Jahres-Roundup 2015 – Teil #1

Frankfurt, 21.12.2015

The Urban Voodoo MachineKein abgelaufenes Jahr ohne Rückblick. Die Fernsehsender machen das, die Printmedien und wir vom Rockstage- Team bilden da auch keine Ausnahme. Ein Jahr ist lang, und es war wieder einiges los in der Rhein/Main-Region, sowohl was die Konzerte als auch die Clubszene betrifft. Deswegen unterteilen wir unsere Roundups, wie schon in der Vergangenheit, auch diesmal wieder nach diesen beiden Stichpunkten. Im ersten Teil unserer kleinen Serie beschreibt Stefan seine Eindrücke zu 2015.

Bild oben: Paul-Ronney Angel (The Urban Voodoo Machine), aufgenommen am 13. November 2015 in „Das Bett“ in Frankfurt, bearbeitet 12/2015

Wieder ein Jahr näher an der Rente, wieder an zahllosen Abenden das wunde Gehör gequält, 2015 ist in Kürze Geschichte. Um hier beim Schreiben in den Flow zu kommen, fange ich wie immer mal mit dem statistischen Teil an:
94 Bands habe ich bisher an 56 Konzertabenden in und um Frankfurt herum gesehen, ein paar werden bis Silvester noch folgen. Vieles, aber längst nicht alles, hat gefallen, dazu später mehr im Rahmen einer kleinen, höchst subjektiven Hitliste. Des Weiteren habe ich im alten Jahr versucht, mich mal abseits meiner ausgetretenen Pfade Richtung Au, Exzess, Das Bett oder dem Elfer zu bewegen, andere Plätze für mich zu entdecken, auch wenn es die natürlich nicht erst seit gestern gibt.

Konzerte

So bin ich zum Beispiel häufig Gast in unserer Nachbarstadt Offenbach gewesen. Da waren zum einen die Shows im Hafen 2, die im Sommer und Herbst open-air auf einer kleinen Bühne direkt vor der Kulisse des Mains und der vorbei ziehenden Schiffe stattfanden. Für das Publikum standen sowohl Garten- als auch Liegestühle bereit, man konnte aber auch vor dem Podest stehen oder sich Hafen 2auf die sattgrüne Wiese legen. Die Bandauswahl passte, meist

Konzert bei Dämmerung im Hafen 2

chillig-ruhige bis maximal Midtempo-Acts, und das alles für lau, bzw. einen Obolus in den herumgereichten Klingelbeutel. Tolles Flair, besonders bei hereinbrechender Abenddämmerung, bevor dann für das anschließende Freiluftkino noch die großen Gartenfackeln angezündet wurden. Sollte das Konzept 2016 beibehalten werden, werde ich mich dort ganz sicher wieder einfinden.

WaggonZum anderen in Offenbach beheimatet ist der Waggon am Kulturgleis, den ich 2015 erstmals,

Publikum im Waggon

aber dafür mehrmals (u. a. bei SCIENCE FICTION ARMY, JOHNNY TORPEDO’S ROCKIN SHANTY SHOW), besucht habe. Dort finden die Konzerte, die übrigens ebenfalls gratis (oder besser: gegen Spende) veranstaltet werden, in einem Eisenbahnwaggon statt. Auch dort lässt es sich vor und nach den Shows hervorragend sitzen und zum ganz fairen Kurs trinken, Blick auf den Main wie im Hafen 2 inklusive.

Hausboot VenusDer dritte Ort am Main, den ich nach über zwölfjähriger Abstinenz wieder

Hausboot Venus

gern und öfter aufgesucht habe, ist das Hausboot Venus in Höchst. Dort spielen einmal im Monat auf engstem Raum im Unterdeck Bands auf. Ich habe mir einige angesehen, absolutes Highlight von fünf Konzertabenden waren die Jungs von ROCKFORMATION DISCOKUGEL, die eine prächtige Show ablieferten. Auch der Gig von REVEREND SCHULZZ war herausragend, die Musik passte einfach genau zur Atmosphäre im Schiffsbauch.

MimikokoWeitere Locations der „anderen“ Art waren einmal mehr das „Koblenzer Straßenfest“ (für

Mimikoko auf der Koblenzer

Auswärtige: Das Fest in der Koblenzer Straße im Frankfurter Gallusviertel), wo mir der Auftritt des Duos MIMIKOKO außerordentlich gefiel: Da stand ein Saxophonist in Badeschlappen auf der Straße, sein Kompagnon hinter ihm am Kontrabass, die beiden improvisierten Hacke Peterswas das Zeug hielt. In dieser Form noch nie gesehen und höchst spannend mitzuerleben. Gelungen fand ich auch das Open Doors-Festival Mitte Juli in Neu-Isenburg, auf dem sich zahlreiche Bands an drei

Hacke Peters bei Fritz deutschlanD e.V.

Tagen auf mehreren Straßenbühnen (Top: THE SWIPES) und diversen Kneipen (mein Favorit hier: WOLF SCHUBERT K. & THE SACRED BLUES BAND im Schummerlicht) präsentierten. Ebenfalls Spaß machte die Rödelheimer Musiknacht Ende Mai; die Combos im Keller bei Fritz deutschlandD e.V. (u. a. K.O.D., HACKE PETERS und SIGURA) ließen wie schon im Vorjahr nichts anbrennen.

AdictsNeben all den „neuen“ alten Plätzen bot das zu Ende gehende Jahr natürlich auch an

Adicts im Zoom

allen bekannten Referenzzentren für Punkrock, Hardcore und Psychobilly tolle Gigs. Stellvertretend genannt seien hier SUBHUMANS, SWINGIN’ UTTERS und THE FREEZE in der Au, FRONT und STAGE BOTTLES im Exzess, THE ADICTS im Zoom, MAD SIN, DEMENTED ARE GO und die HELLNIGHTS in Das Bett Adictssowie TEENAGE BOTTLEROCKET im Elfer. Auch der Dreikönigskeller hielt u. a. mit BLUE ROCKIN’, REVEREND DEADEYE, den OUTCASTS und den WHISKEY DAREDEVILS wieder diverse Perlen der abendlichen Unterhaltung bereit. Was stach nun für mich aus der Masse von fast 100 Shows 2015 heraus? Völlig subjektiv bewertet sind das die folgenden sechs Konzerte:

SIBERIAN MEAT GRINDER in der Au, 19. Juli

Siberian Meat GrinderDie Russen von SMG traten im Vorprogramm von MDC auf. Obwohl man nicht sagen kann, dass sie die Amerikaner an die Wand gespielt hätten (denn die waren auch ziemlich gut), ging doch von dem Gig eine ganz besondere Dynamik aus – dank zweier Maskenmänner mit Camouflagehosen, die auf dem Podest dermaßen Alarm machten, dass man nur staunen konnte. Live war der Crossover-Act zwischen Hardcore, Metal und Rap eine Macht und absolut sehenswert (mehr hier). Meine Nummer 6.

TERESA BERGMAN TRIO in der Fabrik, 26. November

Teresa Bergman TrioWas diese Frau aus ihrer Stimme herausholt, ist unglaublich – sie kann Folk, Blues, Soul, Chanson und, falls sie das wollte, vielleicht auch noch Oper. Ich sah die 28-jährige Neuseeländerin erstmals bei der Bahnhofsviertelnacht 2014 auf der Bühne von Cream Music, am gleichen Abend dann nochmal als Straßenmusikantin, vor ihr ein Teresa Bergman TrioSpendenhut. Inzwischen macht sie mit zwei kongenialen Mitstreitern an Schlagzeug und Bass mittelgroße Clubs voll und es würde mich wundern, wenn das in Berlin ansässige Trio nicht weiter durchstarten würde. Deswegen: Anschauen, bevor die Karten das Fünffache kosten… Rang 5.

KRAFTWERK in der Jahrhunderthalle, 1. Dezember

KraftwerkAuch wenn meine Rockstage-Kollegen da anderer Ansicht sind, für mich gehörte der Auftritt des Quartetts aus Düsseldorf zu den Höhepunkten des Konzertjahres. Toller Sound, klasse Atmosphäre (tausende 3D-Brillenträger, die in eine Richtung starren, sehen schon lustig aus) und – zumindest auf dem Oberrang – prima Sicht auf die Animationen, die da durch die Lüfte schwirrten. Für mich war das erstklassiges Entertainment und ich habe es genossen (mehr hier). Mein Platz 4.

THE WORLD/INFERNO FRIENDSHIP SOCIETY im Schlachthof Wiesbaden, 24. Juni

The World/Inferno Friendship SocietyMusiker-Kollektiv zum Ersten: Die Damen und Herren aus New Jersey rund um Frontmann Jack Terricloth (Mitte) sind ein regelmäßiger Gast auf deutschen Konzertbühnen und haben nicht nur hierzulande viele Fans. Zu Recht. Was bei den Auftritten des (diesmal achtköpfigen) Punk-Rock-Jazz-Klezmer-Ensembles geboten wird, rechtfertigt das Prädikat Extraklasse und damit einen Platz auf dem Podium meiner diesjährigen Wahl der „Top of the Pops“ (mehr hier). Bronze.

URBAN VOODOO MACHINE in Das Bett, 13. November

The Urban Voodoo MachineMusiker-Kollektiv zum Zweiten: Zu siebt kam, sah und siegte die Londoner Ausnahme-Kapelle in Das Bett. An jenem Abend, als in Paris 89 Konzertbesucher hinterrücks niedergemetzelt wurden, ließ sich das Frankfurter Publikum begeistern von dieser vielseitigen, kreativen Truppe, die ihren Stil selbst als „Bourbon Soaked Gypsy Blues Bop ‘n’ Stroll“ bezeichnet. Ein Potpourri zwischen Musik, Theater, Zirkus und Jahrmarkt (mehr hier). Phänomenal. Rang 2.

SNIFFING GLUE beim Au-Sommerfest, 6. Juni

Sniffing GlueDieser Gig hat mich von Anfang bis Ende gekickt. Frontmann Marcel ist auf der Bühne einfach ein Tier. Seine Mitstreiter auch. Sie haben ein Maß an Energie, das seinesgleichen sucht und damit automatisch das Publikum mitreißt. Bester Anschauungs- und Nachhilfeunterricht für alle Bands, die glauben, sie Sniffing Gluewürden sich auf der Bühne schon genug austoben. Klickt mal die beiden Bilder groß, dann wisst Ihr, was ich meine (mehr hier). Für mich Platz 1 und das Top-Konzert des Jahres 2015!

Clubs

Was das Thema Clubs angeht, so wird 2015 als Katastrophenjahr in Erinnerung bleiben: Im Februar wurde die alte Batschkapp in Frankfurt-Eschersheim endgültig platt gemacht, im Sommer schloss einer der besten Läden, das Neglected Grassland, in der Innenstadt seine Pforten und Ende 2015 Neglected Grasslandmacht auch noch der Dreikönigskeller in Sachsenhausen dicht (lest dazu auch den Beitrag hier). Im gleichen Stadtteil gingen im Herbst in meiner Lieblingslocation für die späten Drinks, der Dribbdebar, die Lichter für immer aus. Und im Ponyhof, einst Garant für tolle Clubkonzerte, finden inzwischen fast nur noch Studentenpartys statt, weil damit mehr Geld zu verdienen ist. WTF?? Das kann doch alles nicht wahr sein…

Das BettErfreulich ist hingegen, dass der Frankfurter Club „Das Bett“ nach einer neuerlichen

Eingang von „Das Bett“

Spendenaktion weitermachen kann und dass sowohl die Räumlichkeiten der „Art Bar“ als auch der „Alten Liebe“ sich nach den jeweiligen Umzügen ganz gemütlich präsentieren (ich vermisse trotzdem den verquarzten Raucherraum, draußen schmauchen ist nicht dasselbe). Neu aufgemacht hat das „Tiefengrund“; für Konzerte finde ich es nur bedingt Graffiti am Schlachthof Wiesbadengeeignet, die DJ-Abende sind zu empfehlen. Auch die neue Location des Wiesbadener Schlachthofs, genannt „Kesselhaus“, kann man durchaus als gelungen bezeichnen.

Graffiti an der alten Halle am Schlachthof Wiesbaden, Juni 2015

Mein Dank geht besonders an alle Verantwortlichen im Frankfurter Exzess, die in diesem Jahr mit viel Schweiß und Mühen notwendige Sanierungsarbeiten durchgezogen haben, um die Bockenheimer Institution weiter am Leben zu halten. Die gut besuchte, große Soliparty Anfang Dezember mit Konzert der STAGE BOTTLES und einigen DJs hat hoffentlich die Erwartungen erfüllt. Kompliment auch an die Macherinnen und Macher der Au, die ebenso mit viel Herzblut Non-Profit-Konzerte veranstalten und ein tolles Sommerfest auf die Beine gestellt haben.

Mein Respekt gilt all jenen, die sich trotz der immer schlechter werdenden Situation in Frankfurt nicht bange machen lassen und weiter gute Bands in die Stadt holen. Und ich appelliere an alle Musikfreunde, sich diese Shows anzusehen, damit das künftig so weitergehen kann. In diesem Sinne wünsche ich allen Besucherinnen und Besuchern dieses Blogs alles Gute für das neue Jahr. Kriegt den Hintern auch 2016 wieder hoch, wir sehen uns im Pit!

Stefan / Rockstage-Riot-Team
Fotos: Stefan (7), Kai (7), Micha (1), Marcus (1)
Fotos (Teresa Bergman Trio): Detlef Kinsler, http://www.detlef-kinsler.de/
Fotos (Sniffing Glue): Boris Schoeppner, http://www.borisschoeppner.de/

Wie war Dein Konzertjahr 2015? Welche Bands haben Dir am besten gefallen? Gib uns Feedback und schreibe einen Kommentar…

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