Nachtleben, Frankfurt, 19.05.2014
Wer Klassiker der Rock-Geschichte mit Fiddle, Banjo und Mandoline bearbeitet, unkenntlich macht und als Bluegrass-Hillbilly-Versionen in Umlauf bringt, wird mit Freiheitsentzug nicht unter zehn Jahren bestraft. Eigentlich. Dass die Mitglieder von HAYSEED DIXIE bisher in kein Correction Center eingewiesen wurden und stattdessen sogar von Die Hard-Fans ihrer bevorzugten „Opfer“ von A wie AC/DC über BLACK SABBATH, KISS und MOTÖRHEAD bis zu Z wie (LED) ZEPPELIN frenetisch bejubelt werden (davon zeugen nicht zuletzt ihre Auftritte 2011 im Metal-Eldorado Wacken), hat letztlich nur einen schlichten Grund: Sie können das richtig gut.
Lange war die Band nicht mehr zu Gast in Frankfurt (meines Wissens zuletzt im April 2010), nun finden dieser Tage im Rahmen der aktuellen Europatour auch sieben Clubshows in Deutschland statt. Auf eine davon konnten sich die Fans im mit etwa zu drei Vierteln angenehm gefüllten Nachtleben freuen. Zwei Dutzend Songs standen auf dem Programm der illustren Kapelle, die seit 2001 mit wechselnden Besetzungen ein knappes Dutzend Alben und EP’s herausgebracht und im vergangenen November im schottischen Glasgow ihren 1000. Auftritt gefeiert hat.
Kopf der Gruppe ist nach wie vor der US-Amerikaner John Wheeler, der singt, Gitarre spielt und hin und wieder die Fiddle auspackt. Ebenfalls schon lange dabei ist sein kongenialer Weggefährte, Rauschebart Jake „Bakesnake“ Byers (links) am Bass, der außerdem immer für eine Grimasse oder ausgefallene Pose gut ist. Gleiches gilt für den barfüßig und mit zerschlissener Latzhose auftretenden Engländer „Hippy“ Joe Hymas, der im aktuellen Line-up die Mandoline bespielt. Das Quartett komplettiert, ebenfalls von der Insel, Johnny Butten, der im Guinness Buch der Rekorde den Titel als „Worlds Fastest Banjo Picker“ sein eigen nennen darf. In der Tat sind alle Musiker herausragende Multi-Instrumentalisten, die auch mit anderen Bands auftreten oder schon als Solokünstler Platten veröffentlicht haben.
Bandchef Wheeler (rechts) spricht erstaunlich gut Deutsch, obwohl die Gruppe gar nicht übermäßig häufig in unseren Breiten anzutreffen ist. Nach eigener Aussage von gestern Abend möchte er die Kenntnisse unserer Sprache sogar noch weiter vertiefen, was aber schwierig sei, da jedermann hierzulande Englisch könne und sich nur derart mit ihm verständigen möchte. Wir hätten, so ließ er das Publikum gut gelaunt wissen, dazu aber nun keine Möglichkeit, denn „diesmal habe ich das Mikro“. Im folgenden führte er auf Deutsch aus, dass es nur vier Themen gebe, über die es sich lohne, Lieder zu singen: Das Trinken, das Fremdgehen, das Töten und die Hölle. Und so gut wie jeder der nachfolgend gespielten Songs wies eines der Motive auf (was allerdings im Rock’n’Roll auch nicht besonders außergewöhnlich ist)…
Einige Stücke wurden komplett auf Deutsch zum besten gegeben, darunter der TOTE HOSEN-Hit „Hier kommt Alex“, der am Vorabend im Düsseldorfer „Pitcher“ der Renner gewesen sein dürfte, und der von HAYSEED DIXIE selbst geschriebene Track „Die richtige Zeit für ein Schwarzbier“. Besonders amüsant fand ich die Interpretation des einst von Willy Millowitsch gesungenen 60er-Jahre-Schlagers „Schnaps, das war sein letztes Wort“. Wer das nachträglich erleben möchte, schaue sich den Videoclip an:
Alle drei oben erwähnten Songs befinden sich übrigens auf dem 2012er-Album „Nicotine & Alkohol“, das nur über die Website der Band erworben werden kann. Weitere Highlights des „Best of“-Programms im Nachtleben waren für mich die SABBATH-Songs („War Pigs”, “Paranoid”), “Poison” (Alice Cooper), sowie MOTÖRHEAD’s “Ace of Spades” und ja, auch QUEEN’s “Bohemian Rhapsody”. Bei „Kirby Hill“ und den „Duelling Banjos“ gab’s Hillbilly at its best.
Zwischen den Tracks erwähnte Wheeler immer mal wieder Wichtiges und Nichtiges. Zum Beispiel, dass er in Nashville geboren wurde. Warum dann im Publikum Applaus aufbrandete, konnte er sich scheinbar selbst nicht erklären und konstatierte achselzuckend: „I dont miss it that much…“. Weiterhin lernten wir, dass 75 Prozent der Männer und 53 der Frauen fremdgehen (wer hätte das gedacht). Und als das Publikum, anfangs von der Band ermuntert, seine Arme bei einem Lied langsam von links nach rechts schwenkte, flachste der Frontmann, das sähe nun aus wie bei einem „Ich & Ich“- Konzert (woher zum Teufel kennt er bloß diese Band?). Er streute daraufhin ein paar Zeilen aus einem „Ich & Ich“-Song (das nehme ich zumindest an, es klang so) ein. Netter Gag, einer von vielen. Die einzige Enttäuschung an einem nahezu perfekten Konzertabend bestand für mich in der Ausstattung des Merchtisches: Lediglich ein einziges, dazu recht altes Album („A Hillbilly Tribute to AC/DC“) lag da zum Kauf bereit, des weiteren ein T-Shirt. Immerhin wurde mit einem Schild darauf hingewiesen, dass die komplette J-Gang mit John, Jake, Joe und Johnny nach der Show dort für Autogramme zur Verfügung stehen werde.
Fazit: Neben der finnischen Combo ELÄKELAISET, die ebenfalls vor nichts zurückschreckt und die besten Rocksongs der vergangenen Dekaden in Humppa-Polka-Manier verballhornt, ist HAYSEED DIXIE in meinen Ohren die spaßigste und partytauglichste aller Coverbands. Dies schlug sich auch in der ausgelassenen Stimmung und Atmosphäre im Nachtleben nieder. Und so bleibt zu hoffen, dass die Geschmackspolizei bei diesen skurrilen Typen auch weiterhin ein Auge zudrückt.
Setlist: Dirty Deeds Done Dirt Cheap – Kirby Hill – You Shook Me All Night Long – War Pigs – Paranoid – Poison – Deeper in Debt – Hier kommt Alex – In the Backyard – Ace of Spades – Walk This Way – Tennessee Waltz – Bohemian Rhapsody – Schnaps, das war sein letztes Wort – Die richtige Zeit für ein Schwarzbier – Fat Bottom Girls – She Was Skinny When I Met Her – Corn Liquor – Strawberry Fields Forever – I’m Keeping Your Poop – Duelling Banjos – Highway to Hell – The Rider Song – Circle Be Unbroken
Links: http://www.hayseed-dixie.com/, https://myspace.com/hsdx, http://www.lastfm.de/music/Hayseed+Dixie, http://www.johnwheelermusic.com, https://myspace.com/johnnybutten, http://www.reverbnation.com/johnnybutten
Text, Fotos & Clip: Stefan
Alle Bilder: