Nachtleben, Frankfurt, 28.10.2019
Manchmal ist es wirklich zum Haare raufen. Legendenalarm für Rockfreunde in der Frankfurter Innenstadt – an zwei, sogar fast benachbarten Plätzen: Die METEORS gastierten im Club Zoom, während ein Quartett aus Großmeistern des australischen Rocks mit prominenter Unterstützung am Schlagzeug aus New York zeitgleich im Nachtleben auftrat. Zugegeben, das ist etwas blöd. Trotzdem: Bei der Größe der Läden hätten, trotz Montag, beide Spielstätten eigentlich platzen müssen. Wie sich dies im Zoom darstellte entzieht sich meiner Kenntnis – das Nachtleben war jedoch deutlich zu wenig gefüllt für das Renommee sowie die künstlerische Finesse der Akteure aus Übersee. Ziemlich hart für den Veranstalter. Den Musikern auf der Bühne schien das ziemlich wuppe zu sein, was wiederum für einen entspannten und faszinierenden Konzertabend sorgte. Doch der Reihe nach.
Einlass und Konzertbeginn zogen sich aus mir unbekannten Gründen nach hinten – vor 21 Uhr sollte nichts im Kellerclub an der Konstablerwache beginnen, was auch mir nach einem langen Arbeitstag nicht unbedingt schmeckte. Das Quartett, das letztlich die überschaubare Menge an Gästen begrüßte, sollte den ganzen Abend über in zwei Sets das Gleiche bleiben und bestand aus folgenden Künstlern: Multiinstrumentalist J.P. Shilo ist seit den 90er-Jahren musikalisch aktiv in diversen australischen Formationen, darunter die instrumentale „Slow Core“- Combo HUNGRY GHOSTS. Außerdem arbeitete er eng mit Rowland S. Howard (THESE IMMORTAL SOULS) zusammen, in dessen Band CRIME AND THE CITY SOLUTION auch Mick Harvey spielte. Zudem spielte er etliche Soundtracks ein, unterstützte Harvey bei dessen Solo-Alben und tourte als Teil der TRIFFIDS durch Europa.
Mick Harvey, ebenfalls Multiinstrumentalist, war jahrzehntelang die rechte Hand von Nick Cave, mit dem er bereits bei den BOYS NEXT DOOR in den Siebzigern spielte. Die Partnerschaft währte über THE BIRTHDAY PARTY bis zu den BAD SEEDS, die er 2010 nach 36-jähriger Zusammenarbeit mit Cave verließ. Darüber hinaus produzierte er Alben mit der (nicht verwandten) P.J. Harvey und spielte in deren Tourband. Einige seiner Solo-Werke sind englische Versionen von Songs des von Harvey sehr verehrten Serge Gainsbourg – die Einsätze von Brigitte Bardot oder Jane Birkin ließ Harvey von verschiedenen Chanteusen wie zum Beispiel Anita Lane und der Berlinerin Andrea Schroeder einsingen. Schroeders/Harveys auf deutsch intonierte Version von „Je t’aime… moi non plus“ sollte waffenscheinpflichtig sein, nebenbei. Auch Kak Channthy vom CAMBODIAN SPACE PROJECT sang eines dieser Stücke mit Harvey, dessen Bassist Glenn Lewis ebenso zur Formation im Nachtleben zählte.
Last not least komplettierte der New Yorker Schlagzeuger Steve Shelley das Quartett, dessen musikalische Wege sich in der Vergangenheit häufig mit denen von Shilo kreuzten und der als Mitglied der Noise-Rock-Institution SONIC YOUTH sein eigenes Renommee-Päckchen zu tragen hat. Neben den Solo-Alben seiner SY-Kollegen veredelte er auch Scheiben und Performances von Cat Power, Sun Kill Moon, Maureen Tucker, dem kürzlich verstorbenen Daniel Johnston, Nikki Sudden, Howe Gelb sowie etlichen weiteren Koryphäen der besonderen Töne.
All diesen Profis zu eigen war eine Abgeklärtheit, mit der ihnen völlig egal zu sein schien, ob fünf oder 500 Zuhörer anwesend waren. Darüber hinaus hatte es keiner nötig, seinen Status mittels exaltiertem Instrumentengewichse zu manifestieren. Ist in diesem Genre auch nicht so üblich. Ein blindes Verstehen zeichnete das Zusammenspiel der Akteure eher aus, in dem der Platz am Piano von jedem (außer Shelley) während der Vorträge mal eingenommen wurde. Nicht ohne freundschaftliche Frotzeleien wie „Mehr als zwei Töne beherrscht der da sowieso nicht“ (Harvey über Shilo, der daraufhin „Für Elise“ anstimmte).
Im ersten Teil standen die Songs von Shilo im Vordergrund, zum größten Teil aus dessen Album „Invisible You“ von 2019. Dreckiger, bluesiger Swamprock, wie er in Australien häufig zur Perfektion gebracht wurde durch Bands wie DIRTY THREE, LIME SPIDERS, THE CRUEL SEA, etc. – oft auch voller instrumentaler Melancholie wie in Shilos Formation HUNGRY GHOSTS. Bei drei oder vier Liedern wurde das Quartett unterstützt durch den Gesang von Shilos Frau, die namentlich jedoch nicht erwähnt wurde – weder an diesem Abend noch auf den offiziellen Seiten im Netz. Das scheint Usus zu sein: Als Harveys ehemaliger BAD SEEDS-Kollege Hugo Race unlängst mit DIRTMUSIC in der Frankfurter Brotfabrik gastierte, war der Name der einzigen Frau auf der Bühne ebenfalls trotz Recherche nicht zweifelsfrei zu ermitteln. Die alten, weißen Männer des Indie-Rocks haben bei aller dargestellten Bewunderung für alles Weibliche anscheinend doch ein Respektsproblem, wenn es um ihre Mitmusikerinnen geht. Oder wie Harvey Andrea Schroeder im Gainsbourg-Klassiker auf ihren gehaucht/gestöhnten Liebesschwur antwortet: „Ich Dich nicht.“ Da haben wirs.
Zwischen den Sets musste dankenswerterweise ja nicht umgebaut werden, die von Harvey angekündigte 20-minütige Pause erschien ihm deswegen vielleicht in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit selber etwas zu lang. „Das waren sehr kurze 20 Minuten“ gab Harvey zu Protokoll, was Konsequenzen haben sollte: Als sich ein Gast später einen Song wünschte, gab Harvey zu, diesen bereits am Anfang des Sets gespielt zu haben – zeigte aber wegen des frühen Beginns Verständnis für die bittende Person und spielte besagtes Lied am Ende einfach nochmal.
Gainsbourg blieb an diesem Abend draußen – Sets mit solchem Inhalt wurden auf der Tour jedoch in anderen Städten, vornehmlich in Russland, Frankreich und Portugal mit der gleichen Band gegeben. Frankfurt durfte sich an den eigenen Songs Harveys erfreuen, die, im Vergleich zu seinem Schaffen unter anderer Ägide, eher rar gesät sind. War das ein musikalischer Oberhammer, der innovationsreich die Welt erschüttert? In keinster Weise. Aber ein toller Abend für Feinschmecker, dessen Gesamtpaket noch lange nachwirkte.
Links: https://www.mickharvey.com/, https://www.facebook.com/mickharvey4ever, https://soundcloud.com/mick-harvey-official, https://www.reverbnation.com/mickharvey, https://www.last.fm/de/music/Mick+Harvey, https://www.facebook.com/jpshilo/, https://jpshilo.bandcamp.com/, https://www.instagram.com/jp_shilo/, https://www.last.fm/de/music/J.P.+Shilo
Text, Fotos & Clip: Micha
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