Frankfurt, 16.12.2016
Wie in jedem Jahr beglücken oder penetrieren (ganz wie Ihr das sehen wollt) wir Euch auch 2016 wieder mit unseren Jahresrückblicken. Den Anfang macht diesmal Kollege Micha.
Mal wieder ein Jahr rum. Wieder eines, das extrem saugte, konzerttechnisch aber einen Wahnsinnsspaß machte. Eskapismus? Schon, warum auch nicht. Dass „postfaktisch“ laut der Gesellschaft für deutsche Sprache das „Wort des Jahres“ ist, ist leider treffend und fasst viele gesellschaftliche Probleme gut zusammen. Wir hier bei RRRM sind sowieso streng subjektiv, machen aus diesem Umstand aber keine, wie auch immer gearteten Wahrheiten. Bringen aber trotzdem ein paar Fakten. Ist außerdem eh nur Nebensache, alles hier. Aber eine der schönsten.
Bild oben: RavenEye, aufgenommen am 22. September 2016 im Frankfurter Nachtleben, bearbeitet 12/2016 (Klick zum Vergrößern)
Konzerte
Ich beginne, wie immer, mit den Konzerten. Saugeil live waren 2016: YOB. BLACK MOUNTAIN. RUSSIAN CIRCLES. HAKEN. Trotzdem tat es weh, dass viele von mir favorisierte Formationen das Rhein/Main-Gebiet entweder umschifften oder zu einer Zeit spielten, in der ich anderweitig verpflichtet war: PRIMORDIAL. ESBEN AND THE WITCH. SUBROSA. Bruce Springsteen. SCHAMMASCH. ROTTING CHRIST. DRANGSAL. CASPER (ernsthaft). Und am schlimmsten: NEW MODEL ARMY (zum dritten Mal trotz gekaufter Karte verpasst) und Sophie Hunger (Ich war sogar da, ertrug den Deppen im Vorprogramm und musste dann weg. Fragt nicht.). Ferner BEHEMOTH mit SECRETS OF THE MOON und den umstrittenen MGLA. Geplant für den Wiesbadener Schlachthof, dann wegen politischer Einwände bezüglich MGLA mit einem Auftrittsverbot für eben diese belegt. Shitstorm „besorgter Metalfans“ geerntet. Konzert komplett abgesagt. Konsequent und richtig in meiner Welt. Hätte ich trotzdem gerne gesehen. Köln als Ausweichadresse war dann unter der Woche aber doch ein bisschen weit weg.
Fast alle der oben aufgeführten Künstler haben 2016 auch neue Alben veröffentlicht, die ich nicht mehr missen möchte. Nochmal kompakt: DRANGSAL, SUBROSA, DARKHER, HEXVESSEL, SCHAMMASCH, BLACK MOUNTAIN (rechts) ließen meinen CD-Player glühen. Und Alicia Keys. Unfassbar gute Scheibe. MINOR VICTORIES (mit Leuten von MOGWAI und SLOWDIVE). OPETH. OATHBREAKER. Hört mal rein.
Die beeindruckendsten Momente 2016 habe ich auf folgenden Events verspürt:
Platz 5: KING DUDE (Das Bett, Frankfurt, 24. Februar & Schlachthof, Wiesbaden, 11. August)
In Frankfurt kannte ich ihn noch gar nicht und wollte hauptsächlich die Vorband (DOLCH) sehen, der Auftritt faszinierte aber so, dass ich seine Scheiben hören musste. Im Sommer in Wiesbaden war ich besser gerüstet, einige Konversationen mit dem Publikum machten den Abend erst recht zu einem besonderen. Kumpel Guido (hier zuweilen als Gastautor aktiv) erlebte vorher fassungslos, wie etliche Die-Hard-Black Metaller auf dem Acherontic Arts Festival auf den Nick Cave/Johnny Cash inspirierten (Neo-)Folk des Amerikaners steil gingen. Gutes Timing? Nein, auch spirituelles Gespür. Das teilt der Dude und sein Begleiter Tosten Larson auch mit
Platz 4: EMMA RUTH RUNDLE (Zoom, Frankfurt, 13. September)
Letzterer besuchte sein Herzblatt auf der Bühne des Zoom im Vorprogramm von WOVEN HAND und unterstützte sie ein wenig beim Seelenstriptease über den fast erlittenen Tod und weniger gut verlaufene Beziehungen in der Vergangenheit. Bei aller Liebe zu David Eugene Edwards von WOVEN HAND: Sein Vorprogramm war etwas Besonderes. So besonders, dass das in den USA auch als Support der als Hipster gescholtenen Black Metaller DEAFHEAVEN funktioniert. Oder mit der ebenso morbiden Marissa Nadler. Glückliche USA. War bei uns aber auch nicht verkehrt.
Platz 3: MANTAR (Schlachthof, Wiesbaden, 21. April)
An dem Tag, an dem Prince starb, erhob das großartigste Derbmetalduo der Gegenwart die Pulle Rum auf ihn und zitierte ihn musikalisch, während sie, wie immer, alles niederrissen im Kesselhaus des Schlachthofes. Metal- bzw. Punk-Duos gibt es häufiger in letzter Zeit, ein paar davon durfte ich erleben. Gegen MANTAR stinkt aber nichts an. Gar nichts. Kommt und schaut, wo immer sie spielen, es lohnt sich.
Platz 2: DIRKSCHNEIDER (Halle 02, Heidelberg, 22. April)
Avantgarde-technisch hätte hier auch RUSSIAN CIRCLES stehen können, konservativ gesehen muss man aber den letzten (?) Tourmodus von Udo Dirkschneider mit Songs seiner ehemaligen Band ACCEPT würdigen. Wenn das wirklich, wie versprochen, die letzte Gelegenheit war, aus seiner Kehle Klassiker wie „Fast as a Shark“ oder „Burning“ zu hören. Zwei Stunden altertümliche Metal-Perlen par excellence, dargebracht von einer internationalen Combo, die echt Bock hatte, sich an diesen Klassikern zu versuchen. Dass ANVIL im Vorprogramm spielten, war natürlich auch kein Minuspunkt.
Platz 1: LAIBACH (Batschkapp, Frankfurt, 7. April)
Ihr Auftreten in Nord-Korea mag man komisch finden und ist sicher, bei aller Exklusivität, problematischer zu beurteilen als der völlig sinnfreie von METALLICA in der Antarktis („Hey, wir haben ALLE Kontinente bespielt.“ Schnarch.) Wie die Formation dies aber mit US-amerikanischen Musical-Perlen von „The Sound Of Music“ verband und live umsetzte, war ganz großes Kino.
Clubs
Da hat sich bei mir kaum etwas verändert. Ich bin immer noch Fan des Clubs „Das Bett“, auch, weil der Laden mit seiner Lichtanlage einen Megasprung nach vorne gemacht hat. Aber: Ich bin da im Vergleich zu den Vorjahren kaum noch, weil die ganzen langhaarigen Kiffer-Bands, zu denen ich ein besonderes Verhältnis pflege,
Das Bett
nicht mehr da auftreten. Warum auch immer. Sie tun es jetzt mehr im Colos-Saal Aschaffenburg, im Schlachthof Wiesbaden und, sehr schlimm: Im 7er Club in Mannheim. Ein Laden, der blöderweise in Mannheim ist. Etwas kompliziert bei Konzerten unter der Woche. Für mich. Alles subjektiv hier, aber nicht postfaktisch.
Colos-Saal Aschaffenburg und Centralstation Darmstadt bleiben in meiner „Liebsten-Liste“ wegen des guten Bierausschanks und der fehlenden Repressalien für Fotografen. Trotzdem komme ich leider, trotz tollem Programm, selten nach A’burg ohne Auto und seltener nach Darmstadt, weil da nur noch einmal im Jahr etwas Interessantes für mich läuft. 2016 war das OKTA LOGUE, 2017 wird das THE JESUS & MARY CHAIN. Was für ein Knaller, aber.
Lecker Bier im Nachtleben
Nachtleben Frankfurt. Gemütlich, wenn es nicht ausverkauft ist. Gutes Bier, zumindest oben. Nette Leute. Gute Acts.
Erstmals erlebt habe ich das Café Central in Weinheim, welches mir extrem gut gefällt. Auch nette Bedienungen, saugutes Bier, akzeptable (aber für Frankfurter teure) Verkehrsanbindung. Eine Architektur aber, die bei ausverkauften Konzerten nach Verbesserungen schreit und viel zu wenig Toiletten bietet. Bei dem Bierangebot fatal.
Café Central
Nirgendwo war ich aber so oft und so gerne wie im Wiesbadener Schlachthof, vor allem im dazugehörenden Kesselhaus. Es gab Wochen, da hätte ich gern dort einen Schlafplatz gehabt und Urlaub, weil jeden Tag was Geniales lief. Sogar im Sommer. Da profitieren wir hier vielleicht davon, dass es kaum relevante Festivals in unserer Region gibt. Bis auf das NOAF.
Zum Schluss möchte ich noch ein Thema anschneiden, unter dem ich zu leiden hatte und welches auch ständig in der Musikpresse auftaucht. Es geht um das Mitschneiden von Clips mit dem Smartphone (oder anderem Werkzeug).
Leser von RRRM haben schon bemerkt, dass wir hier häufig Clips von Konzerten posten. Das passt nicht jedem (und wenn ein Künstler das nicht mag oder jemand zu sehen ist, der uns das verbietet, dann lassen wir das auch) – in der Regel wird der Clip jedoch als Indikator für die Klasse des Konzertes gesehen und entscheidet, ob ein Leser das nächste Mal die Band besucht. Recht problematisch sind jedoch zwei Sorten von Beteiligten:
1. Die Handyfilmer oder -knipser ganz hinten. Auf deren Bildern erkennt man eh nichts. Auf dem Display gibt es nur Farbkleckse von der Beleuchtung. Sie blitzen das Haar des Vordermannes. Sie strecken für beschissene Bilder den Arm hoch und versperren damit die Sicht für alle, die noch weiter hinten stehen. Sie können auf ihren Bildern nicht erkennen, ob METALLICA oder die ZILLERTALER SCHÜRZENJÄGER drauf sind. Sie nerven. Alle. Aber es ist ihnen egal. Ich wette, die meisten betrachten ihren Müll nach dem Konzert nie wieder.
2. Die „Experten“, die genau zu wissen scheinen, wie man ein Konzert zu erleben hat. „Genieß doch mal.“ Für diesen endlos wiederholten Spruch, z. B. bei Brian Fallon in der Batschkapp, hätte ich einen Mord begehen können. Ich stehe relativ weit vorn, kompensiere das mit einem Objektiv am Handy, denke, dass das interessant ist für RRRM und muss mir im Minutentakt so eine Scheiße von einem Schmock hinter mir anhören. Sein Genuss ist bestimmt formidabel, bei dem Geschwätz. Aber wie kommt der Depp auf die Idee, mein Genuss würde unter der Tatsache leiden, dass ich hier mitschneide? Sorry folks, it’s 2016. Sowas passiert. Dinge ändern sich. Sein Frühstück zu fotografieren (und zu posten) ist auch kein Hinweis darauf, dass man sich zu oberflächlich mit seinem Essen beschäftigt. Ganz im Gegenteil. Man muss das ja nicht gut finden (ich finde das Geknipse von hinten ja auch Kacke, weil die Bilder einfach Schrott sind), aber wenn einen das nicht stört (wegen hoch gereckter Arme oder so), dann haltet das Maul. Schreibt mir nicht vor, wie ich „genieße“. Das Schlimmste daran ist, das solche Arschgeigen auch noch glauben, sie hätten irgendwas verstanden und würden irgendwelche „Werte“ vertreten. Kretins.
Abgesehen von solchen Kleinigkeiten in der Welt des Rock’n’Roll – und abgesehen vom multiplen Ableben unserer Idole, was in nächster Zeit wohl kaum weniger wird – war 2016 die Wucht und wird es 2017 auch werden. So viel gute Musik in allen möglichen Genres. Wäre schade, wenn wir aus „postfaktischen“ oder aus realen Gründen da auf irgendetwas verzichten müssten.
Micha / Rockstage-Riot-Team
Fotos: Micha
Wie war Dein Konzertjahr 2016? Welche Shows und Bands haben Dir am besten gefallen? Gib uns Feedback und schreibe einen Kommentar…