Schlachthof, Wiesbaden, 23.09.2015
Gerade eben musste ich mich durch die grauenvollste Musik durchhören, die ich seit langem an mein Ohr ließ. Anlass dafür war ein wenig Recherche über die Dame, deren Schweiß vor 24 Stunden im Wiesbadener Schlachthof auf mich tropfte und der ich, einmal mehr, verzückt lauschte und zusah, wie sie sich im Fastdunkel zwischen brennenden Hölzern bewegte. Und einem Kult zu frönen schien, den ich nicht verstehe und im Zweifelsfall wohl auch blöd finden würde. Aber bei ihr ist das faszinierend und wundervoll. Queen Jessica aka JEX THOTH war wieder in der Stadt – schon zum zweiten Mal in diesem Jahr, nachdem sie vor den ebenso wunderbaren BLUES PILLS am 1. April schon in der Halle des Schlachthofs für offene Münder sorgte. Dort allerdings eher wegen des Gelächters, das aus ihnen zu vernehmen war. Kretins. Doch ich schweife ab.
Der ganze okkulte Schabernack, das trancehafte Herumgeistern, das Abfackeln der Kerzen und des Palo-Santo-Holzes (Kollege Marcus hat das vor einem Jahr hier schon schön beschrieben) – das kann man doof finden, zugegeben, vor allem als anti-religiöser und anti-esoterischer Mensch. Wenn ich mich mal neben mich selber stelle verstehe ich die ungläubig-amüsierten Blicke, die im April aus dem BLUES PILLS/ TRUCKFIGHTERS-Publikum gen Bühne stierten. Aber die wenigen Eingeweihten, die etwa 80 Personen, die das Kesselhaus am gestrigen Abend nicht nach der Vorband BLÆCK FOX verließen, wissen es besser. Sie wissen, dass sie Zeugen wurden einer leidenschaftlichen Performance mit nonverbaler Kommunikation deluxe. Jex be- und verzaubert, umgarnt, beschwört, segnet und verführt. Und singt nebenbei zum Niederknien.
BLÆCK FOX aus Mainz und Wiesbaden (einige Bilder in der Slideshow unten) wirkten da schon bedeutend bodenständiger. Die Band scheint relativ neu zu sein – Internetauftritte gibt es kaum und die Namen der Akteure bekommt man durch sie auch nicht heraus. Im Frankfurter Klapperfeld spielten sie neulich, ohne mich. Beim nächsten Mal wird das wohl anders ablaufen, denn das Gemisch aus stimmungsvollem Postrock, HC-Attacken und noisigem Hochleistungssport nötigte allen Anwesenden Respekt ab. War eine völlig andere Baustelle als die des Headliners, aber schon ziemlich erlesen. Als nach drei Stücken und 30 Minuten Spielzeit eine Saite des Gitarristen riss und eine kurze Unterbrechung angekündigt wurde, ging das Saallicht an und Postrock aus der Konserve erschallte – eine halbe Stunde ist für einen lokalen Support ja in der Regel ausreichend.
Nach fünf Minuten ging das Licht aber wieder aus und es wurde im besten Sinne weiter gelärmt, dabei immer interaktiv einander zugewandt. Als Referenz bietet sich TREEDEON an, die kürzlich an gleicher Stelle vor EYEHATEGOD eröffneten und ähnlich faszinierend aufspielten. Musik für den Kopf, die gleichzeitig zur exzessiven Bewegung lädt – allerdings weniger die alterstechnisch sehr gemischten Jünger der Church of JEX, sondern eher die Jungspunde mit Ananas-Frisur. Die waren, wenn ich das richtig beobachtet habe, bei JEX THOTH nicht mehr im Saal. Auch eine Zugabe war drin, so dass das Trio mit Päuslein knapp eine Stunde unseres Lebens bereicherte. Umbau ging ruckzuck, doch dann begann das Warten.
Ist ja auch nachvollziehbar: Eben noch die Matte geschüttelt und jetzt sofort spirituelle Einkehr? Da muss man erstmal für innere Ruhe sorgen, mit Kerzenandacht und riechenden Holzscheiten. So wie WATAIN oder BLACK ANVIL minus der müffelnden Innereien. Der Blick zur Uhr verhagelte meinen Zugang zum Chi oder wie das heißt – aber als nach einer halben Stunde Meditation analog zur Show im vergangenen Jahr die Band mit „To Bury“ die Bühne betrat, gefolgt von der Königin der Nacht, war alles vergessen und die Münder standen wieder offen. Ohne Gelächter. Respektvolle Stille von Seiten der Jüngerschar. Jessica beugte sich über mich und eine kleine, fiese Stimme in mir überlegte kurz, diesen Moment zugunsten eines guten Bildes mit einem Blitz direkt in ihr meist durch Haare verhülltes, wunderbares Antlitz für immer zu zerstören. Böser Mann. Konnte mich beherrschen. Ihre Schweißtropfen auf meiner Stirn waren der Lohn für diesen Verzicht.
Da JEX THOTH schon zum dritten Mal mit dem aktuellen Tonträger in Wiesbaden verweilten stand zu befürchten, nochmal das gleiche Programm wie im Vorjahr kredenzt zu bekommen – aber nein, ihro Majestät bewies Flexibilität mit der Setlist wie auch in der Wahl ihrer Mitstreiter. Der Gitarrist war schon wieder ein anderer als 2013 auf dem „Hammer of Doom“ und auch als 2014 in der Räucherkammer. In diversen Interviews, die immer nur Jex gibt, wird schnell klar, dass das keine Band ist sondern sie das Sagen hat – Fluktuation ist da wohl selbstverständlich, vor allem bei der Menge an Konzerten, die das Quintett so absolviert.
Mit „Kagemni“ wurde ein Stück aus der Zeit gegeben, als die Formation noch eine Band war und TOTEM hieß. Den Namen haben noch zahllose andere Combos, genau wie den Namen BLOOD GROUP, was mich schon zu der grauenhaften Musik führt, die ich eben gehört habe. Schwer zu finden im Netz, aber ja, Jex bzw. Jessica Thoth aka Jessica B. aka Jessica Bowen aka Satja Sai Baba (!) hatte ein musikalisches Vorleben. Mit ihrem damaligen Ehemann James Jackson Toth spielte sie in besagter BLOOD GROUP und bei seinem (Neo-) Folkprojekt WOODEN WAND, alles recht stimmig, bis auf den miesen Pseudofunkrock, der gerade aus meinem Smartphone ätzt. Doch die Verbreitung des Namens BLOOD GROUP lässt die Hoffnung zu, dass dieser Schwachsinn von anderen Menschen verzapft wurde. BLOOD GROUP mit Jessica klang nämlich eher so.
Während des Abends in Wiesbaden war davon nichts zu erahnen. Songperlen wie „Seperated at Birth“ oder „Raven nor the Spirit“ (Videoclip weiter unten) scheinen unverzichtbar, trotzdem gab es Variationen zum Vorjahr, nicht aber zum Rest dieser Tour. Das ist bei so einer „Messe“ vielleicht auch schwer möglich. Wie gehabt besuchte Jessica, leicht illuminiert, ab und an das Publikum; segnete vielleicht, aber ließ definitiv Herzen höher schlagen – die Dame links neben mir im JEX THOTH-Leibchen schien nach intensivem Augenkontakt dem Infarkt nah und ich konnte sie gut verstehen.
Nach knapp einer Stunde war die Messe mal wieder gelesen, das begeisterte Publikum verharrte zuerst in Schockstarre und musste aggressiv zum Klatschen animiert werden, damit noch fünf Minuten länger geschwelgt werden konnte. Dann war es aber auch Zeit, Mitternacht stand vor der Tür und der S-Bahn-Verkehr unter der Frankfurter City würde bald eingestellt werden. Doch egal. Die berauschte Seele flog schon mal vor.
Links: https://www.facebook.com/black-fox/, http://blaeckfox.bandcamp.com/releases, http://www.jexthoth.net/, https://myspace.com/jexthoth, http://www.reverbnation.com/jexthothofficial, http://www.lastfm.de/music/Jex+Thoth
Text, Fotos & Clips: Micha
Alle Bilder:
Jessica WAS in The Blood Group. This is her singing. https://www.youtube.com/watch?v=CjONJBu3twY And she WAS the female singer on ALL Wooden Wand & the Vanishing Voice records. (There are a lot.) This is her singing. https://www.youtube.com/watch?v=1Q6HssmoOEM&index=2&list=PLUdmMccuxH2GuLTxozpk6SMLJIG2vnVW6 She can SAY she calls all the shots, but her ex-husband wrote all of the Totem / most of the early Jex Thoth songs. They were a hippie-psych band before they decided to start a metal band.