Jahrhunderthalle (Sommerwiese), Frankfurt, 31.08.2021
Die Sommerzeit ist nach eineinhalb Jahren pandemiebedingt abgesagter Events die einzige Möglichkeit für Veranstalter, unter dem Motto „Ins Freie!“ Menschen auf Konzerte zu locken, da sich die Hygieneregeln sowie Kontaktbeschränkungen am besten mit Happenings unter freiem Himmel verbinden lassen. Falls so etwas wie Konkurrenzdenken in der Frankfurter Veranstaltungsszene vorhanden war, dann merkt man in diesen Wochen nichts davon: Vor dem Club „Das Bett“ gibt es Soli-Konzerte für die Kneipe Feinstaub oder Events von Taunus Metal, Brotfabrik und Zoom laden zur mit Biertischgarnituren ausstaffierten Sommerwiese an der Jahrhunderthalle. Diese punktet fast täglich mit einem vielseitigen Programm lokaler, nationaler wie sogar internationaler Formationen zwischen Rock, Pop, Jazz, Electro und Hip Hop; lädt ausgehungerte Konzertgänger mit illustren Namen wie Haiyti, Aziza Mustafa Zadeh, KADAVAR, Ebow oder eben KIKAGAKU MOYO aus Japan ein. Letztere reisen gegenwärtig um die Welt, um einige Festivals in Ländern mit ihrer Anwesenheit zu beglücken, in denen der Infektionsschutz noch lascher gehandhabt wird als bei uns.
In diesem Punkt kann man den Veranstaltern in Rhein/Main jedoch keinen Vorwurf machen: Es wird auf Abstand geachtet und dass die Maske erst bei Erreichen des eigenen Platzes abgenommen wird; auch Desinfektionsmittel sind ausreichend vorhanden. Auf der Sommerwiese muss man noch nicht mal aufstehen, um sich zwischendurch einen Drink zu gönnen und kann die Dienste von Kellner*innen beanspruchen, die einem das ersehnte Nass an den Holztisch bringen. Die Bierauswahl an diesem sehr angenehmen Abend kurz vor einer letzten (?) kleinen Hitzewelle im September tendierte mehr Richtung Zoom als Richtung Brotfabrik, sodass es am Tisch des Rezensenten Wasser sowie Limo gab anstelle von Hefeweizen. Egal. Livemusik an der frischen Luft, Wetter sehr okay – und eine Top-Formation am Start, die den weiten Weg aus Fernost gekommen war, um uns zum zweiten Mal nach 2019 (Bericht hier) anregend zu beschallen.
Sowie eine aus Frankfurt/Wiesbaden, die den Vergleich mit internationalen Acts nicht scheuen muss. Weil von „vor der Haustür stammend“ konnte man in den vergangenen Wochen die entspannten Folk-Rocker von FOOKS NIHIL relativ häufig in der Umgebung genießen, so erst kürzlich bei der Open-Air-Reihe „Liebieghaus Live“ mit optionalem Museumsbesuch ebenda oder bei den Langener Sommerspielen. Das Trio veröffentlichte im Oktober 2020 das erste Studioalbum, ein zweites ist laut Ansage des Gitarristen und Sängers Max Ramdohr gerade in Arbeit und wurde songtechnisch an diesem Abend bereits ein wenig angeteasert.
Das Eröffnungsriff von „What’s Left“ illustrierte beim Soundcheck unseren frühen Einlass, um einen Platz vor der Bühne ergattern zu können – im Set tauchte die beswingte Nummer später an vierter oder fünfter Stelle auf. Die drei Musiker, von denen zwei eng verzahnt sind mit der Darmstädter/Griesheimer Formation OKTA LOGUE – Schlagzeuger Max Schneider ersetzte 2016 deren Multiinstrumentalisten Nicolai Hildebrandt, beim „Übergabe-Konzert“ in Darmstadt (Bericht hier) unterstützte ebenso Ramdohr an der Gitarre – spielen nicht nur überzeugend beseelt sowie anregend ihre Instrumente, sondern zelebrieren mit dem Bassisten Florentin Wex auf hervorragende Weise einen dreistimmigen Harmoniegesang, der einen an die Großen des Beat, Westcoast- oder Folk-Rocks der Sechziger bis Siebziger Jahre denken lässt, allen voran CSN&Y oder die EAGLES.
Damit sind FOOKS NIHIL ziemlich konkurrenzlos in der Szene und ziehen längst eigene Supporter auf die Events, bei denen sie das Vorprogramm bestreiten. Knappe 70 Minuten lieferten die Drei eine Untermalung zur herabsteigenden Sonne, die etwas weniger frenetisch aufgenommen wurde als zuletzt ihre Headliner-Shows – dafür unterschieden sich die Hessen vielleicht dann doch trotz gemeinsamer Sixties-Referenzen zu sehr von den anschließend folgenden Psychedelikern aus Nippon. Sprachrohr Ramdohr wirkte ein wenig irritiert als er auf seine Nachfrage, ob die Anwesenden noch mehr hören wollten, eher ein kollektives Schulterzucken erntete als fanatische Zugaben-Rufe. Diesbezüglich sind wir Hessen aber generell etwas eskalations-faul, das war ja schon Prä-Corona so – und getrennte Sitzbänkchen helfen nicht unbedingt, das zu ändern. Außer vielleicht, man lauscht einem bestimmten Quintett aus Tokio.
Als die Musiker gegen 20.40 Uhr die Riesenbühne im bereits nächtlichen Frankfurt-Höchst betraten, wirkten sie anfänglich zwar etwas entrückt, jedoch nicht so schüchtern wie 2019 im vollgestopften Zoom. Laut Aussage des Gitarristen, Sängers sowie Klangschalen-Benutzers Tomo Katsurada freute sich das Quintett, zum zweiten Mal in Frankfurt spielen zu dürfen – dass der schwitzende Mob damals im Zoom die Tokioter nicht mehr von der Bühne lassen wollte, wird ihm und seinen Kollegen in Erinnerung geblieben sein. Mit meist geschlossenen Augen navigierte er mit seinem Gitarristen-Kollegen Daoud Popa durch das knapp 80-minütige Set – Co-Bandgründer (neben Katsurada), Drummer, Sänger sowie Trompeter Go Kurosawa, Bassist Kotsu Guy und Sitar- wie Keyboardspieler Ryu Kurosawa hatten ihre Augen dagegen meist offen, bei ihnen ist Improvisation meist weniger angesagt.
Mit drei Stücken ihres 2018 auf ihrem eigenen Label Guruguru Brain veröffentlichten Studiowerks „Masana Temples“ und einem Querschnitt aus ihren älteren Veröffentlichungen unterschied sich ihr Set nicht nennenswert von dem Gig vor zwei Jahren im Zoom, von einigen Jams mal abgesehen. An solchen mangelt es nicht in der Diskographie der Japaner: Kollaborationen mit musikalischen Grenzgängern wie z. B. Ryley Walker zieren ihr Gesamtwerk, diverse EPs sowie Singles mit Non-Album-Tracks vervollständigen ihr Œuvre. Ruhige Stücke wie „Kogarashi“ nehmen einen tiefenentspannt mit, treibendere wie „Kodama“ verstärken den Bewegungsdrang, dem letztlich einige Gäste auf dem Areal nachgaben um vor die Bühne zu stürmen. Zwischendurch waren immer mal wieder heftigere Ausreißer zu hören, die an eine homöopathische Version ihrer Landsleute von MONO erinnern.
Dass die Menge bewegungstechnisch aktiv wurde, entzückte augenscheinlich vor allem Daoud Popa, welcher gitarrespielend immer mehr eskalierte und ungeahnte Rampensau-Qualitäten offenbarte. Die Ordner ließen das kulturell ausgehungerte Rock-Publikum gewähren, Abstand war nun relativ egal, solange die Maske auf den Riechorganen blieb oder höchstens zum Biertrinken kurz verschoben wurde. Der Ruf nach einer Zugabe wurde erfüllt, um 22.05 Uhr war dann jedoch Sense, das nächste Wohnviertel ist schließlich nicht allzu weit entfernt. Nicht nur für konzerttechnisch Zwangs-Entwöhnte war das ein Fest, sondern wäre ebenso ein Highlight gewesen in einem prall gefüllten Konzertkalender. Großartig.
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