des Auftritts den „crazy guy“ gibt: Mal versucht er seinen Mitstreitern an die Wäsche zu gehen, mal brüllt er
unvermittelt irgendwelche Sprüche wie „I want to fuck a pony!“ ins Mikrofon (scheint ein Insidergag zu sein, ich kann jedenfalls nicht sagen, was es damit auf sich hat) oder kniet auf dem Boden nieder, um sich unter den gestrengen Augen der Streifenhörnchen in Siegerpose zu werfen (siehe die Fotos in der Galerie unten).In der Folgezeit werden u. a. mit „Stick Boy“, „A Night Without You“, „Lovesick“, „Comatose“, „Rink Rat“ und „We’re Brewing“ weitere Nummern aus den insgesamt drei veröffentlichten Studioalben geboten, die sich textlich mehr oder weniger immer um die Themen Hockey, Trinken, Raufereien und Mädels drehen. Zwischendurch gibt es die ein oder andere Auszeit zur Auflockerung (und zum Verschnaufen für die Jungs auf der Bühne und das pogotanzende Volk) mit ein paar typischen Einsprengseln aus der Welt des Eishockeys: Mal wird die prägnante Orgelmusik eingespielt, die während
der Matches in den US-Profiligen ständig bei den Unterbrechungen zu hören ist, mal kommt Drummer Mikey nach vorn und bewegt sich unter Gejohle des Publikums in Cheerleader-Manier zum Discosound, mal muss Bassist Robbie von den Schiedsrichtern von einer neuerlichen Eskapade zur Ordnung gerufen werden und schließlich fangen die beiden Unparteiischen selbst an, untereinander zu streiten und einen Ringkampf auszutragen (auch am Ende des Clips weiter unten zu sehen). Das Programm ist keine Sekunde langweilig, Party und Spaß pur, Bier und Schweiß fließen in Strömen.Nach dem Ende des regulären Sets ist noch lange nicht Schluss; das Publikum verlangt nach mehr und die Show geht in die Verlängerung. Diese endet nach vier Stücken mit „Danielle (She Don’t Care About Hockey)“. Doch die Fans haben noch immer nicht genug. Zweite Overtime. Erst wird ein riesiges Heino-Plakat, passend zum Song „You Cant’t Hide the Heino“ über die Bühne getragen, dann wird der Gig nach insgesamt 27 Liedern mit dem Titel „Sudden Death“ (so heißt beim Eishockey das entscheidende Tor in der Verlängerung, nach dem das Spiel beendet wird) passend beschlossen. Abpfiff.
Am Rande hörte ich, dass die laufende Tour auch die letzte der HANSON BROTHERS gewesen sein soll, weil sich die Musiker künftig wieder mehr auf NOMEANSNO konzentrieren wollen. Schade, wenn dem so sein sollte – aber gut, noch mal dabei gewesen zu sein. Allen, die dies lesen und noch die Möglichkeit haben, sie zu sehen (es stehen bis zum 21.4. noch einige Shows in Deutschland, u. a. in Stuttgart, Köln, Hamburg, Bochum und Hannover an), kann ich nur sagen: Lasst euch das nicht entgehen. Puck Rock Rules!
Wer eine Musikempfehlung zu den HB braucht, dem sei die Doppel-LP, bzw. CD „It’s a Living“ von 2008 ans Herz gelegt, die als Live-Mitschnitt und „Best of“ alles vereint, was man zuhause haben sollte. Die Website http://www.no-means-no.de/ gibt gleichermaßen über das Schaffen von NOMEANSNO und den HANSON BROTHERS Aufschluss, unter anderem mit einer hervorragend dokumentierten Tour-Historie und Discographie beider Bands. Weitere Infos unter http://www.nomeanswhatever.com/ sowie Songs zum Reinhören unter http://www.myspace.com/hansonbrotherscanada.
Text, Fotos (4) & Clip: Stefan / Fotos (15): Kai
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