Das Bett, Frankfurt, 10.06.2015
20 Uhr 15 vor dem Club „Das Bett“ in Frankfurt. 15 Minuten vor dem offiziellen Konzertstart. Auf den Bänken sitzen vereinzelte Paare und warten – zwei Kumpels, Vater und Sohn, zwei Frauen, noch zwei Frauen, ein Pärchen. „Viele“ von denen kamen mit dem Fahrrad, eine mit dem Bus. Ein Mopedfahrer ist dabei. Vater und Sohn schauen jeweils auf ihre Smartphones. Zwei weitere Männer kommen aus dem Club, zünden sich eine Zigarette an. Einer von den beiden ist Jace Everett, dem man zwar den Umstand deutlich anmerkt, über diesen „Publikumsandrang“ alles andere als erfreut zu sein, der aber auch kein Drama daraus macht. Der andere ist Dan Cohen, der zu Everetts Trio gehört und später Gitarre spielen wird. Den kannte ich vorher noch nicht – und viel besser kenne ich ihn jetzt, nach dem Konzert und als Besitzer seiner Scheibe „Bluebird“, auch nicht. Weil man im Netz einen Haufen Dan Cohens findet, aber nicht unbedingt diesen. Schade eigentlich.
Eine halbe Stunde später betreten Cohen sowie der Schlagzeuger des Trios, Kasey Todd, die Bühne und spielen etwa 15 Minuten lang ein paar Songs des Ersteren. Der Großteil der maximal 60 Besucher ist noch draußen, kommt aber reingeschlurft, als die Bandbeschallung auf das schüchterne Drängen Cohens hin endlich abgeschaltet wird. An der Theke sitzen/stehen ein paar Menschen, Vater und Sohn haben am Rand auf diesen weißen Stühlen Platz genommen, die mir immer am Steiß kleben, wenn ich mich von ihnen entfernen will. Ein paar Mädels unterschiedlicher Altersstufen sind da, sie wirken auf mich weniger wie Country/Americana/Rock’n’Roll-Fans, aber ich mag ihnen damit Unrecht tun.
Als Cohen seinen zurückhaltenden Auftritt beendet, hat er drei oder vier Stücke dargeboten. Er verspricht, gleich wieder mit dem Star des Abends zurückzukehren, während wir uns schon mal auf Rock’n’Roll vorbereiten sollen. Okay. Das Merkwürdige an den 15 Minuten vorher war für mich, dass keiner der präsentierten Tracks bei mir zündete, zu seicht und nichtssagend plätscherte alles dahin. Das Album von Cohen kaufte ich später, nach der Show, trotzdem – aus Mitleid eher, und weil er als Teil des Jace Everett-Trios einen weitaus erleseneren Eindruck auf mich machte. „Bluebird“ aber ist wunderschön. Stimmungsvoll, elegant gespielt. Gefühlvoll gesungen. Entspanntes, eindrucksvolles Understatement. Live wirkte das alles eher schüchtern und verkrampft.
Wobei vielleicht auch die Gesamtsituation dazu beitrug, die sich nach extrem kurzer Pause beim Gig des Trios fortsetzte und die vielleicht auf die Jungs aus Nashville, Tennessee etwas befremdlich wirkte. Die sah nämlich so aus: Auf der Bühne die Musiker. Direkt vor der Bühne: ich. Zusammen mit dem Kollegen, der auch öfter mal Bilder macht in „Das Bett“. Der Rest der Anwesenden tauchte im hinteren Teil des Clubs, frühestens auf Höhe der Säulen, im Halbdunkel ab. Auf den Stühlen am Rand noch ein paar Wenige. Das wars.
Zwei Tage vor dem Auftritt, als ORCHID an gleicher Stelle ihren Retrorock zelebrierten, überlegten noch einige der mir bekannten Anwesenden, ob sie zu Jace Everett oder dem zeitgleich im Nachtleben spielenden Jared James Nichols gehen sollten. Offenbar haben sich die meisten für letzteren entschieden, ein Bekannter von mir schätzte die Zahl der Besucher dort auf 70.
Jace Everett ist jedoch Profi genug, sich von einem eventuellen Frust nichts anmerken zu lassen und rockte sein Programm wie aus dem Lehrbuch durch – leider damit auch ziemlich unspontan und überraschungsfrei. Aber worauf hätte er auch reagieren sollen? Höflicher Applaus nach jedem Stück, bei dem in der Mitte gebrachten „Bad Things“ (wegen dem die meisten wohl da waren) naturgemäß etwas mehr. Den Kracher aus dem Vorspann der Kult-Serie „True Blood“ sagte Everett ziemlich verhalten an, erzählte, wie merkwürdig das ist, wenn einer einen kleinen Countrysong schreibt und der dann so durch die Decke geht. Everetts „Satisfaction“, wenn man so will.
Vorher lobte er die Deutschen für die Autobahnen und ihr Bier (schnarch) und meinte sinngemäß: Selbst wenn das alles wäre, was die Deutschen jemals vollbrachten, haben sie damit ihren Platz in den Geschichtsbüchern auf ewig sicher. Mir und ihm wäre bestimmt noch eine Sache eingefallen, die sich Everett aber erfreulicherweise verkniff. Den Rest des Abends bekam ich aber das Bild eines Bierkrug stemmenden Autobahnrasers nicht mehr aus dem Kopf. Fragte mich, wie das Lob auf die Autobahnen bei den anderen, mit Bus und Rad angereisten Zuhörern ankam.
Nach „Bad Things“ spielte das Trio befreiter auf, lächelte sich auch mal beim Zuspiel an und präsentierte seine Songs aus hauptsächlich „Terra Rosa“ (2014) und „Red Revelations“ (2010) etwa 70 Minuten lang, inklusive einer Zugabe. Anschließend konnte man die drei nochmal am Merchstand zum Smalltalk und Scheibenkauf treffen. „Terra Rosa“ war bereits ausverkauft, das lief wohl ganz gut auf der Tour. Unter dem Strich: Ein musikalisch guter Abend, der stimmungstechnisch leider mit angezogener Handbremse vonstatten ging. Hätte in einem kleineren Club sicherlich besser gepasst, aber das kann man ja auch nicht immer absehen.
Links: http://www.jaceeverett.com/, https://www.facebook.com/Jace-Everett-Fan-Page/, https://myspace.com/jaceeverett, https://www.reverbnation.com/jaceeverett, http://www.lastfm.de/music/Jace+Everett
Text, Fotos & Clips: Micha
Alle Bilder: