Garage (Saarbrücken), 23.08.2009
Leider sparte Jello Biafra auf seiner kurzen Tour Frankfurt aus, so dass uns nichts anderes übrig blieb, als ein paar Kilometer zu fahren, wollten wir ihn denn live mit seiner neuen Band THE GUANTANAMO SCHOOL OF MEDICINE erleben. Ich fuhr also nach Saarbrücken, während Fotograf Kai sich wegen Terminüberschneidungen am 3. September nach Köln begab, um die Show zu sehen und ein paar Shots der Punk- und Hardcore-Legende zu machen. Nun wollen wir weder den einen noch den anderen Ort ins Rhein/Main-Gebiet verlegen, doch ich denke, ein Ausnahmekünstler wie Biafra rechtfertigt da die Ausnahme, so dass wir in diesem Blog auch einige Zeilen und ein paar Fotos anbieten können.
Der Ex-Frontmann der Kultband DEAD KENNEDYS aus den Achtzigern, später u. a. mit D.O.A., NO MEANS NO, MOJO NIXON, LARD und den MELVINS aktiv, präsentierte mit seinen neuen Kollegen das Debütalbum „The Audacity of Hype“, das im Oktober beim JB-Label Alternative Tentacles veröffentlicht wird.
Mit eingespielt haben es die nicht nur in der amerikanischen Szene bekannten Kimo Ball (Gitarre, u. a. PLAINFIELD), Ralph Spight (Gitarre, u. a. VICTIMS FAMILY), Billy Gould (Bass, u. a. FAITH NO MORE) und Jon Weiss (Schlagzeug).
Die Garage erwies sich als äußerst geräumiges Venue, es hätten aber an diesem (Sonntag-)Abend schätzungsweise doppelt so viele Menschen hineingepasst. Positiv natürlich, dass man ohne Gedrängel bis ganz nach vorn durchdringen konnte, um den Auftritt sozusagen von Angesicht zu Angesicht zu
erleben. Negativ für die Stimmung im Saal, auch wenn man es den Musikern zu keinem Zeitpunkt anmerkte, dass die Zuschauerresonanz doch hätte besser sein können. Anders in Köln ein paar Tage später: Das Underground, wohin der Gig von der größeren Live Music Hall verlegt worden war, war so gut gefüllt, dass Jello sich sogar zum Crowdsurfen hinreißen ließ (siehe Foto oben), in Saarbrücken hätte ihn wohl nur der blanke Boden äußerst unsanft aufgefangen.Bei beiden Shows trug der inzwischen 51-Jährige einen blauen, ich nenne ihn mal wertneutral „Zauberermantel“ (über Geschmack lässt sich streiten) mit Sonne- , Mond- und Sternenmotiven, darunter ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Iraq Veterans Against the War“. Und wie nicht anders zu erwarten, sparte der Sänger nicht nur in, sondern auch zwischen den einzelnen Stücken nicht mit gesellschaftskritischen Parolen und Geschichten rund um die politischen, sozialen und wirtschaftlichen (Miss-) Verhältnisse in den USA im Besonderen und auf diesem Planeten im Allgemeinen.
Diese Intermezzi zur Meinungsbildung (oder doch wohlgemeinter „Nachhilfeunterricht“?) konnten schon mal einige Minuten dauern und man sollte des Englischen fortgeschritten mächtig sein, um Jello bei seinen Argumentationen folgen zu können. Mir gefällt es ja immer, wenn Leute, die was zu sagen haben – und die Punk-Ikone gehört definitiv dazu – mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg halten und mal richtig Tacheles sprechen. Ob Militäreinsätze, Wirtschafts- oder Waffenlobbys, Justiz, Umweltzerstörung oder die bisher noch nicht eingelösten Wahlversprechen von US-Präsident Obama (z. B. die Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo) – alles kam an den Pranger.
Zur Musik: Die besten Stücke des neuen Albums und damit auch des Abends waren für mich „New Feudalism“ (über die Globalisierung und ihre Folgen), „Electronic Plantation“ (über die Ausbeutung von Niedriglohnarbeitern), „Three Strikes“ (über Polizei- und Behördenwillkür), „Strenght Thru Shopping“ (Kritik an der Konsum-, Luxus- und Wegwerfgesellschaft) und „Pets Eat Their Master“. Diese Songs hätten auch den DEAD KENNEDYS zu ihrer besten Zeit gut zu
Gesicht gestanden; sie erscheinen als konsequente Fortführung des einst mit DK beschrittenen Weges, sind ebenso hart, schnell, laut, aggressiv und politisch. Auch die etwas schwächeren Songs fielen kaum ab, so dass wir ein großartiges Set erlebten, in das als i-Tüpfelchen auch das ein oder andere DK-Stück (u. a. „California über alles“ sowie „Holiday in Cambodia“ und „Police Truck“ als Zugaben) eingebaut wurde. Einzige Wermutstropfen waren, dass das Publikum diesmal eben nicht so gut mitgehen konnte, weil ihm die Stücke größtenteils unbekannt waren und dass nicht übermäßig viele Fans den Weg in die Garage gefunden hatten.Abschließend bleibt festzuhalten, dass Jello nichts von seinem Biss verloren hat – die dritten Zähnen lassen noch eine ganze Weile auf sich warten. Auch seine markante Stimme ist gut in Schuss. Der Mann ist lediglich ein bisschen fülliger geworden, aber auf der Bühne nach wie vor ein Performer par excellence. Das Projekt mit THE GUANTANAMO SCHOOL OF MEDICINE hat Zukunft; der neue Tonträger wird ganz sicher einschlagen und weitere Veröffentlichungen nach sich ziehen. Und Themen, über die JB sich auslassen kann, gibt es in unserer Welt eh immer…
Auf http://de.myspace.com/jellobiafraandthegsm könnt ihr ein paar der noch nicht auf Vinyl/CD veröffentlichten Songs hören, Neuigkeiten über die Band werden über die Labelseite http://www.alternativetentacles.com/ verbreitet.
Text (23.8., Saarbrücken): Stefan
Fotos (3.9., Köln): Kai
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