Manchester, 4.01.2014
Der dritte und letzte Teil unserer Rückschau zum Konzertjahr 2013 ist unserem Kollegen Jan vorbehalten, der in seiner (Wahl-)Heimat Manchester auch einiges erlebt hat:
So, hier kommt mein Jahresrückblick von der Affeninsel und somit nicht nur abseits des Mainstreams, sondern auch des Mainstroms. Aber ich hatte auch ohne Rhein/Main in diversen Kneipen und Konzerthallen meinen Spaß. Ich fange mal ganz unchronologisch in der Mitte an, das heißt im Sommer, als Rhein/Main in Form der NEW YORK WANNABES in Manchester aufspielte. Das Duo nahm hier am zweitägigen „Abattoir Blues Festival“ in der sympathischen Kneipe „The Castle“ teil. Zum Glück haben die NYW mittlerweile einen gewissen Namen und traten erst gegen Ende des Abends auf. Denn ich war erst nachmittags aus Frankreich zurückgekommen und konnte sie so noch erleben (zusammen mit den FRANCEENS, deren Garagepunk mir sehr gefiel). Schön, die Darmstädter Superstars vor (begeistertem) englischem Publikum zu sehen und mit den beiden später bei Ale zu quatschen. Wer übrigens mehr zum bei jenem Gig verwendeten Saiteninstrument wissen möchte, sei auf unser Interview verwiesen (hier).
Foto oben: Vince von VINCE RIPPER AND THE RODENT SHOW in der „Retrobar“ in Manchester, 14.11.2013
Das „Castle“ liegt im sogenannten „Northern Quarter“ Manchesters, dem besten Stadtteil zum Ausgehen und Musik hören. Nur leider brennt es da ziemlich oft. So ist zum Beispiel letztes Jahr der Venue „NQ Live“ einem Feuer zum Opfer
gefallen. Das hatte zur Folge, dass der Gig von MAD SIN (links) dort im September ins (Lösch-)Wasser fiel. Bis Köfte und seine Jungs kurzfristig entschieden, ein paar Tage später im nicht weit entfernten „Gullivers“ aufzutreten. Die Rechnung ging auf, es kamen genug Leute, keiner hat Geld verloren, und MAD SIN gaben Gas. Hat Spaß gemacht.Im „Gullivers“ habe ich auch mein letztes Konzert des Jahres genossen: VINCE RAY & THE BONESHAKERS (rechts). Anlass des Gigs war das zehnjährige Bestehen des Ladens „Rockers England“, betrieben von Kathy und Johnny, dem Gitarristen von GOLDBLADE. Der Shop liegt auch im Northern Quarter, musste aber bereits zweimal umziehen – einmal, weil auch diese Bude niedergebrannt war. Wie gesagt, ein „heißes“ Pflaster. Vince Ray hat solide gerockt, auch wenn seine Stimme etwas schwach wird (ähnlich wie die von Smegg von KING KURT (links), die dieses Jahr auch in Manchester gastierten – ansonsten nicht weiter erwähnenswert). Manche kennen Ray wahrscheinlich in erster Linie als Grafiker, er hat unzählige Shirts, Flyer und Plattencover illustriert, zum Beispiel für DEMENTED ARE GO.
Vom letzten Konzert 2013 zum ersten: Das waren THE COMPUTERS (rechts), die im Januar kostenlos (!) im „Roadhouse“ in Manchester auftraten. Ich kannte sie vorher gar nicht, sie haben mich aber voll überzeugt und ich kann sie jedem live empfehlen, der eine Mischung aus Punk, Hardcore, Soul und Rock’n’Roll mögen könnte. Auch optisch machen die fünf jungen Herren in ihren stilvollen Anzügen und Schmierfrisuren was her, die 2013 in Deutschland vor erheblich größeren Zuschauermengen im Vorprogramm der TOTEN HOSEN zu sehen waren. Ich finde es toll zu sehen, dass es junge Bands gibt, die Arsch treten können. Der Rock’n’Roll scheint noch zu leben.
Ein weiteres gutes Beispiel dafür sind die fantastischen ZIPHEADS (unten). Die habe ich bereits in meinem Bericht zum „Bedlam Breakout“ in Northampton – den ich vergangenes Jahr zweimal besucht habe – erwähnt (hier). Im April durfte ich sie zusammen mit den ebenso wild rockenden und auch noch recht jungen GRAVEYARD JOHNNYS im „Alma Inn“ in Bolton erleben – einer
Kneipe, in der ich das letzte Mal 1996 gewesen bin, als besagte Musiker noch in die Hosen schissen. Und 1996 war auch das letzte Mal, dass ich meinen guten alten (und verrückten) Freund Nigel aus jenem Bolton gesehen hatte. Doch das sollte sich im Mai ändern, als er plötzlich beim Gig der REVEREND PEYTON’S BIG DAMN BAND (unten) vor mir stand. Eine schöne Überraschung und mit das beste Konzert für mich 2013.REVEREND PEYTON ist ein begnadeter Blues-Picker und wird von seiner Frau am Waschbrett (das am Ende des Sets in Flammen stand) und einem weiteren Familienmitglied am Schlagzeug begleitet. Die drei spielen traditionellen Country-Blues
mit Punk- Attitüde und machen richtig Spaß. Dazu kam noch, dass das Konzert in der Halle einer Kirchengemeinde eines Kaffs in den Hügeln Lancashires stattfand. Dort hatte sich das ahnungslose Publikum örtlicher Jazz- und Blues-Liebhaber brav an den Tischen vor der Bühne niedergelassen, um dann von diesen drei Verrückten weggeblasen zu werden. War genial. Ohne Bestuhlung ging es dagegen bei meinem einzigen nicht-britischen Gig 2013 zu. Bestuhlung wäre auch Quatsch gewesen, denn die Show war restlos ausverkauft.Die JON SPENCER BLUES EXPLOSION (0ben) war nämlich in town. Ich musste im April in Stockholm arbeiten und hatte an jenem Samstagabend frei, aber keine Eintrittskarte. So habe ich zwei Stunden in Eiseskälte vor dem Laden verbracht, bis mir endlich jemand ein Ticket abtrat. Ohne Aufschlag, alter Schwede! Es war super, endlich im Warmen zu sein und ein hervorragendes Set mitzuerleben. Ein echtes Highlight.
Beim Thema Bestuhlung fällt mir noch was Schönes ein. Beim „Shitkickers Ball“ in Wigan im November traten die immer guten EPILEPTIC HILLBILLYS auf. Das ist an sich schon schön (siehe „Bedlam Breakout“ hier). Aber
besonders erfreulich war es, dass Sänger Billy, der erhebliche gesundheitliche Probleme hatte (Herz-OP) und nach wie vor angeschlagen ist, zum ersten Mal wieder ein ganzes Set im Stehen spielen konnte und sich nicht des Hockers hinter ihm bedienen musste. Außerdem gefielen mir bei diesem Gig die MOONSHINE STALKERS (oben) aus London. Wer sich für frischen Psychobilly interessiert, sollte sich die mal rein tun.Was ganz anderes wurde mir im November in der „Retrobar“ in Manchester (wo ich vor Ewigkeiten einige Male DJ war) geboten, und zwar eine Show gänzlich ohne Gitarre, Bass oder Schlagzeug. VINCE RIPPER AND THE RODENT SHOW (unten)
sind ein Duo, bestehend aus Rodent, der für Mixen, Samplen, Soundeffects, etc. zuständig ist, und Sänger Vince, der früher bei ALIEN SEX FIEND tätig war. Das Set besteht in erster Linie aus Liedern der CRAMPS, die abgewandelt und visuell atmosphärisch dargeboten werden. Und da Lux ja selber nicht mehr kann, ist das schon mal nicht schlecht. Angereichert ist das Ganze dann noch mit Zutaten von u. a. ALIEN SEX FIEND, THE SONICS, LINK WRAY und ergibt eine äußerst unterhaltsame Rock’n’Roll-Horrorshow.Neben den beiden „Bedlam Breakouts“ mit Highlights wie THE STRINGBEANS (hier) war mein intensivster Konzerttag letztes Jahr der 7. Dezember. Volles Programm: Erst einmal eine Nachmittagsshow (!) im „Star and Garter“, einer
Konzertkneipe hinter dem Piccadilly-Bahnhof in Manchester. Die sollte eigentlich abgerissen werden, um Platz für neue Hochhäuser zu schaffen, konnte aber im letzten Moment gerettet werden. Dort traten die Amerikaner LARRY AND HIS FLASK (oben) auf. Im Vorprogramm gab es JIMMY ISLIP & THE GHOST (verpasst), THE RETROSPECTIVE SOUNDTRACK PLAYERS (in Ordnung) und CRAZY ARM (guter, dunkler Country-Indie-Punk, manchmal ein bisschen wie BLOOD ON THE SADDLE).Und dann halt LARRY AND HIS FLASK, die mich absolut umgehauen haben. Zottelige, ungewaschene und bärtige Hippies, die Bluegrass-Punk mit 110 Prozent Energie spielen und dazu noch interessante und eingängige Lieder schreiben. Das Publikum im ausverkauften Laden ging entsprechend mit, lobenswert angesichts der frühen Stunde, und irgendwann wurde ich sogar dazu genötigt, Teil einer menschlichen Pyramide vor der Bühne zu sein. Mein Rücken hat sich gefreut. Hier ein Clip von jenem denkwürdigen Gig:
Nach diversen Kneipenstopps ging es abends dann in der „Ruby Lounge“ mit THE URBAN VOODOO MACHINE (unten) weiter. Leider war dieses Konzert bei weitem nicht ausverkauft, aber das war mir zu jenem Zeitpunkt egal.
Wie gesagt, diverse Zwischenstopps… Die Voodoomaschine kam an Larry und seine Flasche zwar nicht mehr ran, aber auch ihr Gypsy-Blues-Punk- Jazz-bla-bla-bla machte Laune. Da konnte ich es auch vertragen, dass der Orgel- und Akkordeonspieler mir vom Podest aus einen Fußtritt gegen die Stirn verpasste. Er fand es wohl nicht so lustig, dass ich ausprobieren wollte, was passiert, wenn man verschiedene Stecker auf der Bühne aussteckt. Hm, nüchtern betrachtet hat er natürlich recht. Trotz meiner versuchten Sabotage ging die Show dieser Band mit zwei Schlagzeugern (einer mit grüner Haut) aber erfolgreich zu Ende. Die URBAN VOODOO MACHINE hat übrigens gerade eine Single zusammen mit Wilko Johnson, dem legendären Gitarristen von DR. FEELGOOD veröffentlicht. Bei Johnson war im Januar Krebs diagnostiziert worden, und man gab ihm damals noch zehn Monate zu leben. Aber er weilt augenscheinlich noch unter uns. Was man nicht von Torr Skoog sagen kann, dem Frontmann der KINGS OF NUTHIN‘, mit dem der Rock’n’Roll im Juni einen großartigen Performer verloren hat. Auch das war 2013, leider.So, das war nicht alles, was ich letztes Jahr gesehen habe, aber so ungefähr meine Highlights. Obwohl: Das absolute Top war kein Konzert, sondern das Treffen der kompletten Rockstage-Riot- Crew in Frankfurt-Bockenheim im Juni! Ich erhebe mein Glas auf Euch, alle Leserinnen und Leser dieses Blogs und das neue Jahr. Cheers!
Jan/Rockstage-Riot-Team
Fotos: Jan (14), Ami Kaye (1)
Clips: am Konzertabend aufgenommen von bgrrrlie (oben), Nick Heald (unten)