Frankfurt, 3.01.2015
Und weiter geht’s mit dem dritten Teil unserer Rückblicke auf das Konzertjahr 2014. Die folgenden Ausführungen stammen von Micha:
Eigentlich wollte ich gesundheitsbedingt ein wenig kürzer treten dieses Jahr, aber leider haben mir die Veranstalter im Rhein/Main-Gebiet diesbezüglich ein paar Knüppel zwischen die Rheuma- verseuchten Beine geworfen. Letztlich war ich an 53 Abenden unterwegs und habe, wie üblich, darüber hinaus auf so einiges verzichtet, was das Zeug hätte, in einer Jahresbestenliste zu erscheinen.
Bild oben: Mr. Uli Jon Roth, aufgenommen am 7. Januar 2014 im Colos-Saal in Aschaffenburg, bearbeitet 12/2014 (Klick zum Vergrößern)
Da wären z. B. SÓLSTAFIR zu nennen, die im November das Frankfurter Nachtleben erlesenst beschallten während ich, Jünger dieser Combo aus Island seit nunmehr fast vier Jahren, keinen Kilometer Luftlinie entfernt vom Ort der musikalischen Verzückung dem 50. Geburtstag eines Schulfreundes beiwohnte, bei dem es nicht mal gescheites Bier gab. Ich weiß, jammern macht mich zum Assi und ich bin unendlich dankbar für die wenigen Freunde in meinem Leben, aber trotzdem: Fuck! Hätte das nicht einen oder zwei Tage vorher oder nachher geschehen können? Aus ähnlichen Gründen spielten BEHEMOTH mit den begnadeten Youngstern IN SOLITUDE ohne mich; letztere toppten den Ärger mit einer weiteren Tour später im Jahr, die sie mit den ebenfalls von mir verehrten BEASTMILK absolvierten, sehr großflächig das Rhein/Main-Gebiet dabei umfahrend. Fuck again!
Aber das Glas kann ja auch halb voll sein statt halb leer. Insbesondere metalmäßig will ich mich nicht beschweren, hatte ich doch extremen Spaß bei OVERKILL, NOCTURNAL, RIVERSIDE, PRONG, MACHINE HEAD (trotz saublöder Vorbands) sowie KREATOR mit SODOM. Auch ARCH ENEMY, vorher jahrelang von mir ignoriert, machten mich live zwei Mal ziemlich glücklich. Das waren alles solide und meist überraschungsfreie Events vom Feinsten, zum Niederknien waren für mich aber vor allem vier Abende, die ergebnisoffen begannen:
Konzerte
Auf Platz 4 steht der englische Folkfiedler und Singer/Songwriter SETH LAKEMAN, den ich erst durch die Vorankündigung der Brotfabrik kennenlernte und der am 1. April so mitreißend zum Tanz lud, dass jeder Freund der POGUES seine Freude gehabt haben könnte. Naja, fast. Profis, die ihn schon mehrmals sahen waren weniger angetan als ich, für mich war das aber alles neu und dementsprechend begeistert verließ ich den Laden in Frankfurt-Hausen.
Seth Lakeman in der Brotfabrik, 1. April 2014, mehr
Ähnlich verhielt es sich mit Platz 3. Obwohl mir der Künstler schon bekannt war, ich scherte mich nur vorher nicht um ihn: ULI JON ROTH spielte im eher ereignisarmen Januar im Colos-Saal und erinnerte mich an die verdrängte Tatsache, dass es von den SCORPIONS ein paar Alben gibt, die echt klasse sind.
Uli Jon Roth im Colos-Saal, Aschaffenburg, 7. Januar 2014, mehr
Auf einem SCORPIONS-Konzert merkt man davon leider nicht mehr viel, glaubt mir: Ich habe es versucht, 2010, als sie ihren immer noch nicht final vollzogenen Abschied einleiteten. Taugte nix. Uli schon.
Platz 2, Herrschaften, an die gesetzlose Dunkelheit, das hingebungsvolle, kreative Böse; sei es mit einem heftigen Dachschaden gesegnet oder einfach nur von einem anderen Planeten kommend: WATAIN im leider inzwischen nicht mehr existenten Steinbruch-Theater enttäuschten mich in keinster Weise; auch, wenn ich auf den Weihrauch und das Schweineblut verzichten kann. Aber wenn’s hilft bei der Selbstfindung ist es mir auch recht. Alle Alben seit 2006 sind in meiner Welt anbetungswürdig und live war alles in sich stimmig und zu 100 Prozent überzeugend.
Watain im Steinbruch-Theater, Mühltal, 23. März 2014, mehr
Ich muss das Weltbild der Schweden nicht teilen um dessen künstlerische Aufarbeitung genießen zu können. Diese offeriert einen Blick in eine Welt, die mir ansonsten verschlossen bleibt und das empfinde ich als wertvoller, als zum 15. Mal bei OVERKILL „Rotten to the Core“ mitzugröhlen. Obwohl das natürlich auch eine feine Sache ist, wie bereits beschrieben.
Als Klimax diesbezüglich der Auftritt von Nicolas Jaar und Dave Harrington aka DARKSIDE im Juli in der Batschkapp.
Darkside in der Batschkapp, 14. Juli 2014, mehr
Ist es Jazz? Rock? Avantgarde? Scheißegal. Das Duo improvisierte über die ein Jahr vorher veröffentlichten Songs, empfahl sich damit in der Tradition eines von Jimi Hendrix beeinflussten Miles Davis Anfang der Siebziger Jahre mit modernen Mitteln und löste sich danach (erstmal) auf. Schön, dass das in Frankfurt stattfand. Mein Konzert des Jahres.
Clubs
Im Gegensatz zu Kollege Marcus hielt ich mich sehr oft im Nachtleben auf. Die entspannte kleine Schwester der Batschkapp bietet, ebenso wie die leider bald schließende Räucherkammer des Schlachthofs Wiesbaden, das Bett, die Brotfabrik und das Zoom in Frankfurt Raum für die Bands, die es in die großen Hallen noch nicht geschafft haben, ihre Zeit dort hatten oder niemals da ankommen; und das rauchfrei. Deswegen sind das alles meine Lieblingsplätze; auch weil ich da meist problemlos fotografieren darf.
Die Brotfabrik führt wegen der Bierauswahl, bietet meinen krachsüchtigen Ohren aber seltener etwas an als die anderen erwähnten Clubs. Am allerliebsten halte ich mich jedoch im Colos-Saal in Aschaffenburg auf: Die Bandauswahl ist für Rock-, Blues- und Metalfans mehr als solide, das Bier erstklassig und Fotos durfte ich bisher auch immer machen. Die Kneipe im Nachbarhaus mit Flammkuchen und Burgern rundete den Trip nach Aschaffenburg stets zufriedenstellend ab, aber da gab es Veränderungen, die erst noch begutachtet werden müssen. Hoffentlich bald.
Auch, wenn es hier platzmäßig an die Grenzen geht, muss ich Euch noch etwas erzählen, was mich livetechnisch dieses Jahr sehr beschäftigt hat. Ich nenne es den DRAKE-FAKTOR.
DRAKE ist ein R&B-Künstler aus Kanada, der im Februar in der Festhalle spielte. Mein einziges Konzert in so einer fetten Halle, weil dieses Jahr weder SPRINGSTEEN noch BLACK SABBATH oder METALLICA vorbei schauten. Ich habe eine Schwäche für Hip Hop und modernen R&B, ohne darin so firm zu sein wie im Gitarrenrock. Gerade elektonische Sounds von Künstlern wie JAMES BLAKE, SOHN, BANKS oder der im Vorprogramm von DRAKE auftretende THE WEEKND gefallen mir sehr, weswegen ich die Gut‘ Stubb‘ aufsuchte an diesem Tag trotz des Kacksonds, der dort vorherrscht und bei dieser Musik mehr zum Tragen kommt als bei AC/DC.
Publikum in der Festhalle
Ich sah keinen Grund mich zu verkleiden, mein zu enges OVERKILL-Shirt umspannte meinen Bierbauch, während ich meine Runden durch die Halle drehte, vergeblich Ausschau haltend nach bekannten Gesichtern. Der Bierverkäufer fragte mich, ob ich mit meinen Kindern hier sei und war mehr als irritiert, als ich THE WEEKND als Grund meines Erscheinens angab. Menschen, die meine Enkel hätten sein können schauten mich angeekelt an oder ließen sich mit mir zusammen fotografieren, für welch zweifelhaften Verwendungsgrund auch immer.
Konzertplakat Drake & The Weeknd, Februar 2014
Erstmals bemerkte ich, dass ich beim Besuch eines Konzertes eine unsichtbare Grenze überschritten hatte: Ich war hier der Exot und gehörte nicht hin, bei Metal-Konzerten erlebe ich sowas (fast) nie, nur bei AGRYPNIE im Elfer schauten mich die Menschen an der Kasse ähnlich entgeistert an. SOHN war auf Tour, BANKS spielte im Gibson, und ja, eigentlich hätte ich mir das auch ganz gerne live angeschaut, aber ich hatte nach dem DRAKE-Abend doch die Befürchtung, mich hier zum Horst zu machen. Wie werde ich das 2015 handhaben? Keine Ahnung. Zuhause genieße ich meine 2014er Lieblingsplatten „Ótta“ von SÓLSTAFIR und „Russisch Roulette“ von HAFTBEFEHL (so ein arschgeiles Aggro-Album vom Allerfeinsten. Mittlerweile geadelt durch mehrseitige Stories in Spiegel, ME, Rolling Stone und Spex, also braucht Ihr nicht nur mir zu glauben. Könnt Ihr aber.) und werde sehen, was davon live besucht wird und was nicht. Und danach Ihr, wenn Ihr mögt.
Micha/Rockstage-Riot-Team
Fotos: Micha (7), Marcus (1), Kai (1)
Wie war Euer Konzertjahr 2014? Welche Bands haben Euch am besten gefallen? Gebt uns Feedback und postet Eure Kommentare…