HGICH.T

Das Bett, Frankfurt, 16.11.2019

HGich.TNanu, warum ist denn alles so bunt hier? Einige Tage zuvor, als an gleicher Stelle im Frankfurter Club „Das Bett“ die New Yorker Hardcore-Acts BACKTRACK und HANGMAN gastierten, war doch noch alles normal. Aber es stand ja auch kein gewöhnlicher Konzertabend an, sondern ein Auftritt des berüchtigten Hamburger Künstlerkolletivs HGich.T (das Kürzel steht laut verschiedener Quellen für „Heute geh ich tot“). Dieses existiert seit 1996 und lädt seit etwa zehn Jahren mit steter Regelmäßigkeit primitiv-debile Videoclips ins Netz, die auf illustre Titel wie „Die letzten Titten von Betlehem“, „Fuck Off Möbel Hofmann“, „Tripmeister Eder“, „In der Sekte wird gebumst“ und „Nachts stehe ich heimlich auf dem Klodeckel“ hören. Einige der Videos – wie beispielsweise „Hauptschule“ und „Tutenchamun“ – entwickelten sich zu viralen Hits und generierten jeweils über drei Millionen Klicks. Und dies nicht aufgrund einzigartiger Musikalität oder hoher Produktionsqualität, sondern weil das Dargebotene schlicht unglaublich degeneriert und stupide ist. Die „Songs“ bestehen aus simplen Techno/Goa-Beats, zu denen eines der HGich.T-Mitglieder einen schrägen Sprechgesang beiträgt, der sich in der Regel auf wenige markante Worte beschränkt. Interessierten sei der Clip zum Track „Hauptschule“ empfohlen, der einen recht guten Einblick ins „künstlerische“ Schaffen der Gruppe bietet.

HGich.TMit dieser minimalistischen Formel haben die Hamburger bereits fünf Alben gefüllt, es in das Feuilleton renommierter Zeitungen geschafft und performen regelmäßig in ausverkauften Hallen, so auch gestern im Frankfurter Gallusviertel. Als Freund ungewöhnlicher Live-Darbietungen interessierte mich nun, wie genau sich ein Konzert von HGich.T gestalten würde. Es sollte in der Tat ein ungewöhnlicher Abend werden…

HGich.TBereits der Zutritt zur Halle ging anders vonstatten als gewohnt, denn jeder Gast wurde von einem Türsteher gefilzt, womit vermutlich verhindert werden sollte, dass literweise Hartalk in den Club geschmuggelt wurde. Im Inneren wurde es dann, wie bereits eingangs erwähnt, bunt: Über den gesamten Zuschauerraum war in einer Höhe von etwa zweieinhalb Metern ein Netz aus Fäden gespannt, an dem neongrüne Schnüre herunter baumelten. Die DJs auf der Bühne wurden von einem Tor umrahmt, auf das psychedelische, sich bewegende Muster projiziert wurden. Und am Merchstand konnten sich die Besucher ihre Gesichter mit Leuchtfarben bemalen lassen. Zudem trugen viele der Anwesenden leuchtende Westen in den HGich.TFarben Neon-Orange und -Gelb, wie man sie von Raves oder auch der Love Parade her kennt.

Darüber hinaus waren einige der Gäste in obskuren Verkleidungen erschienen, beispielsweise als Elfen, als Kühe, mit Vokuhilas im „New Kids“-Stil oder in psychedelischen Fantasie-Kostümen. Das Ganze mutete somit eher wie ein Rave, der Rosenmontag in Köln oder ein Abend im Bierkönig am Ballermann an. Nicht zuletzt deshalb, da vor dem Auftritt von HGich.T die Stimmung von Techno/Goa-DJs angeheizt wurde und der ganze Saal abtanzte ohne dabei den Blick in Richtung Bühne zu richten. Die Theke war ununterbrochen belagert; Bier, Apfelwein und Schnaps flossen in rauen Mengen.

HGich.T

Der „Konzertbeginn“ war offiziell für 22 Uhr angekündigt, los ging‘s aber erst gegen 23 Uhr, sodass ich gut eine Stunde den immer gleichen Beats ausgesetzt war, was in etwa einer chinesischen Wasserfolter gleichkam. Als es schließlich so weit war, betraten fünf schräge Gestalten das Podest: DJ Hundefriedhof und HGich.TFrontmann Anna-Maria Kaiser – Gründungsmitglieder des Projekts – sowie Dr. Diamond und zunächst zwei Sängerinnen/Tänzerinnen. Eingeleitet wurde der Auftritt mit einer Ansage von Kaiser, in der er das Publikum in einer heiseren, vom Hamburger Dialekt durchdrungenen Stimme in der Hauptschule begrüßte und sogleich mit den Worten: „Ihr seid alle versetzungsgefährdet!“ tadelte.

Es folgte der Song „S-Bahn“ vom aktuellen Album „Jeder ist eine Schmetterlingin“. Dabei fiel auf, dass es außer dem unsinniges Zeug lallenden Sänger eigentlich keinen Unterschied zum vorherigen DJ-Set gab. Es waren die gleichen monotonen Beats, die nun lediglich vom kakophonischen Gegröle von Kaiser begleitet wurden. Der wirkte optisch wie ein biederer Sparkassen-Angesteller, hatte sich HGich.Taber eine Telefonnummer auf die Stirn gemalt, trug ein lustiges Karnevalshemd und fiel durch einen manischen Blick auf, der auch von einem Amokläufer hätte stammen können.

Kaiser war neben DJ Hundefriedhof, der gelegentlich mal einen Knopf am Mischpult betätigte, der Einzige des Kollektivs, der etwas Essentielles zur Live-Performance beitrug. Die Mädels sangen zwar bei einigen Songs, ergingen sich sonst aber lediglich im Tanzen, Kippenrauchen und Trinken. HGich.TDr. Diamond hatte ein Keyboard und eine Gitarre vor und neben sich, die allerdings nur als Deko dienten, denn beide Instrumente waren nicht angeschlossen, auch wenn er oftmals so tat, als ob das der Fall sei. Im Laufe des Abends erschienen weitere Mitglieder von HGich.T auf der Bühne, tanzten, hatten Spaß und sprangen ins Publikum um sich auf Händen durch die Lüfte tragen zu lassen. Nicht mit dabei war Sänger Ahne Behrens alias Tutenchamun, der in den meisten Clips der Formation zu sehen ist.

HGich.TDas Publikum reagierte auf die Show ekstatisch, feierte jeden Song und leistete jeder Anweisung von MC Kaiser Folge, ob es nun darum ging, sich auf den Boden zu setzen oder sich zu umarmen und miteinander rumzumachen. Goa ist schließlich so etwas wie die musikalisch degenerierte Variante der Hippie-Bewegung der späten 1960er Jahre, auch hier gehören Liebe und Frieden zur Botschaft – und natürlich Drogen. Nach nicht allzu langer Zeit nervte mich allerdings beides – die lobotomisierenden Bumbumbeats und das sinnfreie Gebabbel des Frontmanns –, sodass ich schließlich die Flucht ergriff und mich im Auto erstmal zehn Minuten lang mit Songs von DISCHARGE erholen musste.

HGich.TFazit: Mit einem Konzert im herkömmlichen Sinn hat ein Gig von HGich.T wenig gemein. Das Ganze war eine Goa-Party kombiniert mit Frontmann, der wie ein Hamburger Marktschreier agierte. Für Freunde dieser „Musikrichtung“ war dies sicher okay und eine gelungene Abwechslung zum gewöhnlichen Beatgeballer. Als Rock- und Punkfan war man indes fehl am Platze. Ich hatte mir etwas Punkiges, Witziges, Groteskes oder zumindest Unterhaltsames erhofft, erlebte aber lediglich eine konventionelle Tanzveranstaltung mit autistisch wirkendem Gebrülle.

HGich.TIn dieser konnte ich nichts erkennen, was auch nur im Entferntesten den gerne in Kultursendungen oder im Feuilleton verwendeten Begriff der „Dadaistischen Darbietung“ rechtfertigen würde. Man mag HGich.T als Gegenbewegung zur elitären Kunst- und Kultur-Szene sehen – passend dazu gibt es einen Song mit der Textzeile „Künstlerschweine, Künstlerschweine, ja ich breche euch die Beine“ –, aber dann müsste man auch Besuche am Ballermann oder im Moseleck morgens um vier in diese Kategorie einordnen. HGich.T sind vielmehr so etwas wie eine autistische Therapiegruppe auf LSD, die in ihrer eigenen Welt lebt. Erstaunlich daran ist, dass es dem Kollektiv gelingt, mit dem fabrizierten Elektroschrott tatsächlich seit etwa einer Dekade Hallen zu füllen. O tempora, o mores!
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Links: https://www.hgicht.de/, https://www.facebook.com/HGich.T, https://www.instagram.com/hgich.t_official/, https://hgicht.bandcamp.com/, https://www.last.fm/de/music/HGich.T

Text: Marcus
Fotos: Eric, https://www.flickr.com/photos/vanreem

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