JONATHAN RICHMAN

Zoom, 6.03.2012

Mit Jonathan Richman verbindet mich eine lange Freundschaft. Leider ist sie einseitig, da er nicht weiß, wie sehr ich ihn schätze. Ich sah ihn das erste Mal live 1994, da war er jünger als ich jetzt. Danach einige weitere Male; inzwischen ist er 60 Jahre alt. Der ehemalige Frontmann der gern als „Protopunk“-Band klassifizierten MODERN LOVERS aus den Siebzigern ist seit einer gefühlten Ewigkeit als Singer und Songwriter unterwegs und scheint in der heutigen, extrovertierten Rockszene einer der Exoten zu sein: Man hört eigentlich nur von ihm, wenn er gerade während einer Tour in die Stadt kommt, nie wegen irgendwelcher Skandale oder auf pure Promotion abzielende Geschichten. Seine Musik, die von der Fachpresse häufig als „Anti- Folk“ bezeichnet wird, zeichnet sich neben klaren Arrangements und den subtilen, zuweilen originellen Texten vor allem durch eines aus: Charme und Bescheidenheit. Großspurigkeit ist Richman’s Sache nicht, und das hat ihn für mich immer besonders sympathisch gemacht.

Zu der erwähnten Bescheidenheit passt eine Begebenheit, die ich aus dem Jahr 1994 bei seinem Solo- Auftritt im Nachtleben erinnere: Der US- Amerikaner bat das Publikum während des Konzerts, einfach mal die Klappe zu halten, stöpselte seine E-Gitarre aus und gab einige Stücke akustisch zum besten. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so leise wurde es auf einmal im Club. Das virtuose Gitarrenspiel gepaart mit seiner prägnanten Stimme, und das Ganze unplugged. Es war ein großartiges Konzerterlebnis. Das letzte Mal wohnte ich 2005 im Mousonturm einem Gig von JR bei, damals stand er in Begleitung des Schlagzeugers Tommy Larkins auf der Bühne.

Dieses Duo trat auch gestern abend wieder an, um die zahlreich ins Zoom gepilgerten Gäste zu erfreuen. Als Opener fungierte „O Moon, Queen Of Might On Earth“, Titelsong des bisher letzten Albums von 2010. Das folgende Set war dominiert von Liedern ebenjenen Werks sowie der Veröffentlichung „ ¿A Que Venimos Sino A Caer?“ (2008), auf der Richman überwiegend spanisch singt.

Aber irgendetwas war anders als sonst. JR wirkte oft fahrig und unentspannt, drehte sich alle paar Minuten weg, um im hinteren Teil der Bühne seine Gitarreneinstellungen zu verändern und schien – so vermuten wir – das Programm spontan nach gusto abzuändern. Fotograf Kai beobachtete, wie Larkins den Sänger verständnislos und kopfschüttelnd anblickte. Der Schlagzeuger wartete fortan, welches Stück sein Mitstreiter vorgab und klinkte sich dann ein paar Takte später ein. Für den Routinier kein Problem, aber es schien das Klima auf der Bühne zu belasten und die Spielfreude zu hemmen. Auch Richman’s sonst überbordender Charme, der das Publikum normalerweise binnen Minuten für sich einnimmt, kam nicht so rüber wie gewohnt.

Außerdem fand sich bei den ausgewählten Stücken kein einziges der bei seinen Fans so beliebten Songs wie
z. B. „Rooming House on Venice Beach“, „Tandem Jump“, „I Was Dancing in a Lesbian Bar“ oder „Ice Cream Man“. Eine Ausnahme bildete lediglich sein einziger Hit „Egyptian Reggae“ (1977), der allerdings auch nach (zu) kurzer Zeit in ein anderes Lied übergeführt wurde.

Das alles führte dazu, das der Funke nicht so richtig übersprang. Im Publikum bewegte sich fast niemand, vereinzelt war sogar Gähnen zu sehen. Die Gäste applaudierten zwar pflichtschuldig und anhaltend, aber echte Begeisterung konnte ich nicht feststellen. Möglicherweise sollte der Beifall den Künstler motivieren, noch den ein oder anderen populären Song einzubauen und vor allem etwas länger zu spielen. Schon nach rund siebzig Minuten war Schluss – ein Lied noch als

Zugabe und das war’s. Eingefangene Stimmen nach der Show lauteten „langweilig“, „wirr“ oder „habe ich schon besser gesehen“. In der Tat war der Auftritt der bisher schwächste, den ich bisher erlebt habe. Nicht nur ich ging etwas enttäuscht nach Hause.

Hat die Freundschaft zwischen JR und mir nun deshalb Schaden genommen? Ich denke, eine Freundschaft muss auch mal einen Rückschlag verkraften können. Auch wenn sie nur einseitig ist. Deshalb werde ich wohl auch beim nächsten Mal wieder dabeisein.

JONATHAN RICHMAN ist im WWW nicht mit einer eigenen Website vertreten, selbst seine Myspace-Seite http://www.myspace.com/pablopicassowasnever
calledanasshole
läuft nicht unter seinem Namen, sondern ist an den Titel seines Songs „Pablo Picasso“ angelehnt. Interessant ist der Link http://www.sjrp.org/, unter dem der Londoner Fan Simon Angling viel Material über und rund um JR zusammengetragen hat.

Text: Stefan / Fotos: Kai

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