Frankfurt, 26.12.2015
Und hier kommt bereits der zweite Teil unserer Rückblicks-Reihe auf den sich dem Ende zuneigenden Jahrgang 2015. Diesmal bewertet Micha die vergangenen zwölf Monate im Rahmen eines Rankings seiner Top 6-Konzerte, macht sich ein paar Gedanken über die Veränderungen der Clubszene in unseren Breiten und verrät uns zudem noch seine „neue“ Lieblingslocation. Am Ende des Posts könnt Ihr – wie übrigens bei allen anderen Roundups auch – selbst Kommentare abgeben. Nutzt sie, wir freuen uns über Feedback.
Bild oben: Steve Moss (The Midnight Ghost Train), aufgenommen am 11. März 2015 in „Das Bett“ in Frankfurt, bearbeitet 12/2015 (Klick zum Vergrößern)
Im Gegensatz zum Kollegen Stefan tummel(t)e ich mich weit weniger an Plätzen, um zu chillen und dabei gepflegt Musik zu genießen von Menschen, die vielleicht sogar aus der Nachbarschaft kommen. Deswegen hier keine Bilder von Shows vor Sonnenuntergangskulisse oder launigen Straßenfesten – wenn sowas ansteht, wird zuhause Kraft getankt für die Phonschlachten am Abend. Der Patronengurt verziert mit Bierpullen, so es denn vernünftiges gibt (kein Becks, nein. Ich spreche von Bier.). Die Kamera, wenn möglich, auf Augenhöhe; dazu ein paar ungelenke Bewegungen, soweit es das Alter noch zulässt und ein debiles, glückliches Grinsen am Gemäul: Ja, so sieht für mich ein gelungener Konzertabend aus. 51 Mal habe ich dieses Jahr versucht, diesen Zustand zu beschwören, einmal steht noch aus. Ein paar Mal schwächelte ich beim Versuch. Übrig und in besonders guter Erinnerung bleiben diese Abende:
Konzerte
Platz 6: ZUGEZOGEN MASKULIN im Zoom, 8. April
Hip Hop höre ich schon seit GRANDMASTER FLASH, aber immer nur ab und an und mit großen zeitlichen Lücken. Dass Deutschrap 2015 das kommerzielle Ding der Stunde ist und es in diesem zig verschiedene Unterströmungen gibt, habe sogar ich irgendwann mitbekommen und die Klasse von 2015 (und von kurz davor) mal angecheckt. Viel Scheißdreck dabei, vieles, was ich nicht verstehe und einiges, was ich „feier“. ZM sind jetzt (noch) nicht das Duo, das die fetten Hallen füllt – dafür bieten ihre Songs aber einen kritisch-ironischen Blick auf das aktuelle Zeitgeschehen und klingen musikalisch weitaus besser, als es ihre Vorläufer in den Neunzigern taten. „Wir ham viel zu viel, um Euch was abzugeben“ – das kam schon weit vor dem großen Flüchtlingsstrom und bringt die Politik unserer Volksvertreter sowie die Vorbehalte der sogenannten „besorgten Bürger“ schön auf den Punkt. Cooler Abend im Zoom – ZM könnten so fett werden wie K.I.Z. Besser die als andere. Mehr hier.
Platz 5 (stellvertretend für das ganze Langmähnengriffbrettgewichse in Das Bett – oh, wie ich das liebe): COLOUR HAZE, RADIO MOSCOW und THE MIDNIGHT GHOST TRAIN am 11. März
Ja, die „Sky High“-Konzertreihe oder „High In The Sky“, wurscht: Ich will nicht mehr leben ohne sie. Alles unter diesem Banner ist besuchenswert, was waren da für großartige Bands dabei, von denen ich teilweise noch nie etwas gehört hatte (naja, ein paar Stinker gab es auch. Aber wenige). An diesem Abend stimmte alles: TMGT (rechts) rissen bluespunkig ab, COLOUR HAZE am Ende setzten alles verspielt und verspult wieder zusammen. Vom Feinsten. Von anderen, ähnlichen Abenden seien an dieser Stelle noch WUCAN (10.10.) gelobt und FEVER DOG (23.10.) gepriesen. Mehr hier.
Platz 4: JUDAS PRIEST in der Jahrhunderthalle, 18. November
Es gab mal eine Zeit, da waren PRIEST Geschichte. Metal-God Rob Halford spielte vor zweieinhalb Nasen mit seinem dusseligen Pseudo-Industrial Projekt TWO in der Batschkapp (nachdem er vorher mit FIGHT erfolglos PANTERA nachäffte), und JUDAS PRIEST füllten Sporthallen in der Provinz mit dem Halford-Wannabe „Ripper“ Owens. Über Letzteres mag ich nicht spotten, PRIEST taugten auch mit Owens mehr, als man es ihnen heute so zusteht; aber PRIEST ohne Halford ist eben wie Fix ohne Foxi. Seitdem alle Beteiligten das wissen machen sie wieder zusammen Musik, was nicht immer von Erfolg gekrönt ist („Nostradamus“ – autsch), aber auch ein paar coole, neue Songs produzierte. Im Gegensatz zum wahren Rock’n’Roll-Gott Lemmy nimmt Halford auch die wichtigen Auszeiten, um wieder zu Kräften zu kommen und bescherte uns so ausgeruht und stimmstark den Classic-Metal-Klassiker schlechthin in Frankfurt. Was für eine Setlist! Was für ein Abend! Was für ein endgeiles Konzert! Wenn das das letzte PRIEST-Konzert meines Lebens war, dann mag es so sein. Erlesen. Mehr hier.
Platz 3: BLUES PILLS im Schlachthof Wiesbaden, 1. April
Die BP gehören zu den Nuclear Blast-Bands, die sich seit Jahren wund touren. Dass Sängerin Elin an diesem Abend krank darniederlag ist daher zwar verständlich, aber unschön für die erschienenen Gäste. Spätestens als die Formation diesen „Fehler“ gutmachen wollte und ein paar Wochen später noch mal für nen Zehner an selbiger Stelle aufspielte, offenbarte sich die Klasse des improvisierten Miniauftritts am 1. April: Gitarren-Wunderknabe Dorian Sorriaux spielte ein Medley vom Feinsten, riss dabei alle Bandklassiker genial runter und brachte sie auf eine Art und Weise zu Gehör, die man im Normalfall, leider, niemals hört. Damals war ich frustriert – heute bin ich froh, dabei gewesen zu sein. Checkt das Video. Und JEX THOTH waren auch dabei. Mehr hier.
Platz 2: JEX THOTH im Schlachthof Wiesbaden, 23. September
Ich verehre sie zutiefst. Sie hat mich angeschwitzt. ’nuff said. Mehr hier.
Platz 1: THE FLESHTONES in Das Bett, 17. Juli
Obwohl es eine Menge hochklassiger Metal-Events gab in Wiesbaden (TOMBS/BLACK ANVIL, MANTAR) und im Frankfurter Elfer (THE HIRSCH EFFEKT, FLOTSAM & JETSAM), die auch alle in die Top 6 gehören, war für mich das Konzert des Jahres ein Nonmetal-Event: Rock’n’Roll vom Heftigsten und Spaßigsten mit THE FLESHTONES, die ich 1989 zweimal sah, danach aber nie wieder. Der Auftritt im Cookys am 7. August 1989 brannte sich in meinen Kopf ein als Empfehlung für die Ewigkeit – an dieser großen Bürde scheiterten die Herren aber anno 2015 nicht. Im Gegenteil. Ich zehre jetzt von diesem fulminanten Gig und empfehle Euch, die Band zu sehen, wo Ihr nur könnt. Mehr hier.
Clubs
Beim Jahresrückblick 2012 schrieb ich noch, dass meine musikalische Schnittmenge mit der Batschkapp die größte ist und das wohl auch immer so bleiben wird. Pustekuchen. Meine neue Batschkapp heißt Das Bett. Das liegt zum Teil daran, dass die Vergrößerung der Kapp Namen offeriert, die mich
Theke in
Das Bett
seltener interessieren (und wenn ich mal da war, dann bei Konzerten wie KADAVAR oder ARCH ENEMY, bei denen ein großer Teil der Halle abgehängt und damit unpassierbar war) – zum anderen aber auch daran, dass es in Das Bett gegenwärtig eine Vielzahl von hochklassigen Angeboten verschiedenster Stilrichtungen gibt, die auf
Lichtspiele in
Das Bett
einem kommerziellem Level sind, welches mir am meisten Laune macht: Noch nicht groß und unnahbar oder absteigend sein Restpublikum dankbar bedienend. Jetzt, wo auch der Metal Einzug gehalten hat ins Bett- Programm, weiß ich echt nicht, was ich noch woanders will. Fest. Fast.
In zwei meiner Lieblingsclubs aus dem Umland war ich 2015 nicht – weder im
Bar der Räucherkammer
Colos-Saal zu Aschaffenburg noch in der Darmstädter Centralstation. Im sehr verehrten Wiesbadener Schlachthof jedoch unverändert oft – und das Kesselhaus tritt eine Nachfolge der Räucherkammer an, mit der ich ausgesprochen gut leben kann. Zumindest, solange mich da niemand am Fotografieren hindert. Sehr schätze ich auch den Elfer Club in Alt-Sachs, wie Haxensausen
Im Kesselhaus
heute wohl zu heißen scheint. Ein würdiger Nachfolger des Negativ, falls das noch jemand kennt. Dieses wird jedes Mal von mir vermisst, wenn ich Richtung Affentorplatz abbiege. Konzerte wie z.B. AHAB im Elfer verhelfen jedoch endlich zur Verarbeitung des Verlustes.
Und eine Konzertstätte hat es 2015 geschafft, mich an 1992 zu erinnern („The Year When Underground Went Mainstream“ – Spin Magazine) – die Jahrhunderthalle Frankfurt. Fett, was da (vor allem im November) aufgefahren wurde – Robert Plant, JUDAS PRIEST, MOTÖRHEAD, SLAYER, äh – KRAFTWERK (hüstel) – einige davon in der gleichen Woche. Keine Ahnung, was sich die Veranstalter dabei gedacht haben: Zeitgleich liefen im November noch Metalgigs in der Kapp oder im Schlachthof, so dass man als Fan 14 Tage lang (mit einem Tag Pause) auf 16 Konzerte hätte gehen können – liegt das wirklich im Interesse der Veranstalter, sich so übelst um die Pfennige der Willigen zu streiten? Ich kenne so einige, die gerne SLAYER, PRIEST, MOTÖRHEAD,
Jahrhunderthalle
DEEP PURPLE, VOI VOD, IN FLAMES und LAMB OF GOD gesehen hätten (um nur ein paar zu nennen), sich das aber entweder konditionell oder finanziell nicht leisten konnten. Oder beides. LAMB OF GOD fiel dann ja aus, wegen der mordenden Arschlöcher in Paris. Aber das ist eine andere Geschichte. Eine, die hoffentlich nicht wieder erzählt werden muss.
Unterm Strich freue ich mich über das Angebot an Live-Musik vor unserer Haustür und darüber hinaus und verachte jeden Schmock der darüber jammert, dass es „keine interessanten Konzerte mehr gibt“ (neulich auf Twitter). Das Gegenteil ist der Fall. Wollt ihr wissen, was ich alles sonst noch gerne gesehen hätte (und was lief) dieses Jahr? Aaaalsoo….
Micha / Rockstage-Riot-Team
Fotos: Micha (12), Stefan (1), Kai (1)
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