Frankfurt, 29.12.2013
Wenn einen von Halbstarken gezündete Silvesterkracher schon einige Tage vor der Jahreswende unvermittelt aus dem Schlaf reißen, ist klar: Der Böller-Verkauf für den großen Tag hat begonnen und das alte Jahr neigt sich nun unweigerlich dem Ende zu. Gleichzeitig bedeutet das: Ein Jahresrückblick muss her. Wobei der eigentlich kein Muss ist, ich sehe ihn vielmehr als willkommene Gelegenheit, die vergangenen zwölf Monate nochmal klaren Kopfes zu reflektieren. Gut für einen selbst, um den Überblick über die zahlreichen gesehenen Shows nicht völlig zu verlieren – und wer von Euch an dieser, wie immer in „Konzerte“ und „Clubs“ unterteilten Rückschau teilhaben möchte, ist herzlich eingeladen, die folgenden Zeilen a) zu lesen und b) zu kommentieren.
Foto oben: Kamikaze U.T. Vincent von KING SALAMI & THE CUMBERLAND 3 im Orange Peel, 23.11.2013
Konzerte
Insgesamt 87 Bands habe ich mir an 46 Konzertabenden um die Ohren geblasen, das entspricht quantitativ etwa dem Niveau des Vorjahres. Auch qualitativ konnte der Jahrgang 2013 seinem Vorgänger allemal das Wasser reichen.
Mit den TOY DOLLS (im März) und den ADICTS (Mai) hielt die altehrwürdige Batschkapp im letzten Jahr ihres Bestehens am alten Standort in Eschersheim (mehr dazu weiter unten) nochmal zwei Dauerbrenner bereit, die immer wieder das Kommen lohnen. Etwas Angst um Leib und Leben hatte man ebendort zuweilen bei ANTI-FLAG (Juli), ganz vorn im Moshpit vor der Bühne. Ein grenzwertiges Vergnügen, aber schön zu wissen, dass man auch im fortgeschrittenen Alter noch halbwegs mit dem jungen Gemüse mithalten kann.
Weitere ausgezeichnete Punkrock-Acts spielten sich mit den GENERATORS (mein letztes Konzert im alten Elfer im Mai), mit den BARB WIRE DOLLS um Isis Queen (rechts) in einem aus allen Nähten platzenden Sachsenhausener Dreikönigskeller (November) und den alten Haudegen von FANG (September) ab. Als Neuentdeckung kann ich die britische Band ANTI VIGILANTE (Foto unten) verbuchen, die – zumindest für mich – den Headliner LEFTÖVER CRACK im Juli in der Au alt aussehen ließ. A prospos Au: Das Rödelheimer Squat beging 2013 sein 30-jähriges Jubiläum als besetztes Haus. Mit soviel Publikum wie nie zuvor wurde beim traditionellen Sommerfest
Anfang Juni einem prima Programm, angeführt von NOMEANSNO, gelauscht.Ein Jubiläum der besonderen Art feierte auch eine von Frankfurts bekanntesten Bands: Die STAGE BOTTLES wurden 20 und begingen das mit einer riesigen Sause im ausverkauften Bockenheimer Exzess. Gäste wie ATTILA THE STOCKBROKER und THE MOVEMENT rundeten den intensiven Abend ab, der allen Beteiligten noch lang in Erinnerung bleiben wird.
Für ein anderes der Top-Konzerte des Jahres 2013 musste man sich etwas länger ins Auto setzen: Die GRANNIES (links) machten im März Station im Juz Bingen, und was die Kalifornier in ihren Tantchen- und Superhero-Kostümen für eine exaltierte Show abzogen, das war einfach die perfekte Mischung aus treibender Punkrock-Mucke und Entertainment. Bestnote.
Abseits meiner favorisierten Musikrichtungen Punk/HC gefielen die One-Man- Bands KING AUTOMATIC (im Februar im Feinstaub) und ABSTRACT ARTIMUS (im Oktober im DKK) sowie die Nächte mit den Beat-Kapellen MONTESAS & IMPERIAL SURFERS (Foto oben) im Juni und THE DUKES OF HAMBURG (Juli), alle im Frankfurter Club Orange Peel.
Leider hatte ich nicht die Zeit, zu jeder gesehenen Show eine Review zu verfassen. Bei drei Auftritten tat mir das ganz besonders leid. Zum einen beim extrem kurzweiligen Auftritt der Briten KING SALAMI & THE CUMBERLAND 3 (links & unten), die im November ebenfalls das Orange Peel heimsuchten. Großes Kino und ein toller Spaß für ein gut gefülltes Haus.
Zum anderen gilt das für die Londoner Sängerin LOUISE DISTRAS (Foto weiter unten), die Anfang Dezember im DKK zu Gast war. Politischer Ein-Frau-mit-Gitarre-Punk, der prima ankam, auch wenn die Publikumsresonanz eher mau war. Doch die junge Frau versprach, da sie nach eigener Aussage an dem Tag einen Frosch verschluckt hatte (wie gut klingt sie dann
bloß ohne Frosch?) beim nächsten Gig in Frankfurt fünf Stunden zu spielen. Bei einer Konversation auf Twitter, die ich ein paar Tage später mit ihr hatte, bekräftigte sie dies noch einmal. Außerdem lud sie alle Gitarre-spielenden Mädels ein, beim nächsten Mal ihr Instrument mitzubringen, um auf der Bühne mit ihr zu jammen. Ich denke, das sollte man sich nicht entgehen lassen; wir werden darauf hinweisen.Last but not least galt es 2013 auch wieder lebende Legenden zu bestaunen: Die SKATALITES beehrten im August den Schlachthof in Wiesbaden, darunter mit Lester „Ska“ Sterling und Doreen Shaffer noch zwei Mitglieder aus den Anfangstagen dieser großartigen Band, und diese Anfangstage sind immerhin 50 (!) Jahre her. Ein wunderbarer Abend mit fantastischen Musikern. Ich bin kein großer Freund des riesigen Betonblocks, der sich jetzt Schlachthof nennt, aber für diese Truppe hätte ich mich auch sonstwo eingefunden. Und damit komme ich zu den…
Clubs
2013 hat sich in der Club-, bzw. Konzertszene Frankfurts einiges getan: Erfreulicherweise konnte Das Bett im Gallus mit Hilfe einer Spendenaktion gerettet werden, 30.000 Euro kamen zusammen. Es können dort also weiter Shows stattfinden, von denen einige auch in die für Rockstage Riot relevanten Genres fallen (wie zuletzt REZUREX, ANGELIC UPSTARTS, die PUNKFURT-NACHT, SHONEN KNIFE und die CASUALTIES, Berichte dazu in diesem Blog). Auch in puncto Deko gab es Verbesserungen, die nackten weißen Wände wurden angehübscht und erhöhen den Wohlfühl-Faktor beträchtlich. Soweit die guten Nachrichten.
Nicht erfreulich ist, dass der Elfer in Eschersheim bereits Ende Juni dicht gemacht wurde und wir seitdem auf die gemütliche Kneipe verzichten müssen. Die künstlerischen „Höhlenmalereien“ im Keller (links) werden wohl der Abrissbirne zum Opfer fallen. Es wurde zwar eine neue Location gefunden (in der Sachsenhausener Klappergasse schräg gegenüber des Ponyhofs), aber man setzt nun nur auf Konzerte oder kostenpflichtige Partys. Sich mal auf ein Bier dort zu verabreden kann man vergessen. Schade, aber wohl der Konkurrenzsituation des neuen Standorts geschuldet. Der Konzertraum ist allerdings in Ordnung, ich würde sagen, sogar besser als zuvor.
Vom „alten“ Elfer ist es nicht weit zur – jetzt auch – „ehemaligen“ Batschkapp. Am 10. Dezember 2013 fand der lang geplante Umzug in die Räumlichkeiten an der Gwinnerstraße statt. Ich werde die alte Kapp (samt Elfer) vermissen, denn ich bin in dem Laden
fast 30 Jahre lang häufig gewesen. Da gibt es einiges zu erzählen, was aber den Rahmen dieses Rückblicks sprengen würde. Deshalb habe ich dazu kürzlich einen eigenen Beitrag online gestellt (hier). Ob die neue Halle ein Gewinn für die Konzertszene ist, wird sich weisen. Ich war selbst noch nicht dort, Näheres lest Ihr in den Roundups der Rockstage-Kollegen.Und das bringt mich direkt zum nächsten Punkt des diesjährigen Rückblicks – die Vergabe des nichts einbringenden, aber dennoch gern genommenen „Preises“ für den „Club des Jahres“. Meine Wahl fiel diesmal, nicht zuletzt aus nostalgischen Gründen, auf die alte Batschkapp. Mit den ADICTS, den TOY DOLLS, ANTI-FLAG und JELLO BIAFRA, um nur einige zu nennen, gab es dort wieder schwitzige Acts, die jede Menge Spaß gemacht haben.
Weiter erwähnen möchte ich den Dreikönigskeller, in dem ich 2013 so oft zu Gast war wie in keinem anderen Club. Stimmungsvolle Konzerte gab’s auch im Orange Peel (links). In den Ponyhof zog es mich im ablaufenden Jahr nur ein einziges Mal (LES CAMÉLÉONS), dort plant man inzwischen scheinbar mit einem jüngeren, studentischen Publikum und den dementsprechenden Bands.
Gern und häufiger fand ich mich in den unkommerziellen Veranstaltungsstätten wie der Rödelheimer Au (rechts) und dem Bockenheimer Exzess ein, wo wie eh und je mit nimmermüdem Engagement und viel Herzblut Non-Profit-, bzw. Low-Budget-Konzerte durchgeführt werden. Danke an alle, die sich da reinhängen, um das jedes Jahr aufs Neue möglich zu machen.
Danke auch an alle Leserinnen und Leser dieses Blogs. Wir wissen, es gibt Euch (zur Zeit etwa 1500 Besuche pro Monat, davon ein Viertel aus dem Ausland), auch wenn wir uns schon manchmal ein paar mehr Kommentare zu den Artikeln und/oder Anregungen wünschen würden. Lasst mal von Euch hören. Wir werden im kommenden Jahr mit der Berichterstattung fortfahren. Euch alles Gute für 2014 in Rockin’ Rhein/Main oder von wo aus auch immer Ihr uns anklickt.
Stefan/Rockstage-Riot-Team
Fotos: Stefan (7), Kai (6), Marcus (1), Frank (1)
Wie fällt Euer Fazit zum Konzertjahr 2013 aus? In welchen Clubs habt Ihr Euch gern aufgehalten? Was waren Eure positiven oder negativen Erlebnisse? Postet Eure Kommentare…
Bin regelmäßiger Leser und Eure Berichte machen immer wieder Spaß – nicht zuletzt, da man doch anscheinend den selben Querbeet-Harte-Gitarre-Musikgeschmack teilt und sich wohl auch unbewusst bei den einzelnen Konzerten über den Weg läuft, ohne „Gude“ zu sagen.
😉
Auf ein Neues und nen guten Rutsch,
Gruß,
Bert