Frankfurt, 30.12.2018
Der vierte und letzte Teil unserer Rückschau auf 2018 – es folgen die Eindrücke von Marcus.
Alle Jahre wieder ruft der Webmaster die Rockstage-Riot-Autoren zum Rückblick auf, und alle Jahre wieder bietet sich mir dabei das gleiche Problem: Blicke ich nämlich auf das Jahr zurück, so sind es bestenfalls eine Handvoll Konzerte, die mir in Erinnerung geblieben sind. Und das hat nichts mit Hochnäsigkeit oder Arroganz zu tun, sondern schlicht mit der Tatsache, dass ich seit 35 Jahren Konzerte besuche und deshalb vieles gesehen und erlebt habe, das sich einfach nicht toppen lässt. Sicherlich sind viele Live-Gigs solide, viele neue Künstler sehenswert, aber in der Regel verlasse ich ein aktuelles Konzert meist mit dem Eindruck, dass ich Ähnliches vor 20 oder 25 Jahren schon mal besser gesehen habe. Die meisten Bands, die mir etwas bedeuten, gibt es nicht mehr und wenn doch, sind sie des Tourens müde. Viele junge Acts zitieren lediglich bekannte Vorbilder und das, was Live-Konzerte für mich sehens- und erlebenswert macht – der Show-Aspekt – wird in der Regel vernachlässigt, denn als moderner Künstler will man mit seiner musikalischen Darbietung beeindrucken und nicht durch Show-Elemente von dieser ablenken. Aber mal ehrlich: Vielen Künstlern würde ein originelles, markantes, individuelles und in Erinnerung bleibendes Auftreten nicht schaden.
Bild oben: „Blind“ Marky Felchtone von ZEKE, aufgenommen am 16. November in The Cave, bearbeitet 12/2018 (Klick zum Vergrößern)
Zudem beklage ich einen Mangel an echten Frontmännern und -frauen. Wo sind die Lux Interiors, Stiv Bators, Darby Crashs und Wendy O. Williams‘ des neuen Jahrtausends? Wo sind der Enthusiasmus, die Wut im Bauch und das Bedürfnis, aus der Masse herauszustechen und etwas Neues zu schaffen? Ich kann all dies nur bei wenigen Vertretern erkennen. Insofern gab es 2018 für mich lediglich drei Konzerte, die mich vollends überzeugt haben und mir nachhaltig in Erinnerung geblieben sind. Um wenigsten eine Top 5 zu liefern, habe ich meine Auswahl um zwei Gigs ergänzt, die mir zumindest großen Spaß bereitet haben und daher die Plätze vier und fünf belegen.
5. GRUESOME im Dreikönigskeller, Frankfurt, 10. August
Zugegeben, keiner der eingangs erwähnten Aspekte trifft auf die amerikanische Death Metal-Combo GRUESOME zu. Die Jungs sind nicht originell, – tatsächlich führen sie lediglich das musikalische Erbe der längst aufgelösten Formation DEATH weiter – liefern keine exaltierte Show und haben auch keinen imposanten Frontmann. Dennoch war es ein einmaliges Erlebnis, eine derart brachiale und musikalisch kompromisslose Death Metal-Band in dem kleinen Club erleben zu dürfen. Notiz am Rande: Am Tag zuvor hatten GRUESOME vor mehreren Tausend Besuchern beim Party-San Open Air gespielt und staunten daher nicht schlecht, als sie den kleinen Keller betraten.
4. COVEN in „Das Bett“, Frankfurt, 18. Juni
Als erklärter Freund alles Okkulten bin ich bereits seit meiner Jugend ein treuer Jünger der US-Band COVEN, die sich 1967 gründete und mit ihrem Album „Witchcraft Destroys Minds & Reaps Souls“ einen der Meilensteine des Genres veröffentlichte – wohlgemerkt noch vor der ersten BLACK SABBATH-Scheibe. Da sich COVEN 1975 auflösten, hätte ich im Leben nicht daran gedacht, die Gruppe um die inzwischen 68-jährige Frontfrau Jinx Dawson einmal live sehen zu können. Und obgleich der recht biedere, psychedelische Folk-Rock aus heutiger Sicht etwas antiquiert wirkt, so hat mich der Auftritt mit all seinen schrägen Show-Elementen – Jinx entstieg zu Beginn des Gigs einem Sarg – und seiner magischen Atmosphäre doch sehr begeistert.
3. BLOW OUT in der Kulturwerkstatt, Wölfersheim, 21. April
Kommen wir nun zu den drei Acts, die für mich die besten des Jahres waren und die ich mir jederzeit wieder anschauen würde. Den Anfang macht dabei die aus der Wetterau stammende Formation BLOW OUT, die als Headliner der 2018er-Ausgabe des Murder Fests auftrat. BLOW OUT verkörpern all das, was ich an vielen aktuellen Bands vermisse: Die Jungs haben Wut im Bauch, liefern eine extravagante Show und explodieren förmlich auf der Bühne. Ein Konzert von BLOW OUT ist, als ob man eine Dynamitstange in ein vollgekotztes Klo geworfen hätte – ein Erlebnis, das man so schnell nicht vergisst.
2. SVETLANAS in der Au, Frankfurt, 14. April
In meiner Einleitung hatte ich die Abwesenheit von imposanten Frontfrauen bemängelt, die mutmaßliche russische Combo SVETLANAS stellt in dieser Hinsicht jedoch einen Lichtblick dar. Das schätzungsweise 1,60 Meter große Energiebündel Olga Svetlana liefert als Sängerin eine Performance, wie ich sie selten zuvor live erlebt habe. Als explosives Gemisch aus Duracell-Hase, Drill Instructor und angepisster MMA-Kämpferin verwandelte sie das Publikum in der Au in einen tobenden Mob und ließ den Schweiß von der Decke tropfen. Mehr Energie hatte 2018 nur ein Act zu bieten.
1. ZEKE in The Cave, Frankfurt, 16. November
Es gibt Combos, die musikalisch das Rad zwar nicht neu erfinden, aber aufgrund ihrer Energie vom ersten Akkord an wie eine Abrissbirne erscheinen, vor der es für das Publikum kein Entkommen gibt. Neben Gruppen wie ELECTRIC FRANKENSTEIN, 9 POUND HAMMER und den P.R.O.B.L.E.M.S. zählen auch ZEKE zur Gattung des musikalischen Overkills. Die Mannen um Gitarrist/Sänger Blind Marky Felchtone und Bassist Kurt Colfelt zelebrierten im Club The Cave ein 50-minütiges Soundinferno, das ohne Pausen zwischen den Songs und ohne Punkt und Komma dargeboten wurde. Kein anderes Konzert des Jahres 2018 war brachialer, intensiver und mitreißender als das von ZEKE.
Clubs
Abschließend noch ein paar Worte zur Frankfurter Club-Szene: Meine bevorzugten Konzert-Locations sind nach wie vor die Au und das Exzess, weil Besuche hier nicht nur das Konzerterlebnis, sondern auch einen netten Kneipenabend umfassen, im Dreikönigskeller ist es ebenso. Im Exzess vermisse ich allerdings die Grindcore-Gigs, die dort bis vor einigen Jahren noch regelmäßig stattfanden und inzwischen leider durch allerlei Emo-, Screamo oder sonstigen Fingerimpo-Core ersetzt wurden, schade.
Dreikönigskeller, Frankfurt
Ebenfalls schade ist die Tatsache, dass Frank Dietrich nicht mehr „Das Bett“ betreibt und seither dort nur noch Acts auftreten, die ein breiteres Publikum ansprechen und daher für mich in den meisten Fällen uninteressant sind. Doch Frank ist nach wie vor aktiv und veranstaltet nun Konzerte in The Cave, Nachtleben und im HoRsT, Infos hier. Erfreulich ist, dass der Dreikönigskeller sich mehr und mehr großer Beliebtheit erfreut und wöchentlich diverse Events anbietet. Allerdings würde ich es begrüßen, wenn man bei Konzerten lokaler Combos wie den BARSTOOL KINGS oder den COPY CATS, bei denen ohnehin klar ist, dass der Laden aus allen Nähten platzen wird, in andere, etwas größere Locations ausweichen würde, was den Abend
Fassade neben der Kreativfabrik, Wiesbaden
zumindest für die Besucher weniger anstrengend machen würde. Ebenfalls nachteilig finde ich, dass mittlerweile viele Punk-Acts (u. a. DWARVES, T.S.O.L.) im sterilen Wiesbadener Kesselhaus auftreten, wo zumindest solcherlei Gigs weitaus weniger Spaß machen als in der Au oder der gegenüber dem Kesselhaus liegenden Kreativfabrik. In diesem Sinne harre ich mal der Dinge, die da 2019 auf mich zukommen. Prost, wir sehen uns an der Theke!
Marcus / Rockstage-Riot-Team
Fotos: Marcus (2), Stefan (3), Kai (2), Guido (1)
Foto (1): Eric, https://www.flickr.com/photos/vanreem
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